MDR Kultur | 23.08.2024 | Wochenabschnitt "Ekew" Schabbat Schalom mit Rabbiner Elischa Portnoy: Sich Zeit für Dankbarkeit nehmen

11. Juli 2024, 15:51 Uhr

Selbst die höflichsten Menschen vergessen manchmal, sich zu bedanken. Doch jeder Mensch, der etwas für andere tut, verdient Dank. Und die eigene Dankbarkeit auszusprechen, kann die Welt ein bisschen besser machen, meint der Hallenser Rabbiner Elischa Portnoy.

Im Wochenabschnitt "Ekew", der diese Woche gelesen wird, spricht Moses zu seinem Volk und sensibilisiert seine Zuhörer dafür, die von G’tt gegebenen Gebote zu hüten. Außerdem beinhaltet seine Rede essenzielle Prinzipien des Judentums. Denn nicht nur die Gebote machen das Judentum aus, sondern auch wichtige Ideen, die das eheliche, berufliche und gesellschaftliche Miteinander schön und angenehm zu gestalten helfen. Solche wichtigen Prinzipien sind manchmal indirekt, wie man sagt, "zwischen den Zeilen" versteckt und oft nur bei genauer Betrachtung zu entdecken.

In unserem Wochenabschnitt spricht Moses unter anderem über die Schönheit und Fruchtbarkeit des Gelobten Landes: "Denn HaSchem, dein G‘tt, bringt dich in ein schönes Land, ein Land der Wasserbäche, Quellen und Seen, die in der Ebene und im Gebirge entspringen; ein Land des Weizens und der Gerste, des Weinstocks, des Feigenbaums und des Granatapfels; ein Land der Ölbeere und des Honigs."

Dann weist Moses das Volk an, für dies alles die Güte G’ttes zu segnen: „Und du wirst essen und satt werden, und du sollst segnen HaSchem, deinen G‘tt, für das schöne Land, das er dir gegeben hat“.

Die Idee, G’tt nach dem Essen zu lobpreisen ist ziemlich interessant, und es lohnt sich, sie ein wenig genauer zu betrachten. In allen drei abrahamitischen Religionen, im Judentum, im Christentum und im Islam, gibt es Segensprüche sowohl vor dem Essen als auch nach der Mahlzeit.

Unsere Weisen geben uns eine leicht nachvollziehbare Erklärung, warum man G’tt vor dem Essen lobpreisen soll: gerade, wenn man hungrig ist und schnell etwas essen möchte, macht man sich für einen Augenblick Gedanken über den Schöpfer, die Quelle unseres Wohlstands, und zeigt damit, dass wir wirklich Menschen und keine Tiere sind, die sich gedankenlos etwas schnappen, wenn sie hungrig sind. 

Doch erstaunlicherweise finden wir in der ganzen Tora nirgendwo ein Gebot oder auch nur eine Empfehlung, G’tt VOR dem Essen zu segnen! Nur der Segenspruch nach dem Essen ist geboten! Wie ist das zu erklären?

Die Antwort darauf gibt uns die Tora gleich in unserem Wochenabschnitt: "Dass nicht – wenn du isst und satt wirst, und schöne Häuser bauest und bewohnest; und deine Rinder und deine Schafe sich mehren und Silber und Gold sich dir mehrt, und alles, was dein, sich mehrt - dein Herz sich erhebe, und du vergisst HaSchem, deinen G‘tt, der dich aus Ägypten geführt, aus dem Hause der Knechte“.

G’tt, der unsere menschliche Natur sehr gut kennt, sagt uns klar: wenn es uns gut geht, tendieren wir leicht dazu, das Gute zu vergessen. Wir vergessen schnell, dass wir zu danken haben für das, was wir bekommen haben. Und das bezieht sich natürlich nicht nur auf G’tt. Bedanken wir uns beim Ehepartner für leckeres Essen oder für die Hilfe mit den Kindern, oder nehmen wir es als selbstverständlich an? Bedanken wir uns am Arbeitsplatz für die Hilfe des Kollegen? Bedanken wir uns beim Postboten, der uns unser Packet zustellt?

Nichts passiert in dieser Welt von selbst, und es gibt auch keine Wichtel, die uns ernähren, kleiden, beliefern und unterhalten. Das sind alles Menschen um uns herum, die sich Mühe geben. Und es ist wichtig, für diese Mühe dankbar zu sein und diese Dankbarkeit auch klar zu artikulieren!

Gerade deshalb betont die Tora, dass gerade der Segenspruch NACH dem Essen wichtig ist. Vor dem Essen oder wenn wir von jemandem etwas erwarten, sind wir ziemlich höfflich und zuvorkommend. Wenn wir aber das Gewünschte bekommen haben, satt sind, zufrieden, und den nötigen Gegenstand besitzen, dann denken wir leider sehr selten an die Menschen, die uns das ermöglicht haben.

Das passiert sogar den höflichsten Menschen, wenn sie in Eile sind oder in ein Gespräch vertieft sind. Deshalb sagt uns die Tora: wenn jemand für dich etwas getan hat – nimm dir ein paar Sekunden Zeit und bedanke dich herzlich bei dieser Person. Diese paar Sekunden können für die anderen eine große Bedeutung haben. Und damit wird unsere Welt viel besser.

Schabbat Schalom!

Zur Person: Rabbiner Elischa M. Portnoy Rabbiner Elischa M. Portnoy wurde 1977 in Nikolaew in der Ukraine geboren. Seit 1997 lebt er in Deutschland. 2007 erwarb er sein Diplom als Ingenieur für Elektrotechnik an der TU Berlin. 2012 schloss er seine Ausbildung am Rabbinerseminar zu Berlin ab und erhielt die Smicha.

Elischa M. Portnoy arbeitet als Militärrabbiner der Bundeswehr am Standort Leipzig und betreut die Jüdische Gemeinde in Halle / Saale. Er ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ORD). Er ist verheiratet mit Rebbetzin Katia Novominski und Vater von vier Söhnen.

Schabbat Schalom bei MDR KULTUR Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

Rabbiner Elischa Portnoy 4 min
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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 23. August 2024 | 15:45 Uhr

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