MDR Kultur | 07.03.2025 | Wochenabschnitts "Tezawe" Schabbat Schalom mit Milan Andics: Priester und Propheten
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07. März 2025, 11:25 Uhr
Priester und Propheten – beide sind wichtig im Judentum. Die Priester verweisen das Volk Israel auf seine Bestimmung, ein Volk Gottes zu sein. Die Propheten dagegen fordern ein, was dazu nötig ist: soziale Gerechtigkeit, Freundlichkeit und Mitgefühl. Das meint Milan Andics, Kantor der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, in seiner Auslegung des Wochenabschnitts "Tezawe".
Im Mittelpunkt unseres aktuellen Wochenabschnittes steht die Rolle der Priester, die den Tempeldienst verrichten. Im Rampenlicht steht dieses Mal nicht Moses, sondern sein Bruder Aron, der Hohepriester. Wir erfahren Einzelheiten über das Amt der Priester, ihre Bekleidung und ihre Weihe.
Doch es geht nicht einfach nur darum, dass Moses nicht im Mittelpunkt steht. Er wird tatsächlich gar nicht erst erwähnt. Das ist sehr interessant, denn somit ist dieser Wochenabschnitt der einzige vom 2. bis zum 5. Buch Moses, in dem sein Name nicht ein einziges Mal vorkommt.
Es gibt natürlich zahllose Interpretationen, warum das so ist. Der berühmte Gaon von Wilna, ein besonders vielseitiger jüdischer Gelehrte aus dem Litauen des 18. Jahrhunderts, sagte zum Beispiel, dass die Abwesenheit von Moses damit zu tun hat, dass dieser Wochenabschnitt in der Regel in der Woche des Todestages von Moses gelesen wird. In dieser Woche spüren wir den Verlust des größten jüdischen Anführers ganz besonders
Eine andere beliebte Erklärung hängt mit dem Wochenabschnitt der nächsten Woche zusammen. Moses steht darin in einer sehr emotionalen Rede für sein Volk ein und sagt sinngemäß zu G.tt: "Wenn du dem Volk Israels nicht vergibst, lösche meinen Namen aus deinem Buch!" Es gibt ein Prinzip, das besagt, dass der Fluch eines Weisen auch dann wahr wird, wenn er an Konditionen gebunden ist. Deshalb soll also Moses' Name aus einem Kapitel der Tora gestrichen worden sein.
Nach einer dritten Interpretation geht es darum, dass Moses die Konsequenzen dafür tragen muss, dass er G.tt darum gebeten hat, jemand anderen statt ihn zu wählen, der das Volk Israel aus Ägypten führen sollte. G.tt wurde wütend auf Moses und sagte ihm, dass Aron, sein Bruder, ihm zur Seite stehen werde. Die Strafe für Moses war, dass nicht er, sondern sein Bruder Aron der erste Hohepriester wurde. Da der ganze Wochenabschnitt dem Priestertum gewidmet ist, fehlt Moses dieses Mal.
Bei allen drei Interpretationen geht es um Abwesenheit. Allerdings ist vielleicht die einfachste Erklärung, dass es in diesem Wochenabschnitt nicht um Abwesenheit, sondern gerade umgekehrt um Präsenz geht. Eine Präsenz, die die ganze weitere jüdische Geschichte nachhaltig geprägt hat: die Geburtsstunde des Priestertums.
Die jüdische Tradition ist in dem Sinne ungewöhnlich, dass sie gleich zwei Formen von religiöser Führung anerkennt, die des Propheten, und des Priesters. Die Figur des Propheten ist etwas ganz besonderes. Er (oder sie) ist eine charismatische Persönlichkeit, die sich unerschrocken gegen die Gesellschaft und zur Not auch gegen Könige stellt, um G.ttes Wahrheit zu verkünden. Kein anderer Typus der religiösen Gemeinschaft hatte so viel Einfluss wie die Propheten, unter denen Moses als der größte aller Propheten gilt. Im Gegensatz dazu waren die Priester von ruhigerer Natur, sie waren a-politisch, und ihre Arbeit konzentrierte sich auf den Tempeldienst. Nichtsdestotrotz war in erster Linie das Priestertum diejenige Institution, die das Volk Israel zu einem "geheiligten Volk" gemacht hat. Israel war dazu prädestiniert, zu einem "Volk von Priestern" zu werden, nicht zu einem "Volk von Propheten".
