
Schabbat Schalom | 28.03.2025 Rabbinerin Esther Jonas-Märtin: Selbst den kleinsten Anteil würdigen
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20. Februar 2025, 15:03 Uhr
Meist nehmen wir nur die großen Ereignisse wahr. Und vergessen allzu oft, wie viele kleine Schritte dazu geführt haben. Doch sollten wir unseren eigenen Anteil, die Welt besser zu machen, nicht übersehen, meint die Leipziger Rabbinerin Esther Jonas-Märtin in ihrer Auslegung des Wochenabschnitts "Pekudei".
In unserer Lesung dieser Woche "Pekudei" bekommen Aaron und die Priester ihre Kleidung, die sie als Priester für die Arbeit im Tempel kennzeichnet. Dies markiert auch das Ende der Arbeit am Tempel selbst. Moses weiht Aaron und dessen Söhne für das Priesteramt. Schließlich erscheint eine Wolke über dem Versammlungszelt und die Gegenwart G'ttes füllt den Tempel.
Eines ist allerdings ungewöhnlich in dieser Parascha: sie beginnt nämlich damit, dass Bezalel, der Baumeister, alles mithört, was G'tt Moses über die Konstruktion des Tempels mitteilt. Die Kette der Kommunikation wäre normalerweise folgendermaßen: G'tt spricht zu Moses, Moses übermittelt an das Volk, an Aaron oder die Priester oder eben an Bezalel.
"Und Bezalel, Sohn von Uri, dem Sohn von Hur, vom Stamm Judah führte alles aus, wie es von G'tt an Moses aufgetragen war." (Ex.35:22)
Der bekannte Rabbiner und Kommentator des Mittelalters Raschi erklärt: Es ist nicht gesagt, dass Bezalel alles machte, was ihm aufgetragen war, sondern es ist gesagt, dass Bezalel alles tat, was G'tt Moses aufgetragen hatte. Bezalel verfügte über quasi göttliche Inspiration und Fähigkeiten, so dass eine Mittlerfunktion durch Moses überflüssig war.
Bezalel hat ganz intuitiv die Natur der Schöpfung verstanden. Er hat die Fähigkeit, schöpferische Ästhetik wahrzunehmen und mehr noch: Er kann aufgrund dieses Verstehens selbst schöpferisch tätig sein.
Daher betrachtet ihn die Tora auch als Künstler, der mit Weisheit ausgestattet andere Künstler zu schöpferischem Handeln inspiriert. Während jeder Künstler beim Bau des Tempels individuell kreativ ist, ist es Bezalel, der jede dieser einzelnen Schöpfungen in dieses große Werk mit hineinnehmen kann.
Jede einzelne Schöpfung ist an sich wesentlich, wichtig und bedeutsam: aber keine kann ohne die anderen wirklich in voller Pracht strahlen. Jedes Detail wirkt nur dann in voller Bedeutung, wenn es all die anderen Details gibt.
Die eigentliche Botschaft der Tora mit dem konkreten Bericht auch über die kleinsten Details zum Bau des Tempels liegt nicht in einer Detailversessenheit, wie man annehmen könnte oder in Kontrollsucht, sondern darin, auch die Bedeutung des kleinsten Anteils zu würdigen.
Wir tendieren dazu, nur die großen Ereignisse zu sehen. Momente wie der Fall der Mauer, alle großen gesellschaftlichen oder politischen Entscheidungen sind Ereignisse, die unser aller Leben geprägt haben und prägen. Doch vergessen wir nur allzu oft, wie viele kleine Schritte, wie viele kleine Entscheidungen und persönliche Opfer dazu notwendig waren und sind. Die Tora, mit ihrer detaillierten Beschreibung, erinnert uns daran, wie wichtig unser aller Beitrag ist.
Wenn wir die Welt zu einem besseren Ort machen wollen, dann ist der beste Ort, damit anzufangen, unser eigener "Tempel" - unsere Wohnungen oder unsere Arbeitsplätze. Die Welt besser zu machen beginnt nicht VOR der eigenen Haustür sondern IN unseren Häusern. Auch wenn wir die globale Welt nicht aus den Augen verlieren sollten, so sollten wir nicht in die Falle tappen, darüber unseren eigenen Anteil zu versäumen.
Es kann sein, dass wir die große Weltpolitik nicht ändern können, aber wir können unseren Anteil dafür leisten, dass Menschen hier in Leipzig, in Sachsen, in Deutschland besser leben können.
Wir können gegen Diskriminierung und gegen Rassismus aktiv werden. Wir können für Umwelt- und Tierschutz eintreten, und auch wenn wir nicht alle retten können- für das lebendige Wesen, dass wir aus dem Tierschutz adoptieren, bedeutet es die Welt. Für den Menschen, dem wir beistehen, bedeutet es das Leben. Oftmals genügt dafür unsere Unterschrift unter eine Petition oder eine Spende an eine entsprechende Organisation.
Gerade jetzt, wenn sich die Ereignisse oft überschlagen, wenn wir dazu tendieren, uns in globalen Nachrichten zu verlieren, gerade jetzt gilt: Think globally, act locally! Denke global, agiere lokal!
Schabbat Schalom!
Zur Person: Rabbinerin Esther Jonas-Märtin
Esther Jonas-Märtin absolvierte Jüdische Studien, studierte Literaturwissenschaft, Moderne Geschichte und Religionswissenschaften in Leipzig und Potsdam und erwarb 2006 den Master of Arts.
2017 schloss sie ihr Studium zur Rabbinerin mit dem Master of Arts in Rabbinics und der Rabbinischen Ordination in Los Angeles ab.
Sie ist Initiatorin und Gründerin des Lehrhauses Beth Etz Chaim in Leipzig (2018) sowie Referentin und Autorin einer Vielzahl von Artikeln und Beiträgen in den Themenbereichen: moderne jüdische Geschichte, Gender, Jiddische Poesie, Jüdische Ethik und Judentum.
Schabbat Schalom bei MDR KULTUR
Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.
Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.
"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 28. März 2025 | 15:45 Uhr