MDR KULTUR | 20.12.2024 Schabbat Schalom mit Katia Novominski: "Josephs Zuversicht wünsche ich uns"
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20. Dezember 2024, 14:01 Uhr
Materielle und spirituelle Welt stehen nicht im Widerspruch zueinander. Im Gegenteil, in jeder Situation steckt ein höherer spiritueller Sinn, meint Rebbetzin Katia Novominski aus Halle in ihrer Auslegung des Wochenabschnitts "Vayeshev".
Diese Woche bleiben wir weiterhin im ersten Buch Mose mit seinen spannenden Geschichten und lesen den Wochenabschnitt Vayeshev. Die Tora erzählt uns, dass Jakob sich mit seinen zwölf Söhnen in Hebron niederlässt.
Die zentrale Figur unserer Parasha ist diesmal Joseph – Jakobs Lieblingssohn, geboren von seiner geliebten Frau Rachel. Jeder, der selbst Kinder oder Geschwister hat, muss beim Begriff "Lieblingssohn" zusammen zucken. Das riecht nach reichlich Ärger und den gibt es im Leben von Joseph zur Genüge.
Ohne alle Einzelheiten der Geschichte erzählen zu wollen, fassen wir mal die wichtigsten Meilensteine zusammen.
Joseph, Lieblingssohn und gehasst von seinen Brüdern
Obwohl oder gerade weil er der Lieblingssohn von Jakob ist, wird Joseph von seinen Brüdern gehasst. Es kommt sogar so weit, dass diese ihn verkaufen. Mit einer Karawane in Ägypten angekommen, wird Joseph zunächst Sklave im Hause eines wichtigen Beamten namens Potifar und steigt quasi zu seiner rechten Hand auf. Kaum bei dieser hohen Position angekommen, wird ihm das Interesse von Potifars Frau zum Verhängnis. Sie hat ein Auge auf ihn geworfen, wie es heißt: "Denn Josef war von schöner Gestalt." Aber er weigert sich. Darauf beschuldigt sie ihn lauthals, "Mutwillen mit ihr treiben" zu wollen.
Unser Wochenabschnitt endet damit, dass Joseph im Gefängnis sitzt und die Träume seiner Mitinsassen deutet.
Ein erfolgreiches Leben mit vielen Höhen und Tiefen
Was für ein Leben! Kaum jemand in der Tora erlebt so viele Höhen und Tiefen wie er. Umso interessanter ist die Tatsache, dass Joseph als einziger in der gesamten Tora als ein erfolgreicher Mensch bezeichnet wird. Ist es nicht verwunderlich? Wie schafft er es bei solchen Herausforderungen, ständig optimistisch, zielgerichtet und ungeschlagen zu bleiben? Und die wichtigste Frage: Können wir es ebenfalls schaffen?
Rabbi Menachem Feldman aus Connecticut bringt eine interessante Erklärung. Josephs Brüder beschimpfen ihn als "den Träumer". Jedoch ist ein Verständnis für Jakobs Träume sehr wichtig und der Schlüssel zu seinem Erfolgsrezept. Wenn man seine Träume genau betrachtet, dann kann man einen Unterschied feststellen.
Zunächst kurz der Inhalt seiner Träume. Im Kapitel 37, Vers 7 lesen wir seinen ersten Traum: "Und siehe, wir banden gerade Garben auf dem Feld, da richtete sich meine Garbe auf und blieb dann; eure Garben aber stellten sich ringsum und warfen sich vor meiner Garbe nieder." Sein zweiter Traum ist im Vers 9 wie folgt beschrieben: "Die Sonne, der Mond und elf Sterne bückten sich vor mir." Beide Träume sind bereits Hinweise auf seinen späteren Erfolg.
Wenn man die Träume genauer betrachtet, so kann man feststellen, dass der erste Traum von irdischen, also quasi materiellen Dingen handelt und der zweite von den spirituellen, den himmlischen. Joseph wusste dies zu deuten.
Sein Geist konnte nicht gebrochen werden
Die materielle Welt und die eigene Spiritualität stehen in keinem Widerspruch zueinander. Sie sind viel mehr zwei Ebenen derselben Realität. Joseph verstand, dass er ein erfolgreicher Mensch im gesellschaftlichen Leben sein kann, ohne dabei auf seine spirituellen Bedürfnisse verzichten zu müssen. Seine Brüder wählten einen anderen Weg – als Schäfer – möglichst weit weg vom Geschehen. Joseph hingegen wurde zum zweitmächtigsten Mann Ägyptens nach Pharao. Sein Geist konnte nicht gebrochen werden – als Sklave, als Gefängnisinsasse oder als hoher Beamter konnte er sich immer auf das Wissen verlassen, dass hinter jeder Materialität und jeder Situation ein höherer spiritueller Sinn steht.
Diese Zuversicht und den daraus folgenden Optimismus wünsche ich uns allen.
In diesem Sinne Schabbat Schalom!
Zur Person: Katia Novominski Katia Bruria Novominski, geboren 1985 in Kiew, aufgewachsen in Dresden. Studierte Gymnasiallehrerin für Physik und Russisch. Vor 20 Jahren fing sie mit jüdischer Jugendarbeit in Sachsen an, später arbeitete sie sechs Jahre im Vorstand der Jüdischen Gemeinde in Dresden und leitete Bildungsprojekte bei der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). Geschäftsführerin der Jüdischen Kultusgemeinde Karlsruhe, anschließend Leiterin der Repräsentanz der Jewish Agency for Israel in Berlin, jetzt Geschäftsführerin des Bundes traditioneller Juden in Deutschland (BtJ), Rebbetzin der jüdischen Gemeinden in Halle und Dessau, Religionslehrerin in Sachsen-Anhalt und – das ist ihr am wichtigsten: Ehefrau von Rabbiner Portnoy und Mutter von vier Söhnen.
Schabbat Schalom bei MDR KULTUR
Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.
Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.
"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 20. Dezember 2024 | 15:45 Uhr