MDR KULTUR | 26.04.2024 Schabbat Schalom mit Katia Novominski: Mit kleinen Schritten Großes erreichen

19. Januar 2023, 11:18 Uhr

Jeder Mensch ist imstande, an sich selbst zu arbeiten. Und auf diese Weise zur besten Version seiner selbst zu werden. Das ist die Botschaft der Religionspädagogin Katia Novominski zum Pessachfest.

Diese Woche begehen wir einen besonderen Schabbat - den Schabbat chol hamoed von Pessach. Wir sind mitten in der Woche des Pessachfestes, bei dem wir uns an den Auszug aus Ägypten erinnern. Für uns heißt es, dass wir diese Woche nicht im regulären Lesezyklus der Wochenabschnitte bleiben, sondern, wie zu allen Feiertagen, einige andere ausgewählte Kapitel lesen.

In dieser Woche sind das einige Teile des Wochenabschnitts Ki Tissa, den wir hier schon vor einigen Wochen besprochen haben. Daher würde ich gerne die Gelegenheit nutzen und mehr über die besondere Zeit sprechen, in der wir uns jetzt befinden. Es gibt in der Tora ein besonderes Gesetz, und zwar das Gebot der Omer-Zählung.

Das größte Geschenk: die Tora

Was zählt man? 49 Tage, also sieben Wochen zwischen den Festen Pessach und Schavuot, dem Fest des Toraempfangs. Wer sich für die Einzelheiten dieses Gebotes interessiert, kann diese gerne nachlesen, ich werde heute nicht darauf eingehen. Was uns interessiert, ist, was denn das Besondere an dieser Zählung bzw. diesen sieben Wochen ist. Warum muss man Tage zählen? Ist es eine Art jüdischer Adventskalender? Gibt es zu Schavuot viele Geschenke?

Natürlich nicht! Es gibt an Schavuot schon ein Geschenk – das größte vielleicht, das die Welt erhalten hat und zwar die Tora, die nicht nur die Grundlage fürs Judentum bildet, sondern auch die Hauptquelle der ethischen und moralischen Vorstellungen der drei abrahamitischen Religionen.

Und auf so eine große Gabe soll man sich vorbereiten. Dabei geht es vor allem um unsere private Vorbereitung, um die Verbesserung unserer Persönlichkeit, und das ist das wichtigste Ziel der Omer-Zeit. Jeden Tag soll man sich einem der Aspekte seines Selbsts widmen und versuchen, diesen zu verbessern. Geht das überhaupt? Wir sind doch alle schon erwachsene Menschen, mit unseren Charakteren und unseren Besonderheiten, unseren Gewohnheiten und so weiter und so fort. Der heutige Trend geht ja Richtung Akzeptanz der eigenen Persönlichkeit. Sollen doch die anderen lernen, mit mir umzugehen!

An sich selber arbeiten

Ganz falsch, sagt uns die Tora! Jeder Mensch ist in der Lage, an sich selbst zu arbeiten und die beste Version seiner selbst zu werden. Man kann mit kleinen Schritten schon viel Großes erreichen. Stellen wir uns doch selbst Fragen zu den Basisaspekten unserer Charaktereigenschaften, an denen wir laut der Tora gerade jetzt arbeiten müssen.

Bin ich gütig genug? Gebe ich ausreichend? Urteile ich positiv über meine Mitmenschen? Bin ich stark und mutig genug? Bin ich bereit, eine Aufgabe zu übernehmen, die notwendig ist, vor der ich aber vielleicht Angst habe? Habe ich in meinem Leben eine Balance zwischen Geben und Nehmen, zwischen Tun und Lassen?

Tue ich vielleicht zu viel? Oder tue ich etwa zu wenig? Bin ich hartnäckig genug? Habe ich vielleicht etwas aufgegeben, weil ich eben nicht hartnäckig genug war?  Wie sieht es mit dem Frieden aus? Habe ich vielleicht noch offene Konflikte, die ich lösen kann? Habe ich die moralischen Normen auf dem Schirm, vor allem wenn es um das Erreichen meiner persönlichen Ziele geht?  Und vielleicht eine der wichtigsten Fragen: weiß ich die Mitmenschen um mich herum zu schätzen? Sage ich es ihnen? Bedanke ich mich bei meiner Familie, meinen Freunden und meinen Kollegen?

Ich wünsche allen, dass sie Antworten auf diese Fragen suchen und finden. Und wenn wir alle es geschafft haben, dann sind wir alle ein Stück besser geworden - und damit auch ein bisschen unsere Welt. Und damit wäre das Ziel dieser besonderen Zeit erreicht.

In diesem Sinne – Schabbat schalom!

Zur Person: Katia Novominski Katia Bruria Novominski, geboren 1985 in Kiew, aufgewachsen in Dresden. Studierte Gymnasiallehrerin für Physik und Russisch. Vor 20 Jahren fing sie mit jüdischer Jugendarbeit in Sachsen an, später arbeitete sie sechs Jahre im Vorstand der Jüdischen Gemeinde in Dresden und leitete Bildungsprojekte bei der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). Geschäftsführerin der Jüdischen Kultusgemeinde Karlsruhe, anschließend Leiterin der Repräsentanz der Jewish Agency for Israel in Berlin, jetzt Geschäftsführerin des Bundes traditioneller Juden in Deutschland (BtJ), Rebbetzin der jüdischen Gemeinden in Halle und Dessau, Religionslehrerin in Sachsen-Anhalt und – das ist ihr am wichtigsten - Ehefrau von Rabbiner Portnoy und Mutter von vier Söhnen.

Schabbat Schalom bei MDR KULTUR Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 26. April 2024 | 15:45 Uhr