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Wie kann es uns gelingen stehen zu bleiben und innezuhalten, das fragt Kantor Elija Schwarz in seiner Wochenauslegung wenige Tage vor dem Beginn der Hohen Feiertage mit Rosch HaSchana, dem jüdischen Neujahrsfest.

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MDR KULTUR | 27.09.2024 Wochenabschnitt "Nizawim" Schabbat Schalom mit Kantor Elija Schwarz: Innehalten vor Rosch HaSchana

27. September 2024, 12:15 Uhr

Wie kann es uns gelingen stehenzubleiben und innezuhalten, das fragt Kantor Elija Schwarz in seiner Wochenauslegung wenige Tage vor dem Beginn der Hohen Feiertage mit Rosch HaSchana, dem jüdischen Neujahrsfest.


Unsere Parascha Nizawim wird am vierten Schabbat im Monat Elul gelesen, vor Rosch HaSchana, unserem jüdischen Neujahrsfest. Zentrales Thema ist der Bundesschluss in Mo‘aw. Mosche betont, dass das ganze Volk einen Vertrag eingegangen ist mit dem Ewigen. Dabei wird der Bund nicht nur mit den anwesenden Kindern, Frauen und Männern jeglichen Standes geschlossen, "sondern auch mit dem, der heute nicht bei uns ist". Nach der traditionellen Auslegung, z.B. Tanchuma und Raschi, sind damit alle zukünftigen Geschlechter, also wir, und sogar die Konvertiten gemeint.

Dann beschwört Mosche noch einmal die Gefahr der Zerstreuung in die Galut, die Diaspora. Aber genau diese Zerstreuung wird laut seiner Prophezeiung auch eintreten. Wenn das Volk dann unter anderen Völkern leben muss und die in den vorangegangenen Wochenabschnitten verkündeten Flüche sich erfüllen, – dann wird das Volk zum Ewigen zurückkehren. Der Allerbarmer wird sich seinem Volke zuwenden und die Flüche auf die Feinde von Am Jissra'el (dem Volk Jissra‘el) legen und seine Bnej Jissra'el (die Kinder Jissra‘els) mit Glück und Wohlstand segnen.

Abschließend wird betont, dass dieses heute gebotene Gebot deinem Verständnis nicht zu hoch und zu fern ist. Diese Weisung ist weder im Himmel noch hinter dem Meere. Vielmehr ist die Tora sehr nahe, sie soll in deinem Munde und in deinem Herzen sein.

"Ihr steht da heute alle vor dem Ewigen, eurem Gott"

Die Parascha spricht direkt zu uns, denn wir heute lebenden Juden sind gemeint, wenn sie von denen spricht, die beim Bundesschluss in Mo‘aw nicht dabei waren. Also auch uns soll die Tora nahe sein. Wir sollen sie im Herzen haben und im Munde führen. Aber ist das immer so? Das ist so eine Frage, die ich meinen Mitmenschen nicht zu stellen wage. Viel zu sehr bin ich damit beschäftigt, diese Frage für mich zu beantworten. Unser Wochenabschnitt beginnt mit den Worten: " Atem Nizawim HaJom Kulechem Lifnej HaSchem Elokejchem" – "Ihr steht da heute alle vor dem Ewigen, eurem Gott".

Nizawim, von Nizaw kommend, ist nicht das häufig auftauchende Wort für stehen bzw. stehend. Es ist verwandt mit dem Wort Mazewa, einem aufrecht stehendem Stein, etwa einem Denkmal oder einem Grabstein, und meint ein aufrechtes, ehernes Stehen.

Wir stehen jetzt wenige Tage vor Rosch HaSchana, die zehntägige Zeit des himmlischen Gerichtes beginnt für uns am Jahresanfang. Wir sollen ehern stehen und unseren Cheschbon HaNefesch (die Rechenschaft der Seele) machen, unsere Seelenbilanz. Darauf soll Teschuwa (Umkehr/Rückkehr), also die Reue folgen. Und diese Reue und diese Buße sollen am Jom Kippur für uns Kappara erwirken. Kippur und Kappara haben eine gemeinsame Wortwurzel: Bedeckung, und hier die Bedeckung unserer Sünden, also Sühne. Wir wollen Sühne und Läuterung erfahren, damit sich unsere Tage auf dieser Welt längen.
Wir sollen stehenbleiben und innehalten vor Gott, auch wenn es leider mittlerweile schon mit abgewandtem Gesicht, schon mit dem Rücken zum Ewigen ist. Dann sind wir aufgefordert umkehren, um zurückzukommen zu unserem Schöpfer und anschließend wieder hinausziehen, seine Welt aktiv zu gestalten. Aber gelingt es uns tatsächlich stehenzubleiben und innezuhalten?

Vor dem Neuen Jahr 5785: Innehalten und Bilanz ziehen

Zwei Schabbatot zurück begann die Parascha mit den Worten "Ki Teze – Wenn du hinausziehst". Ein Schabbat zurück begann unsere Parascha mit den Worten "Ki Tawo – Wenn du hineinkommst". Und unsere heutige Parascha beginnt mit Worten: "Ihr steht da heute alle vor dem Ewigen, eurem Gotte".“ Dieser Rhythmus von Aus- und Einziehen und regelmäßigem Innehalten ist, was uns die Anfänge der letzten Wochenabschnitte vor dem Neujahrfeste vermitteln können. Unser Leben ist Bewegung und Auseinandersetzung. Wir versuchen die Welt mit Tikun Olam (der Reparatur der Welt) zu einem besseren Ort zu machen.

Unser Leben ist Bewegung und Auseinandersetzung. Aber jetzt ist die Zeit, innezuhalten.

Aber jetzt ist die Zeit, innezuhalten, vor unserem Gotte zu stehen und einige Fragen zu beantworten. Was sind wir für Menschen innerhalb des letzten Jahres geworden? Entsprechen wir noch unseren Vorstellungen und denen unseres Schöpfers?

Ich wünsche Euch allen die nötige Ruhe für das Innehalten und ein wirklich gutes kommendes Jahr 5785.

Schabbat Schalom und alles Gute für Euch und Eure Familien und Freunde
Kantor Schwarz


Zur Person: Elija Schwarz
Elija Schwarz, geboren 1969, arbeitet als Kantor für die Jüdische Gemeinde zu Dresden. Außerdem ist er als Kantor und Religionslehrer für den Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen tätig und auch für das Jüdische Seniorenheim Hannover zuständig. Zuvor war er fünf Jahre lang Kantor der Etz-Chaim-Synagoge in Hannover. Darüber hinaus betreut er seit fast zwei Jahrzehnten die Jüdische Gemeinde Elmshorn in Schleswig-Holstein.

Schabbat Schalom bei MDR KULTUR Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

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