Schabbat Schalom | MDR Kultur | 01.11.2024 Wochenabschnitt "Noach": Die Verpflichtung zum Wiederaufbau der Welt
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02. August 2024, 11:00 Uhr
Als die große Sintflut kommt, wird Noach mit seiner Familie in der Arche gerettet. Aber damit ist auch eine Aufgabe verbunden: die Welt nach ihrer Zerstörung wieder aufzubauen. Darauf macht Rabbiner Alexander Nachama in seiner Auslegung des Wochenabschnitts „Noach“ aufmerksam.
Im Wochenabschnitt "Noach" steht die Menschheit nach nur zehn Generationen vor ihrem Untergang. Die Erde war, wie wir lesen, "voller Gewalttätigkeit". Gott beschließt, die Menschheit zu vernichten – alle bis auf Noach, seine Familie und einige Tiere.
Noach bekommt von Gott die Anweisung, eine Arche zu bauen. Diese soll drei Stockwerke gehabt haben. Das unterste Stockwerk war für den Dünger, hier wurde die Nahrung für Menschen und Tiere angebaut. Das mittlere Stockwerk war für die Tiere, das oberste für die Menschen
Aber was befand sich im obersten Stockwerk? Nicht viel mehr als Licht und Plätze zum Schlafen. Insgesamt sollen sich Noach und seine Familie über ein Jahr in der Arche aufgehalten haben – das ist die Zeit vom Beginn der Flut, bis die Erde endlich wieder betreten werden konnte. Eine Frage, die im Midrasch gestellt wird, lautet, wie Noach und seine Familie die Zeit in der Arche verbracht haben.
Die Frage ist berechtigt. Erinnern wir uns an den Beginn der Corona-Pandemie, wo sich infizierte Menschen oder jene, die mit infizierten Menschen Kontakt hatten, in häusliche Isolation begeben mussten. Diese dauerte in aller Regel 10 bis 14 Tage. Zu Hause hat man meist vieles, das einen beschäftigen kann. Neben jenen, mit denen man zusammenwohnt, sicherlich auch Bücher, Internet, Fernsehen, Dinge, die repariert werden müssen oder im Haushalt anfallen: die Wäsche, Kochen und vieles mehr. Trotzdem habe ich häufig gehört, dass es den Menschen mit zunehmender Zeit immer schwerer fiel, zu Hause zu bleiben – was durchaus verständlich ist.
Ken Streit aus Langeweile
Aber versetzen wir uns nun einmal in die Lage von Noach und seiner Familie. Sie befanden sich über ein Jahr in der Arche – ohne Internet, ohne Fernsehen usw. Das zeigt einen weiteren Aspekt von Noachs Gerechtigkeit und der Gerechtigkeit seiner Familie: Sie haben sich miteinander vertragen, es ist kein Streit aus Langeweile entstanden.
Dennoch fragt der Midrasch: Was haben Noach und seine Familie den ganzen Tag gemacht? Sie waren, wie der Midrasch antwortet, den ganzen Tag mit den Tieren beschäftigt, sie zu füttern, ihren Stall aufgeräumt zu halten usw. Die meiste Zeit haben sie daher nicht im oberen Stockwerk verbracht, sondern in der Mitte, bei den Tieren.
Wieso sollte Noach dann überhaupt ein ganzes Stockwerk für sich und seine Familie bauen? Gott hätte doch wissen können, dass die Tiere viel Aufmerksamkeit brauchen und hätte Noach einige Arbeit ersparen können, indem beispielsweise nur ein kleiner Schlafbereich für ihn und die Familie eingebaut wird.
Aber darum geht es hier nicht. Es geht vielmehr darum, dass Noach und seine Familie nicht vergessen, dass sie nach der Flut eine fast leere Welt erwartet. Eine Welt, die wiederaufgebaut werden muss. Der große Bereich für Noach und seine Familie ist also einerseits ein Zeichen der Leere, andererseits ein Zeichen der Pflicht, nach der Flut wieder zu beginnen, diese Leere zu füllen.
Ich wünsche Ihnen einen von Freude erfüllten und erholsamen Schabbat – Schabbat Schalom!
Zur Person: Alexander Nachama
Geboren 1983 in Frankfurt am Main. 2005 erhielt er von Rabbiner Zalman Schachter-Shalomi, dem Gründer der Rabbiner- und Kantorenschule "Aleph", eine Urkunde als Kantor. 2008 erhielt er einen Bachelor in Judaistik (Freie Universität Berlin), 2013 einen Master (Universität Potsdam).
Ab 2007 absolvierte er eine Ausbildung am Abraham Geiger Kolleg mit Studienaufenthalten in Israel, die er 2013 mit der Ordination zum Rabbiner abschloss. 1998 - 2011 amtierte Alexander Nachama zunächst als ehrenamtlicher Vorbeter, später als Kantor in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.
In den Jahren 2012 - 2018 war er Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, bis August 2023 Landesrabbiner der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen. Inzwischen ist Alexander Nachama der zuständige Militärrabbiner für Berlin und Brandenburg.
Schabbat Schalom bei MDR KULTUR
Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.
Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.
"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 01. November 2024 | 15:45 Uhr