Schabbat Schalom | 18.10.2024 Sukkot - Gastfreundschaft nicht nur von dieser Welt
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18. Oktober 2024, 04:00 Uhr
An Sukkot, dem jüdischen Laubhüttenfest, wird die Gastfreundschaft gefeiert. In die Laubhütte werden Menschen eingeladen, die wir gerne um uns haben wollen. Eine Gastfreundschaft, nicht nur für diese Welt, meint die Leipziger Rabbinerin Esther Jonas-Märtin in ihrer Auslegung des Wochenabschnitts.
Direkt im Anschluss an Jom Kippur beginnt der Bau der Sukkah, der Laubhütte, die für acht Tage der Raum sein wird, in dem wir Mahlzeiten einnehmen, Gäste einladen und manchmal auch darin übernachten.
Der Bau selbst gehört schon zu den umfangreichen Vorbereitungen auf Sukkot, das Laubhüttenfest, das fünf Tage nach Jom Kippur gefeiert wird. Während wir uns am höchsten Feiertag Jom Kippur allein auf unseren Seelen und unseren Geist konzentriert haben, sind es ganz weltliche Dinge, die nun zu Sukkot im Zentrum stehen. Wir bauen uns ein Haus auf Zeit, wir laden uns Gäste ein, wir bereiten besondere Speisen vor, und wir feiern unsere Diversität mit dem Lulaw, dem festlichen Gebinde aus Palmzweig, Myrte, Weide und einer ganz besonderen Zitrusfrucht, dem Etrog.
Eine Sukkah ist eine vorübergehende Konstruktion aus mindestens drei Seiten, eine vierte Seite darf eine Hauswand sein, und einem Dach. Es ist ein Dach, das zwar Schatten und ein wenig Schutz vor Wetter bietet, aber auch so angelegt ist, dass man die Sterne sehen kann. Traditionell schmückt man die Sukkah mit Früchten und anderer Deko und verbringt so viel Zeit wie möglich darin.
Das Einladen von Gästen ist eine absolute Notwendigkeit für Sukkot. Damit sind nicht nur real existierende Menschen gemeint, sondern auch die Einladung der Uschpisim. Zu den Uschpisim gehören die drei Patriarchen: Abraham, Isaak und Jakob - gemeinsam mit Moses, Aaron, Josef und David. In egalitären Gemeinschaften gehören auch die Matriarchen Sara, Rebekka, Rachel dazu, gemeinsam mit Ruth, Tamar, Esther und Deborah.
Die Praxis der Uschpisim geht zurück auf eine mystische Tradition innerhalb des Judentums, die Kabbalah. Zuerst erwähnt wird das Ritual im Zohar, einem der wichtigsten Texte jüdische Mystik. In kabbalistischer Auslegung werden diesen Uschpisim jeweils bestimmte Eigenschaften zugeordnet. Dabei werden in egalitären Gemeinschaften die Uschpisim als Paare geordnet. So wird Abraham und Sara als Eigenschaft "Chesed" zugeordnet, Chesed bedeutet Herzlichkeit. Issak und Rebekka stehen für "Gewurah", für Stärke. Jakob und Rachel repräsentieren "Tiferet", die Schönheit: Gastfreundschaft nicht von dieser Welt!
Während das festliche Gebinde aus Weide, Myrte, Palmenzweig und dem Etrog an unsere Vielfalt erinnert, feiern wir gleichzeitig unsere Stärken, unsere Schönheit und unsere Herzlichkeit. Die Sukkah ist eine vorübergehende Konstruktion, es sind unsere Eigenschaften und unsere Vielfalt, die die Fundamente unseres Lebens bilden. Sukkot ist eine Einladung an uns, unsere Herzlichkeit, unsere Stärken und unsere Schönheit zu betonen, deshalb laden wir so viele Gäste wie möglich ein, mit uns zu feiern, das ist Gastfreundschaft ganz in dieser Welt!
Zu unserer Tradition gehört es nicht nur, biblische Personen einzuladen, sondern auch Menschen aus unserer Familie oder unserem Freundeskreis, die wir gern um uns haben möchten. Es können Freunde oder Familienmitglieder sein, die verstorben sind. Es können aber auch noch lebende Menschen sein, die nur gerade nicht hier sind. An erster Stelle steht aber die reale Einladung von Gästen vor Ort in die Sukkah.
Nun: Wen würden Sie einladen? Wen würden Sie gerne wiedersehen? Mit wem würden Sie gerne fachsimpeln? Wer wären die Gäste in Ihrer Sukkah?
Ein fröhliches und friedliches Sukkot!
Schabbat Schalom!
Zur Person: Rabbinerin Esther Jonas-Märtin
Esther Jonas-Märtin absolvierte Jüdische Studien, studierte Literaturwissenschaft, Moderne Geschichte und Religionswissenschaften in Leipzig und Potsdam und erwarb 2006 den Master of Arts.
2017 schloss sie ihr Studium zur Rabbinerin mit dem Master of Arts in Rabbinics und der Rabbinischen Ordination in Los Angeles ab.
Sie ist Initiatorin und Gründerin des Lehrhauses Beth Etz Chaim in Leipzig (2018) sowie Referentin und Autorin einer Vielzahl von Artikeln und Beiträgen in den Themenbereichen: moderne jüdische Geschichte, Gender, Jiddische Poesie, Jüdische Ethik und Judentum.
Schabbat Schalom bei MDR KULTUR
Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.
Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.
"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 18. Oktober 2024 | 15:45 Uhr