MDR KULTUR | 19.04.2024 | Wochenabschnitt "Metzorah" Schabbat Schalom mit Rabbinerin Esther Jonas-Märtin: Blut - Der Bund des Lebens
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07. März 2024, 12:40 Uhr
Ein gutes Gefühl für den eigenen Körper, das Wahrnehmen der eigenen Lebendigkeit – das wünscht die Leipziger Rabbinerin Esther Jonas-Märtin in ihrer Auslegung des Wochenabschnitts "Metzorah".
Metzorah, der Name der Lesung dieser Woche, ist die hebräische Bezeichnung für eine Person, die krank ist. In unserer Paraschah geht es zunächst um Rituale zur religiösen Reinigung für die Menschen und auch Häuser, die mit Hautkrankheiten zu tun hatten. Rituale, die mit räumlicher Distanz und zeitlicher Trennung zu tun haben. Daraufhin instruiert G'tt Moses und Aaron auch bezüglich des Umgangs mit Blut.
Blut galt schon früh als Träger der Lebenskraft, war bekannt als Urstoff und barg das Geheimnis zur Entstehung des Lebens. In der Hebräischen Bibel herrscht die Vorstellung, dass der Mensch aus "Fleisch und Blut" besteht. So sehr Blut als Lebenskraft gilt, so sehr ist es im Judentum verboten, Blut zu sich zu nehmen.
Blut ist Symbol für das Leben, aber auch für den Tod. Blut aus jüdischer Sicht ist auch Symbol für den Bund mit G'tt. Mit der Beschneidung, der Brit Mila, treten männliche Säuglinge in den Bund mit G'tt ein. Wenn männliche Juden durch Blut den Bund besiegeln, wie sieht das dann aus bei Mädchen und Frauen?
Nun, meine Kollegin Rabbinerin Elyse Goldstein bietet eine ganz besondere Sicht auf den Bund an. Sie verknüpft das Blut der Brit Mila mit dem Blut der Menstruation und stellt es auf dieselbe Ebene in Bezug auf den Bund mit G'tt, der eingeschrieben ist in unsere Körper. Blut erhält und gefährdet; es ist das Medium von Schmerzen, Tod und Geburt. Demnach hat Blut - wie jedes Symbol - die doppelte Qualität und das Zwillingspotential von Werden und Vergehen, Reinheit und Unreinheit.
Das gilt auch für Menstruationsblut. Kaum etwas ist so tabuisiert wie die Menstruation. Wir sind nur allzu oft uninspiriert und tatsächlich unberührt von unserem Körper, empfinden unsere Körperlichkeit als lästig oder gar peinlich.
Hartnäckig halten sich Vorurteile gerade in Bezug auf Menstruation und den Status der Frau. Wir sollten die negative Sicht und das Tabu ablehnen und stattdessen den positiven und heiligen Aspekt entdecken. Jede Menstruation ist der Hinweis auf das Potential einer Neuschöpfung von Leben. Jede Menstruation ist ein Hinweis auf den Zyklus des Lebens.
Wir können also eine Verbindung zwischen der Menstruation und dem Bund mit Gott knüpfen. Der Prophet Zecharjah spricht zu der "Tochter Jerusalem" und der "Tochter Zion" über den "Bundesschluss durch das Blut". Er betont damit, dass das Blut im Zentrum des Bundes mit dem Göttlichen steht.
Die Tatsache, dass hier ausdrücklich die weibliche Form verwendet wird, lässt darauf schließen, dass alle "Töchter Israels" diesen Bund in sich tragen. Ein Bund, der - wie das Blut bei der Beschneidung bei den männlichen Nachkommen - eingeprägt ist in unsere Körper. Das Blut der Menstruation ist demnach das Blut des Bundes.
Die Möglichkeiten für Rituale sind quasi endlos, weil dieser Bund nicht nur einmal am achten Tag nach der Geburt mit der Brit Mila geschlossen wird, sondern jeden Monat von der Menarche, der ersten Menstruation in der Pubertät, bis hin zur Post-Menopause.
Mit der Menstruation, von der Pubertät an, begreifen wir unsere Verantwortung als Jüdinnen und nehmen sie bis zur Menopause an – bis dann die Blutungen aufhören und die Erkenntnis einsetzt, dass Leben zu schaffen und Leben zu schützen zusammengehören.
Die Gebote der Distanz zwischen Eheleuten während der Menstruation, ebenso wie die Gebote der Annäherung und Sex sind ganz selbstverständlich Teil des Bundes mit G'tt für das Leben. So sind Frauen und Männer gleichermaßen in den Bund eingetragen oder eigentlich: Der Bund des Lebens ist in die Körper von Frauen und Männern eingeschrieben.
Mögen Sie Ihren Körper annehmen als Zeichen Ihrer Lebendigkeit. Mögen Sie mit dem Leben, mit jedem Leben, sorgsam umgehen.
Schabbat Schalom!
Zur Person: Rabbinerin Esther Jonas-Märtin
Esther Jonas-Märtin studierte Jüdische Studien, Literaturwissenschaft, Moderne Geschichte und Religionswissenschaften in Leipzig und Potsdam und erwarb 2006 den Master of Arts.
2017 schloss sie ihr Studium zur Rabbinerin mit dem Master of Arts in Rabbinics und der Rabbinischen Ordination in Los Angeles ab.
Sie ist Initiatorin und Gründerin des Lehrhauses Beth Etz Chaim in Leipzig (2018) sowie Referentin und Autorin einer Vielzahl von Artikeln und Beiträgen in den Themenbereichen: moderne jüdische Geschichte, Gender, Jiddische Poesie, Jüdische Ethik und Judentum.
Schabbat Schalom bei MDR KULTUR
Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.
Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.
"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 19. April 2024 | 15:45 Uhr