MDR Kultur | 12.07.2024 | Wochenabschnitt "Chukat" Schabbat Schalom mit Rabbiner Elischa Portnoy: Das Unlogische richtig einordnen
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11. Juli 2024, 15:51 Uhr
Im Judentum gibt es Gebote, die auf den ersten Blick keinen Sinn ergeben. Auch sie gilt es zu befolgen, sagt der Hallenser Rabbiner Elischa Portnoy. Schließlich gibt es auch im Leben manchmal Situationen, in denen es wichtig sein kann, Anweisungen genau zu befolgen, ohne sie zu hinterfragen.
Am kommenden Schabbat lesen wir den Wochenabschnitt "Chukat" – "die Satzung". Es ist interessant zu bemerken, dass es im Judentum drei Arten von Geboten gibt. Die erste Art, "die Gesetze", sind die Gebote, die logisch und nachvollziehbar sind, wie "nicht morden", "nicht ehebrechen", "nicht stehlen" usw. Die zweite Art der Gebote sind die "Erinnerungen". Das sind die Gebote, die wegen eines historischen Ereignisses gegeben wurden, wie der Schabbat als Erinnerung an die Schöpfungsgeschichte oder das Pessach-Fest als Erinnerung an den Auszug der Juden aus Ägypten.
Und die dritte Art der Gebote sind die "Satzungen" – das sind die Gebote, die keinen Sinn ergeben bzw. keine logische Erklärung haben. Das bekannteste Gebot dieser Art wäre das Verbot, Schweinefleisch zu essen.
Unser Wochenabschnitt stellt gleich zu Beginn ein Gebot vor, das als eine ultimative Satzung gilt: es ist das Gebot über die Asche der Roten Kuh. Es ist die unlogischste Satzung, die man sich vorstellen kann: die Asche der Roten Kuh reinigt die Menschen, die rituell unrein geworden sind, jedoch werden gleichzeitig alle, die mit dieser Asche in Berührung kommen, dadurch selbst rituell unrein!
Der weiseste Mensch auf Erden, König Salomon, sagte einmal, dass er den Sinn aller Gebote nachvollziehen könne, mit Ausnahme dieses einen Gebots.
Es wird oft gefragt, was es für einen Sinn macht, die Gebote auszuüben, wenn man ihre Logik nicht nachvollziehen kann und man auch nicht versteht, wozu das gut sein sollte?! Ist es nicht so, dass wir achtsam sein und genau überlegen sollen, was wir machen? Doch auch in unserem Leben gibt es manchmal Situationen, in denen es wichtig sein kann, Anweisungen genau zu befolgen, ohne sie zu hinterfragen.
Eine Episode des berühmten Romans von Arthur Hailey, "Airport", handelt von dem Fluglotsen Keith Bakersfield und einer Katastrophe, die er nicht verhindern konnte. Ein ungeschriebenes Gesetz im Flugverkehr lautet, dass der Kapitän des Flugzeuges die Anweisung der Fluglotsen sofort ausführen soll, auch wenn es mit Unannehmlichkeiten für Passagiere und Crew verbunden sein könnte. Erst dann wird diskutiert, wieso und weshalb diese Anweisung erfolgte. Im Falle von Keith Bakersfield saß ein Amateurpilot am Steuer des Flugzeugs.
Und als plötzlich neben dem Flugzeug dieses Hobbyfliegers ein von seinem Kurs abgegangenes Militärflugzeug auftauchte, versuchte der Fluglotse vergeblich, das Flugzeug des Amateurfliegers zu retten, indem er die sofortige Kursänderung befahl: der Pilot des Kleinflugzeugs, der für solche Fälle nicht trainiert war, zögerte ein paar Sekunden um zu verstehen, warum er jetzt seinen Kurs ändern sollte. Diese wenigen Sekunden waren jedoch entscheidend: das Militärflugzeug rammte sein Flugzeug, und damit war die vierköpfige Familie, die im leichten Flugzeug saß, ausgelöscht.
In der ereignisreichen jüdischen Geschichte gab es mehrere Fälle, bei denen sich die Anweisungen der großen Rabbiner, die nicht logisch und nachvollziehbar erschienen, erst Jahre oder sogar Jahrzehnte später als richtig erwiesen.
Unsere Weisen nennen noch einen Grund für die Wichtigkeit der unlogischen Satzungen. Wir praktizieren die logischen Gebote, die "Gesetze“" weil sie für uns Sinn machen. Sollten sich die Bedingungen irgendwann geändert haben und diese Gesetze in unseren Augen nicht mehr "zeitgemäß" und "logisch" sein, könnte es uns dazu verleiten, aufzuhören diese Gebote zu halten. Deshalb sagen unsere Weisen, dass sogar solche nachvollziehbaren Gebote wie "nicht morden" oder "nicht ehebrechen" nicht unsere Erfindung sind, sondern die Gebote G’ttes. Und wir sollen sie nur aus einem einzigen Grund halten: weil G’tt es so befohlen hat. Und da helfen uns die unlogischen Satzungen: so wie wir die Satzungen halten, obwohl wir sie nicht verstehen, genau so sollen wir auch alle anderen Gebote halten. Irgendwann werden wir sie schon verstehen.
Schabbat Schalom.
Zur Person: Rabbiner Elischa M. Portnoy
Rabbiner Elischa M. Portnoy wurde 1977 in Nikolaew in der Ukraine geboren. Seit 1997 lebt er in Deutschland. 2007 erwarb er sein Diplom als Ingenieur für Elektrotechnik an der TU Berlin. 2012 schloss er seine Ausbildung am Rabbinerseminar zu Berlin ab und erhielt die Smicha.
Elischa M. Portnoy arbeitet als Militärrabbiner der Bundeswehr am Standort Leipzig und betreut die Jüdische Gemeinde in Halle / Saale. Er ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ORD). Er ist verheiratet mit Rebbetzin Katia Novominski und Vater von vier Söhnen.
Schabbat Schalom bei MDR KULTUR
Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.
Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.
"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 12. Juli 2024 | 15:45 Uhr