MDR KULTUR | Schabbat Schalom Wochenabschnitt Schlach Lecha: Von den verschiedenen Formen der Sünde

11. August 2023, 12:00 Uhr

Die Sünde eines Menschen gegen sein Volk kann trotz Bußfertigkeit und Reue nicht gesühnt werden, meint Kantor Elija Schwarz in seiner Auslegung des Wochenabschnitts Schlach Lecha.

In unserer dieswöchigen Parascha Schlach Lecha nähern sich die Bnej Jissra‘el (Kinder Israels - Volk Israels) der Grenze zum Heiligen Land und der Ewige beauftragt Mosche zwölf angesehene Männer, je einen pro Stamm, als Meraggelim (Späher) in das Land zu schicken.

Sie sollen ausspähen, ob es gut sei, wer es bewohnt und wie es verteidigt wird. Die Tora führt alle Meraggelim namentlich auf. Vom Stamme Efrajim geht Hosche‘a bin Nun mit und erhält von Mosche den Beinamen Jehoschu‘a.

Die Späher ziehen nach Chewron (Hebron) und dann weiter ins Eschkol-Tal, das Tal der Trauben, wo sie eine Weintraube abschneiden und ob ihrer Größe von zwei Männern transportieren lassen müssen.

Nach 40 Tagen kehren die Späher zu ihrem Lager zurück und zeigen als Beweis für die Güte des Landes die herrlichen Früchte vor. Sie bezeichnen das Land als "Erez sawat chalaw udewasch – ein Land, in dem Milch und Honig träuft".

Beim Bericht über die Verteidiger des Landes und damit über die Eroberungschancen gibt es Uneinigkeit. Zehn Späher berichten von in befestigten Städten verschanzten riesenhaften Bewohnern – es sei unmöglich sie zu besiegen. Lediglich Jehoschu‘a und Kalew sprechen dagegen und versuchen das Volk von der Möglichkeit des Erfolges zu überzeugen.

Das Volk aber ist entmutigt, trauert die ganze Nacht, murrt und rebelliert gegen Mosche. Sie wollen sich einen neuen Anführer wählen und zurück nach Mizrajim (Ägypten) ziehen.

Jehoschu‘a redet zu den Kindern Jissra‘els, dass das Land nicht der Beschreibung der zehn Späher entspricht, sondern "Towa ha‘arez me‘od me‘od – Das Land ist gar sehr gut". Das Volk will ihn steinigen.

Gott spricht zu Mosche, er wolle das ganze Volk vernichten und alleine mit Mosche noch mal von vorne anfangen. Mosche bittet für sein Volk und erklärt Gott, dass es die Völker als Sein Unvermögen auffassen könnten, wenn Er Sein Volk nicht, wie zugesagt, in Sein Land bringt.

Der Ewige ändert seinen Beschluss und verschont sein Volk. Aber das Land soll nunmehr erst nach vierzigjähriger Wanderung durch die Wüste erobert werden. Bis zu diesem Zeitpunkt werden alle heute über Zwanzigjährigen in der Wüste sterben und nur ihre Kinder werden das Land betreten können. Die Ausnahme sind Kalew und Jehoschu‘a.

Die zehn fehlmeldenden Späher belegt der Ewige mit einer Plage, an der sie sterben. Die Bnej Jissra‘el bedauern ihr Verhalten und wollen deshalb auf den Berg steigen, von dem der Ewige sprach. Mosche weist sie darauf hin, dass das der nächste Verstoß gegen Gottes Anordnungen ist, und da Gott nicht mit ihnen ist, werden sie dabei von den Kenanitern und Amalekitern geschlagen.

Mosche erhält schon für die Zeit des Einzugs ins versprochene Land einige Vorschriften und abschließend gibt der Ewige das Gebot sich Zizit, die Schaufäden sichtbar an die Ecken der Kleidungsstücke anzubringen. Sie sind aus weißem und blauem Wollfaden und sollen die Juden stets an die Vielzahl Gottes Gebote erinnern. Der Abschnitt über die Zizit bildet den dritten Teil des "Schma Jissra‘el"-Gebetes.

Die ersten zwei Kapitel unseres Wochenabschnittes erzählen die Geschichte von den Meraggelim. Verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten sind im Schwange, zum Beispiel Landspäher, Spione oder auch Kundschafter.

Die Berichterstattung von zehn der zwölf Späher und die Reaktion der Bnej Jissra‘el (Kinder Israels) darauf, gilt als eine der zwei großen Verfehlungen, welche unser Volk während seiner Wanderschaft durch die Wüste beging. Die andere war die Anbetung des Egel Sahaw, des goldenes Stierkalbbildnisses.

Was war am Verhalten der Kundschafter eigentlich so schlimm? Ist es nicht ein wenig übertrieben, diese zehn Späher sterben zu lassen, nur weil sie ihren Job gemacht haben und es einfach angesichts der vermeintlichen militärischen Übermacht der Kena‘aniter mit der Angst zu tun bekamen?

Alle Sünden der Kinder Jissra‘els wurden in der Tora vergeben, auch die des Egel Sahaw. In dessen Folge hatte der Ewige selbst Mosche beigebracht, die Schelosch Essre Middot HaRachamim, die dreizehn göttlichen Attribute der Barmherzigkeit zu rezitieren. Und Gott ließ sich durch diese Rezitation umstimmen.

So war es auch nach der Reaktion des Volkes auf die Berichte der zehn Späher, als Gott drohte die Israeliten zu vernichten. Im Babylonischen Talmud, Traktat Rosch HaSchana 17b, lesen wir: "Wann immer die Israeliten sündigen, sollen sie diese Ordnung tun, und ich werde ihnen verzeihen."

Aber die Sünde der Späher blieb ungesühnt. Dabei taten sie doch Buße und bekannten sich schuldig (14:40): "Hier sind wir, dass wir hinaufziehen an den Ort, von dem der Ewige gesprochen; denn wir haben gesündigt."

Rabbiner Jizchak Elchanan Spektor aus Kowno, dem heutigen litauischen Kaunas, er lebte im 19. Jahrhundert., führte zu dieser Stelle folgende Gedanken aus.

Die Sünde eines Menschen gegen Gott, wird von diesem nach Anerkennung der Schuld und vollzogener Buße vergeben. Die Sünde eines Menschen gegen seinen Mitmenschen, wird nach Wiedergutmachung des Unrechts und Aussöhnung mit dem Geschädigten vergeben. Die Sünde eines Menschen gegen sein Volk kann trotz Bußfertigkeit und Reue nicht gesühnt werden, so wie der Prophet Amos in 9:10 spricht: "Durch das Schwert sollen Sterben all die Sünder gegen mein Volk."

Schabbat Schalom und alles Gute für Euch und Eure Familien und Freunde

Kantor Schwarz


Zur Person: Elija Schwarz
Elija Schwarz (*1969) arbeitet als Kantor für die Jüdische Gemeinde zu Dresden. Außerdem ist er als Kantor und Religionslehrer für den Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen tätig und auch für das Jüdische Seniorenheim Hannover zuständig. Zuvor war er fünf Jahre lang Kantor der Etz-Chaim-Synagoge in Hannover. Darüber hinaus betreut er seit fast zwei Jahrzehnten die Jüdische Gemeinde Elmshorn in Schleswig-Holstein. Wenn er nicht dienstlich unterwegs ist, lebt Elija Schwarz in Bitterfeld.

Schabbat Schalom bei MDR KULTUR Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 28. Juni 2024 | 15:45 Uhr

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