Wochenabschnitt Lech Lecha Schabbat Schalom mit Katia Novominski: Verschiedene Wege einschlagen
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09. November 2024, 11:01 Uhr
Manchmal ist es richtig, sich zu trennen und verschiedene Wege zu gehen – gesellschaftlich, beruflich und privat. Wenn bei Zielen, Werten und Lebensweisen ein gemeinsamer Nenner fehlt, ist es besser, einen Schlussstrich zu ziehen, meint die Religionspädagogin Katia Novominski in ihrer Auslegung des Wochenabschnitts "Lech Lecha".
Diese Woche lesen wir den Wochenabschnitt Lech Lecha - "Gehe!" auf Deutsch. Wir lernen nun den Vorvater Abraham kennen – den Vorreiter des Monotheismus und den Stammesvater aller nach ihm benannten abrahamitischen Religionen – Judentum, Christentum und Islam. Grundsätzlich sind die ersten Kapitel der Tora sehr ereignisvoll – wir lernen etwas über den Weg Abrahams ins Gelobte Land, wir lernen seine Frau Sarah kennen, Abraham zieht nach Ägypten, dann zurück ins Land Knaan, er kämpft, gewinnt einen Krieg, seine beiden Söhne werden geboren, und er erfüllt am Ende des Kapitels das Gebot der Beschneidung.
Aus den Kommentaren unserer Weisen lernen wir auch das Wesen dieses Vorvaters kennen. Wir verbinden Abraham mit dem Konzept von Chessed – grenzenloser Güte. Es wird erzählt, dass er sein Zelt an einer Straßenkreuzung hatte, und dass es einen sehr besonderen Aufbau hatte, es gab nämlich vier Eingänge – einen an jeder Seite. Müde Reisende konnten unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Reiseziel Ruhe und Verpflegung bei Abraham genießen. Diesen Umgang mit Menschen sollen wir nach seinem Vorbild anstreben.
Jedoch können wir auch noch etwas anderes, vielleicht ein wenig Unerwartetes von Abraham lernen. Im Kapitel 13, Verse 8 und 9 lesen wir folgende Sätze: „Da sprach Abram zu Lot: Nicht doch sei Gezänk zwischen mir und dir, und zwischen meinen Hirten und deinen Hirten, denn Verbrüderte sind wir. Ist nicht das ganze Land vor dir? Trenne dich doch von mir! Wenn zur Linken, so will ich mich rechts halten, wenn zur Rechten, so will ich mich links halten."
Zum besseren Verständnis brauchen wir ein paar Hintergrundinformationen. Wer war denn Lot? In einem Satz – Abrahams Neffe, der mit ihm aus Ur Kasdim ins Land Knaan gezogen war. Immer an seiner Seite, hat Lot Abraham unterstützt, aber auch von ihm profitiert, insbesondere hat er sein Reichtum Abraham zu verdanken.
Jetzt verstehen wir, weshalb die genannten Verse so unerwartet sind. Wenn Abraham so ein besonderer Mensch ist, für den die Nächstenliebe das allerhöchste Gut ist, weshalb trennt er sich dann von seinem Neffen? Wäre es nicht logischer, den Streit zu schlichten und einen guten gemeinsamen Weg zu suchen?
Nein, sagt uns Abraham bzw. die Tora und lehrt uns damit etwas sehr Wichtiges. Manchmal ist es richtig und absolut notwendig sich zu trennen und verschiedene Wege zu gehen! Wenn die Zusammenarbeit nicht funktioniert und insbesondere, wenn der Einfluss eines Menschen, eines Partners oder einer Organisation sich negativ auf das eigene Leben oder die eigene Sache auswirkt, dann muss man einen Schlussstrich ziehen! Aus den Kommentaren unserer Weisen und aus weiteren Handlungen von Lot wissen wir, dass er einen anderen moralischen Kompas als Abraham hatte. Deshalb war es für Abraham sehr wichtig auf getrennten Wegen zu gehen.
Und wie immer passt unser Wochenabschnitt perfekt zu unserer aktuellen Situation – wir sollten keine Angst haben, uns zu trennen, wenn die Ziele, die Werte oder die Lebensweisen keinen gemeinsamen Nenner haben und zwar in allen Kontexten – privat, beruflich, gesellschaftlich. Den Mut und die Kraft dazu soll uns allen der Ewige geben!
In diesem Sinne Schabbat Schalom!
Zur Person: Katia Novominski Katia Bruria Novominski, geboren 1985 in Kiew, aufgewachsen in Dresden. Studierte Gymnasiallehrerin für Physik und Russisch. Vor 20 Jahren fing sie mit jüdischer Jugendarbeit in Sachsen an, später arbeitete sie sechs Jahre im Vorstand der Jüdischen Gemeinde in Dresden und leitete Bildungsprojekte bei der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). Geschäftsführerin der Jüdischen Kultusgemeinde Karlsruhe, anschließend Leiterin der Repräsentanz der Jewish Agency for Israel in Berlin, jetzt Geschäftsführerin des Bundes traditioneller Juden in Deutschland (BtJ), Rebbetzin der jüdischen Gemeinden in Halle und Dessau, Religionslehrerin in Sachsen-Anhalt und – das ist ihr am wichtigsten: Ehefrau von Rabbiner Portnoy und Mutter von vier Söhnen.
Schabbat Schalom bei MDR KULTUR
Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.
Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.
"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 11. Oktober 2024 | 15:45 Uhr