Was unterscheidet den Propheten vom Priester?
- Das Priesteramt vererbt sich von Generation zu Generation, bei den Propheten ist das nicht der Fall. Das beste Beispiel ist Moses, nicht sein Sohn, sondern einer seiner Anhänger, Joschua wurde sein Nachfolger.
- Der Aufgabenbereich der Priester beschränkt sich auf den Tempeldienst, wie er in den Schriften beschrieben wird. Individualität und Charisma sind nicht erforderlich. Bei Propheten sieht das anders aus, es gibt keine zwei Propheten, die denselben Stil haben.
- Dem Priester gebührte von Amts wegen eine gewisse Ehre. So ein Protokoll gab es gegenüber den Propheten nicht.
- Priester sonderten sich vom restlichen Volk ab. In orthodoxen Gemeinden ist es selbst den heutigen Nachfahren der Priester zum Beispiel verboten, Frauen aus bestimmten Schichten der Bevölkerung zu heiraten. Propheten waren normalerweise Teil der Gesellschaft.
- Priester haben in aller Stille die Opfergaben dargebracht. Propheten dienten G.tt durch Worte.
- Das Priestertum repräsentiert Struktur, das Prophetentum repräsentiert Spontaneität.
- Schlüsselbegriffe des Vokabulars eines Priesters wären: heilig und profan, rein und unrein. Schlüsselbegriffe des Vokabulars eines Propheten wären: soziale Gerechtigkeit, Freundlichkeit und Mitgefühl.
Die Aufgabe des Priesters ist es, das Heilige vom Profanen zu trennen, die Aufgabe des Propheten ist es, G.ttes Willen zu verkünden. Der Unterschied zwischen dem priesterlichen und dem prophetischen Bewusstsein liegt in erster Linie darin, dass die Priester den Willen G.ttes für alle Zeiten verkünden, die Propheten hingegen verkünden den aktuellen Willen G.ttes. Ohne die Propheten wäre die jüdische Religion nicht zu der geworden, die sie heute ist, aber ohne das Priestertum wären die Kinder Israels kein Volk der Ewigkeit geworden.
Der Anfang unseres Wochenabschnittes fasst dies auf eine wunderschöne Art und Weise zusammen:
"Und du gebiete den Kindern Israels, dass sie dir bringen Olivenöl, lauteres, ausgepresstes, zur Beleuchtung, um die Lampen beständig anzustecken. Im Stiftzelte, außerhalb des Vorhangs, der vor dem Zeugnis, sollen es zurecht machen Aharon und seine Söhne für den Abend bis zum Morgen vor dem Ewigen, eine Satzung für ihre Geschlechter aus den Kindern Israels."
Moses, der Prophet, dominiert vier der fünf Bücher der Tora, aber dieser Wochenabschnitt ist dem ersten Priester, Aron, gewidmet, und zwar ohne dass sein Bruder Moses ihm die Show stiehlt. Moses war derjenige, der den jüdischen Funken entzündet hat, und Aron derjenige, der diesen Funken gepflegt und ihn zu einer ewigen Flamme entfacht hat.
Zur Person: Kantor Milan Andics Milan Andics wurde 1984 in Budapest geboren. Bis zu seinem 10. Lebensjahr wuchs er in der Nähe von Düsseldorf auf, bevor er mit seiner Familie zurück nach Ungarn zog. In Budapest studierte Andics unter anderem Deutsch und Englisch, dort erwarb er auch einen Bachelor-Abschluss in Hebräischer Sprachwissenschaft. Zudem verbrachte er ein Jahr mit einem Studienaufenthalt in Jerusalem. Im September 2024 wurde Milan Andics als Kantor ordiniert, nachdem er zuvor eine Kantorenausbildung am Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam absolviert hatte. Bereits seit Mai 2024 arbeitet Andics als Kantor der Jüdischen Landesgemeinde Thüringens.
Schabbat Schalom bei MDR KULTUR
Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.
Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.
"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 07. März 2025 | 15:45 Uhr