MDR KULTUR | 11.04.2025 | Wochenabschnitt "Tzaw" Schabbat Schalom mit Katia Novominski: Kraft schöpfen aus dem Alltäglichen
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13. Februar 2025, 11:01 Uhr
Augenblicke der Erleuchtung sind selten. Dagegen nimmt die Routine des Alltags Zeit und Kraft in Anspruch. Und doch schafft gerade sie den Raum für solche inspirierenden Momente, meint die Religionspädagogin Katia Novominski in ihrer Auslegung des Wochenabschnitts "Tzaw".
Diese Woche lesen wir den Wochenabschnitt Tzaw - auf Deutsch “Gebiete”. Wir befinden uns direkt am Anfang des dritten Buches Mose, welches man auch “Torat Kohanim” - die Priester-Tora nennt. Der Name kommt nicht von ungefähr.
Ein großer Teil des Buches und im Grunde genommen unser ganzer Wochenabschnitt beschäftigen sich mit Gesetzen des Tempeldienstes und Details des priesterlichen Opferdienstes im Tempel. Sicher ist es sehr interessant, dies alles aus historischer Sicht zu lesen, aber was soll das Ganze mit unserem heutigen Leben zu tun haben?
Wir sind keine Priester, es steht kein Tempel in Jerusalem, und wir sind auch nicht bei der Wüstenwanderung mit einem Stiftszelt unterwegs. Warum sollen wir uns also mit den vielen Kleinigkeiten überhaupt auseinandersetzen?
Unsere Weisen sagen, dass wir mit der Tora leben sollen und meinen damit, dass jeder Wochenabschnitt genau zu unserem Leben passt. Auf den ersten Blick ist es mit Tzaw schwierig - es gibt kein einziges Gebot, welches die Allgemeinheit betrifft. Wenn man aber ein wenig tiefer gräbt, kann man immer etwas für sich entdecken. Hier ist zum Beispiel eine Stelle, aus der jeder von uns sehr viel lernen kann.
Im Kapitel 6, den Versen 3 und 4 steht geschrieben: “Es zieht der Priester seine leinene Bekleidung an und leinene Beinkleider zieht er auf seinen Leib und gebt die Asche, zu welcher das Feuer das Emporopfer auf dem Altar verzehrt hat, und legt sie zur Seite des Altars nieder. Er zieht sodann seine Kleider aus und bekleide sich mit anderen Kleidern und bringt die Asche außerhalb des Lagers hinaus an einen reinen Ort.“
Erst mal brauchen wir eine kurze Erklärung, worum es hier geht. Der Tempeldienst bestand aus vielen einzelnen Schritten und verschiedenen Opfern. Hier geht es um das Ganzopfer, das über Nacht komplett am Altar verbrannt wurde. Am Morgen darauf war es die Aufgabe des diensthabenden Priesters, die verbliebene Asche vom Altar zu heben.
Wenn wir aber die Tora genauer lesen, dann müssen wir uns sehr wundern. Zunächst fällt auf, dass wir hier im Grunde genommen zwei Aufgaben haben. Einmal Asche zu heben und neben den Alter zu legen und dann, quasi als nächste Aufgabe, die Asche hinaus zu bringen. Woran erkennen wir, dass es sich um zwei Aufgaben handelt?
Am Kleidungswechsel! Bei der ersten Aufgabe soll der Priester seine speziellen priesterlichen Gewänder tragen, bei der zweiten nicht. Gleich mehrere Folgefragen schließen sich direkt an.
Wann trägt ein Priester seine speziellen Kleider? Immer dann, wenn er den heiligen Dienst im Tempel tut. Was bedeutet es für die beiden Aufgaben? Nichts anderes, dass die erste eine spirituelle, heilige Natur hat und die zweite eben darin besteht, sehr pragmatisch aufzuräumen und zu putzen. Was dauert länger? In diesem Fall eindeutig - die Ärmel hochzukrempeln und die Asche wegzubringen.
Und genau hier steckt die Idee, die wir diese Woche mitnehmen können. Man hätte für die Aufgabe des Aufräumens auch einen Diener beauftragen können oder zum Beispiel einen anderen Priester, der nicht mitten in einem heiligen Moment ist.
Nein, sagt uns die Tora, keiner soll sich zu schade sein, auch einfache, körperliche Arbeit zu erledigen. Unsere Wohn- und Arbeitsstätten, unsere Städte und die Umwelt sauber zu halten ist eine gemeinsame Aufgabe. Jeder muss daran beteiligt sein. Erleuchtende Momente sind kurz und rar wie eben das symbolische Abheben einer kleinen Menge Asche vom Altar.
Die alltägliche Routine hingegen nimmt Zeit und Kraft in Anspruch, schafft uns aber Raum genau für solche inspirierenden Momente. Und so mögen alle, die vor allem zurzeit den Pessach-, Oster- oder einfach Frühlingsputz machen, aus unserem Wochenabschnitt Kraft schöpfen und diesen Aufgaben mit Elan nachgehen!
In diesem Sinne – Schabbat Schalom!
Zur Person: Katia Novominski Katia Bruria Novominski, geboren 1985 in Kiew, aufgewachsen in Dresden. Studierte Gymnasiallehrerin für Physik und Russisch. Vor 20 Jahren fing sie mit jüdischer Jugendarbeit in Sachsen an, später arbeitete sie sechs Jahre im Vorstand der Jüdischen Gemeinde in Dresden und leitete Bildungsprojekte bei der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). Geschäftsführerin der Jüdischen Kultusgemeinde Karlsruhe, anschließend Leiterin der Repräsentanz der Jewish Agency for Israel in Berlin, jetzt Geschäftsführerin des Bundes traditioneller Juden in Deutschland (BtJ), Rebbetzin der jüdischen Gemeinden in Halle und Dessau, Religionslehrerin in Sachsen-Anhalt und – das ist ihr am wichtigsten: Ehefrau von Rabbiner Portnoy und Mutter von vier Söhnen.
Schabbat Schalom bei MDR KULTUR
Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.
Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.
"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 11. April 2025 | 15:45 Uhr