MDR KULTUR | 14.02.2025 Schabbat Schalom mit Katia Novominski: Wenn Berge streiten

13. Februar 2025, 11:01 Uhr

Auch Bescheidenheit und Zurückhaltung können zum Erfolg führen. Zu einem erfüllten Leben führen verschiedene Wege – und jeder muss den eigenen für sich finden, meint die Religionspädagogin Katia Novominski in ihrer Auslegung des Wochenabschnitts "Jitro".

Diese Woche lesen wir den Wochenabschnitt Jitro. Jitro ist ein Name – so hieß der Schwiegervater von Mosche. Das zentrale Ereignis der Woche ist die göttliche Offenbarung in der Wüste am Berg Sinai und die Übergabe der Tora an das jüdische Volk. Die Anzahl der Fragen, die sich daraus ergeben, ist so gut wie unendlich. Weshalb musste Gott die Tora ausgerechnet in der Wüste übergeben? Hätte man es nicht im Gelobten Land tun können? Oder vielleicht noch vor dem Auszug aus Ägypten? Weshalb ist der Wochenabschnitt nach dem Schwiegervater von Mosche benannt? Was hat er, ein Priester aus Midyan, mit den ganzen Ereignissen der Woche zu tun? Warum sind ausgerechnet diese Zehn Gebote, die auf die Bundestafeln geschrieben wurden, ausgewählt worden?

Wir haben leider nicht die Zeit, um auf alles eingehen zu können, und so muss man schweren Herzens eine Auswahl treffen.

"Ich bin der höchste Berg von allen!"

Als ich noch ein Kind im jüdischen Religionsunterricht in Dresden war, erzählte uns unsere Religionslehrerin, Dr. Ruth Röcher, eine Geschichte über die Tora-Übergabe, die ich heute weitererzählen möchte. Es ist ein sehr berühmter Midrasch, also eine Art Parabel, und die geht so: Vor der Tora-Übergabe stritten verschiedene Berge um das Recht und die Ehre, als derjenige Ort auserwählt zu werden, an dem die Tora übergeben wird. Der Berg Tabor sagte: "Ich bin der höchste Berg von allen! Die Tora muss auf meiner Spitze übergeben werden!" Der Berg Carmel argumentierte, dass er sich auch als besonders wichtig erwiesen habe und deswegen die Ehre verdienen würde. Zum großen Verdruss der beiden Berge lehnte sie Gott ab und entschied sich für den kleinen, unscheinbaren und auf den ersten Blick unbedeutenden, bescheidenen Berg Sinai.

Als Kinder hatten wir ein schönes Arbeitsblatt und ein Bild dazu, was wir während der Erzählung mit bunten Stiften ausmalen durften. Natürlich sollten wir uns auch überlegen, was wir aus diesem Midrasch lernen können, und so werden wir es heute tun.

"Sich neu erfinden", um wettbewerbsfähig zu bleiben?

Die Botschaft der Geschichte ist offensichtlich, aber gerade in der heutigen Gesellschaft nicht mehr sehr verbreitet. Nicht immer ist am größten, am schnellsten und am vorlautesten auch am besten. Die Bescheidenheit und Zurückhaltung können ebenfalls zum Erfolg führen. Weniger ist dann doch manchmal mehr. Man muss den ewigen Wettbewerb gegeneinander nicht mitmachen. Man muss nicht immer über den eigenen Schatten springen, aus der Komfortzone herauskommen oder sich und seiner Art untreu werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Nicht immer ist am größten, am schnellsten und am vorlautesten auch am besten.

Die Tora lehrt uns, dass es auf die lange Sicht sehr wohl eine Tugend ist, bescheiden zu sein. Es ist in Ordnung, sich in der eigenen persönlichen Komfortzone wohl zu fühlen. Viele verschiedene Wege führen zu einem erfüllten Leben und zum Erfolg. Jeder muss nur seinen eigenen für sich finden. Bescheiden darf man dabei auf jeden Fall sein!

Und so wünschen ich uns allen Momente der Ruhe und der Reflexion über die eigenen Ansprüche an sich selbst und die Ansprüche der Gesellschaft an uns. Und wenn wir dabei merken, dass uns Bescheidenheit steht, dann ist es gut so!           

In diesem Sinne Schabbat Schalom!

Zur Person: Katia Novominski Katia Bruria Novominski, geboren 1985 in Kiew, aufgewachsen in Dresden. Studierte Gymnasiallehrerin für Physik und Russisch. Vor 20 Jahren fing sie mit jüdischer Jugendarbeit in Sachsen an, später arbeitete sie sechs Jahre im Vorstand der Jüdischen Gemeinde in Dresden und leitete Bildungsprojekte bei der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). Geschäftsführerin der Jüdischen Kultusgemeinde Karlsruhe, anschließend Leiterin der Repräsentanz der Jewish Agency for Israel in Berlin, jetzt Geschäftsführerin des Bundes traditioneller Juden in Deutschland (BtJ), Rebbetzin der jüdischen Gemeinden in Halle und Dessau, Religionslehrerin in Sachsen-Anhalt und – das ist ihr am wichtigsten: Ehefrau von Rabbiner Portnoy und Mutter von vier Söhnen.

Schabbat Schalom bei MDR KULTUR Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

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Katia Novominski 4 min
Bildrechte: Privat

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 14. Februar 2025 | 15:45 Uhr