Rabbiner Alexander Nachama
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Schabbat Schalom | MDR Kultur | 02.08.2024 Warum Gelübde riskant sind

02. August 2024, 11:00 Uhr

Ein Gelübde ist ein riskantes Unterfangen. Denn zu groß ist die Gefahr, einen solchen Eid zu brechen. Und mancher Schwur wird auch unter Zwang abgelegt, wie die jüdische Geschichte immer wieder leidvoll gezeigt hat, betont Rabbiner Alexander Nachama in seiner Auslegung des Wochenabschnitts Mattot Masej.

Zu Beginn des Wochenabschnitts Mattot-Massej spricht Mosche: "Wenn eine Person dem Ewigen etwas gelobt oder einen Eid schwört, (…) so soll sie ihr Wort nicht geringachten, sondern so tun."

Schwören oder besser nicht schwören?

"Einen Eid schwören" – gemeint ist ein selbst auferlegter Schwur, sich gewisser Handlungen oder Genüsse zu enthalten, obwohl sie eigentlich erlaubt sind. Wenn zum Beispiel jemand für eine bestimmte oder unbestimmte Zeit verspricht, keine Süßigkeiten mehr zu essen. Das ist eigentlich erlaubt, wird aber aus persönlichen Gründen, etwa weil diese Person Gewicht abnehmen oder gesünder leben möchte, durch einen selbst auferlegten Schwur ausgeschlossen.

Diese Person soll, wie die Tora schreibt, ihr "Wort nicht gering achten". Das bedeutet, dass diese Person sich an ihr Versprechen halten soll. Denn die Verletzung des Gelübdes oder des Schwurs wird wie eine Schmähung Gottes betrachtet. Daher soll die Person, wie es heißt, "so tun, wie aus ihrem Munde gegangen ist".

Gebet Kol Nidre erzählt vom Zwang zum Gelübde

In der rabbinischen Diskussion werden Gelübde kritisch betrachtet. Es heißt: "Wer sein Wort bricht, begeht eine ebenso schwere Sünde wie der, der Götzenbilder anbetet." Das Anbeten von Götzen ist ausdrücklich verboten und gilt als große Sünde. So wird noch einmal ausgedrückt, wie bedeutend und bindend ein Gelübde ist.

Es heißt weiter: "Ein Gelübde muss, um Gültigkeit zu erlangen, laut abgelegt werden; die gelobende Person muss sich der Tragweite und der möglichen Folgen des Gelübdes voll bewusst sein; die Person kann sich selbst Beschränkungen durch ein Gelübde auferlegen, kann jedoch andere nicht binden."

Das sind schon erste Einschränkungen, die wir hier hören. Das gilt ganz besonders in einer Notsituation, in der man dazu gedrängt wird, ein Gelübde abzulegen. Im Mittelalter gab es leider immer wieder Mitglieder jüdischer Gemeinden, die gefoltert wurden und den Märtyrertod starben. Der einzige Ausweg war zu geloben, nie wieder den jüdischen Religionsbrauch auszuüben. Trotzdem lebten einige heimlich ihren jüdischen Glauben weiter. So entstand das berühmte Gebet "Kol nidre", (Alle Gelübde), das auf Aramäisch geschrieben ist. Bis heute erklingt es als Einleitungsgebet zum Jom Kippur, dem Versöhnungstag. Dieses Gebet bezieht sich nicht auf zwischenmenschliche Gelübde und Versprechungen, sondern hebt jene auf, die Gott gegenüber gelten und unter Zwang abgelegt worden sind.

Es gibt auch die Möglichkeit, ein "normales" Gelübde zu lösen, jedoch ist dies kompliziert. Denn dafür bräuchte es ein Bet Din, ein aus mindestens drei Rabbinerinnen und Rabbinern bestehendes rabbinisches Gericht. Dort müsste die Person erläutern, warum sie ein Gelübde annullieren möchte.

Keine Sünde, nicht zu geloben

Im fünften Buch der Tora (23,23) heißt es: "Wenn du unterlässt zu geloben, so wird an dir keine Sünde sein." Eine Person, die also Zeit ihres Lebens kein Gelübde ablegt, macht nichts falsch. Es verwundert nicht, dass Gelübde in der rabbinischen Literatur kritisch betrachtet werden. Denn die Gefahr, es am Ende nicht einhalten zu können, ist doch zu groß. Natürlich kann und soll man sich vornehmen, bestimmte Dinge zu tun oder zu unterlassen, aber dafür ist kein Gelübde notwendig.

Ich wünsche Ihnen einen erholsamen und schönen Schabbat, Schabbat Schalom!

Zur Person: Alexander Nachama Geboren 1983 in Frankfurt am Main. 2005 erhielt er von Rabbiner Zalman Schachter-Shalomi, dem Gründer der Rabbiner- und Kantorenschule "Aleph", eine Urkunde als Kantor. 2008 erhielt er einen Bachelor in Judaistik (Freie Universität Berlin), 2013 einen Master (Universität Potsdam).

Ab 2007 absolvierte er eine Ausbildung am Abraham Geiger Kolleg mit Studienaufenthalten in Israel, die er 2013 mit der Ordination zum Rabbiner abschloss. 1998 - 2011 amtierte Alexander Nachama zunächst als ehrenamtlicher Vorbeter, später als Kantor in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.

In den Jahren 2012 - 2018 war er Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, bis August 2023 Landesrabbiner der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen. Inzwischen ist Alexander Nachama der zuständige Militärrabbiner für Berlin und Brandenburg.

Schabbat Schalom bei MDR KULTUR Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 02. August 2024 | 15:45 Uhr