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Bildrechte: Michal Natovich

MDR KULTUR | 31.01.2025 Schabbat Schalom: Niemals die Zuversicht verlieren

31. Januar 2025, 12:19 Uhr

Veränderung ist möglich – ganz gleich, wie lange sie dauert oder wie schwer sie scheint. Diese Hoffnung steckt in der Geschichte vom Auszug des Volkes Israel aus Ägypten, sagt die Leipziger Religionspädagogin Michal Natovich in ihrer Auslegung des Wochenabschnitts "Bo“.

Was ist das Geheimnis der jüdischen Resilienz? Wie hat die Geschichte des Auszugs aus Ägypten das jüdische Bewusstsein geprägt?

In dieser Woche lesen wir in der Tora, im Wochenabschnitt Bo, über die letzten Phasen des Befreiungsprozesses der Juden aus der Sklaverei, über Unterdrückung und Leid in Ägypten. Wir erfahren von den letzten Plagen und vom abschließenden Befehl des Pharaos, die Israeliten nach 430 Jahren in Ägypten, die größtenteils in schändlicher Sklaverei verbracht wurden, ziehen zu lassen.

Diese Geschichte des Auszugs aus Ägypten ist eine grundlegende Erzählung, die den Glauben und die Werte des jüdischen Volkes sowie der gesamten westlichen Gesellschaft tiefgreifend beeinflusst hat. Sie hat viele Facetten: Es geht um Befreiung, Gerechtigkeit und Veränderung, aber vor allem darum, auch in den dunkelsten Zeiten die Hoffnung nicht zu verlieren.

Diese Geschichte gab den Juden künftiger Generationen Hoffnung aufzustehen, weiter aufzubauen und niemals die Zuversicht zu verlieren. Die Hoffnung, die die Israeliten in Ägypten trotz jahrhundertelanger Unterdrückung bewahrten, vermittelt uns eine zentrale Botschaft: Veränderung ist möglich, selbst wenn sie unmöglich erscheint.

Diese Hoffnung trug das jüdische Volk durch viele schwierige Phasen seiner Geschichte bis in die Gegenwart. Wie der israelische Sänger und Songwriter Meir Ariel uns erinnert: "Aber wir haben den Pharao überstanden, daher können wir es auch jetzt schaffen."

Den Auszug aus Ägypten sich persönlich vorstellen

Jedes Jahr werden Juden am ersten Abend von Pessach im Rahmen der Lesung über den Auszug aus Ägypten aufgefordert, sich vorzustellen, sie seien persönlich aus Ägypten befreit worden. Diese Aufforderung, die wir an Pessach wiederholen, hat eine tiefe Bedeutung.

Sie fordert uns auf, uns in die Lage derer zu versetzen, denen die Freiheit genommen wurde. Wenn wir uns am Sederabend um den Tisch versammeln und die Haggada lesen, wird die Geschichte des Exodus lebendig. Wir erinnern uns nicht nur an die historische Befreiung, sondern auch an die Verpflichtung, Freiheit und Gerechtigkeit aktiv zu bewahren.

Diese Aufforderung zur Empathie mit denjenigen, die gelitten haben und der Freiheit beraubt wurden, bildet eine Grundlage der jüdischen Religion und Erziehung. Sie hat das Engagement der Juden für soziale Rechte und Gerechtigkeit seit jeher tiefgreifend beeinflusst.

Sich von der inneren Enge befreien

Doch die Geschichte des Exodus handelt nicht nur von der physischen Befreiung, sondern auch von der Befreiung des Geistes aus innerer Sklaverei. Das Wort "Ägypten" klingt im Hebräischen ähnlich wie das Adjektiv "Tzar" oder "eng" auf Deutsch. Wenn wir also von der Befreiung aus Ägypten sprechen, meinen wir auch die Befreiung von den "engen Stellen" in uns: schlechten Gewohnheiten, Süchten, Depressionen und allen möglichen inneren Kräften, die uns daran hindern, unser Leben voll und frei zu leben.

Diese Geschichte erinnert uns daran, dass Veränderung, egal wie lange sie dauert oder wie schwer sie scheint, dennoch möglich ist. Mit diesem Gedanken möchte ich allen Menschen, die sich innerlich oder äußerlich in einer dunklen Situation befinden, wünschen, dass sie die Hoffnung bewahren und wissen, dass ihr eigener "Auszug aus Ägypten" möglich ist. Besonders den Geiseln, die in Gaza festgehalten werden, wünsche ich, dass sie sehr bald in ihre Heimat zurückkehren können.

Schabbat Schalom!

Zur Person: Michal Natovich Michal Natovich wurde 1979 in Israel geboren und wuchs in einer modernen orthodox-jüdischen Familie auf. Sie studierte Literatur auf Lehramt und arbeitete nach ihrem Diplom-Abschluss mehrere Jahre als Lehrerin für Hebräische Sprache und Literatur an einer israelischen Schule.

Seit 2012 wohnt sie mit ihrer Familie in Leipzig. Dort war sie als Hebräisch-Dozentin in verschiedenen Institutionen tätig.

Seit 2020 arbeitet sie als Lehrerin für Jüdische Religion in Leipzig und Dresden.

Schabbat Schalom bei MDR KULTUR Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 31. Januar 2025 | 15:45 Uhr