Neue Bundesregierung Koalitionsvertrag vorgestellt: Migration, Rente und Bürgergeld
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10. April 2025, 09:37 Uhr
CDU, CSU und SPD haben sich in ihren Koalitionsvertrag auf Verschärfungen bei der Migration und auf ein neues Wehrdienstmodell sowie Änderungen beim Bürgergeld geeinigt.
- Verschärfung bei Migration und neues Wehrdienstmodell
- Steuersenkung für kleine und mittlere Einkommen geplant
- Rente soll auf 48 Prozent festgesetzt werden
- Deutschlandticket und Reform der Deutschen Bahn
- Merz: Bundesregierung könnte Anfang Mai stehen
- Reaktionen aus Ostdeutschland
Die Union aus CDU und CSU und die SPD haben sich am Mittwoch auf einen möglichen Koalitionsvertrag geeinigt und diesen stellten die Parteispitzen am Nachmittag in Berlin vor. "Vor uns liegt ein starker Plan, mit dem wir unser Land gemeinsam wieder nach vorne bringen können", sagte CDU-Parteichef Friedrich Merz im Paul-Löbe-Haus des Bundestags. Er werte den Vertrag als "Aufbruchssignal" für Deutschland.
Verschärfung bei Migration und neues Wehrdienstmodell
Wie aus dem veröffentlichten Entwurf für den Koalitionsvertrag mit dem Namen "Verantwortung für Deutschland" hervorgeht, planen Union und SPD umfassende Verschärfungen im Asyl- und Migrationsrecht und wollen Menschen an den Grenzen zurückweisen. Asylverfahren in Drittstaaten, wie von der Union gefordert, sind jedoch nicht vorgesehen. Die von der Ampel-Regierung beschleunigte Einbürgerung nach drei Jahren für besonders gut integrierte Zuwanderer soll wieder abgeschafft werden.
Bei der Wehrpflicht wollen Union und SPD zunächst ein neues und auf Freiwilligkeit basierendes Wehrdienstmodell einführen. Noch in diesem Jahr sollten dazu die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung geschaffen werden, heißt es in dem von den Spitzenvertretern vereinbarten Koalitionsvertrag. Dies orientiert sich an dem von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bereits vorgeschlagenen Vorgehen. Männer und Frauen werden angeschrieben und können sich freiwillig melden. Das Modell von Pistorius sieht vor, dass nur Männer antworten müssen.
Derzeitiges Bürgergeld soll deutlich verschärft werden und Mindestlohn erhöht werden
Beim heutigen Bürgergeld planen Union und SPD deutliche Verschärfungen. Das bisherige System soll nach der Einigung von CDU/CSU und Sozialdemokraten auf einen Entwurf für den Koalitionsvertrag zu "einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende" umgestaltet werden. Vermittlung in Arbeit soll bei arbeitsfähigen Menschen Vorrang haben. Vorgesehen ist dazu die Beseitigung von Vermittlungshürden. Mitwirkungspflichten und Sanktionen sollen "im Sinne des Prinzips Fördern und Fordern" verschärft werden.
Union und SPD peilen zudem für das kommende Jahr einen Mindestlohn von 15 Euro in der Stunde an. Die Entscheidung darüber soll jedoch bei der zuständigen Kommission von Experten, Arbeitgebern und Arbeitnehmern bleiben.
Steuersenkung für kleine und mittlere Einkommen geplant
Union und SPD wollen die Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen senken. Wie aus dem 146-seitigen Entwurf hervorgeht, soll das zur Mitte der Legislatur passieren, also in etwa zwei Jahren. Details nennen die Parteien allerdings nicht.
Der umstrittene Solidaritätszuschlag soll unverändert bestehen bleiben. Einkommensstarke Bürger und Unternehmen müssten die Sonderabgabe zur Finanzierung der Wiedervereinigung also weiterhin zahlen.
Rente soll auf 48 Prozent festgesetzt werden
CDU, CSU und SPD wollen auch künftig ein Rentenniveau in Höhe von mindestens 48 Prozent eines Durchschnittslohns sicherstellen. Dieses Niveau werde gesetzlich bis zum Jahr 2031 abgesichert, heißt es in dem Entwurf.
"Die Mehrausgaben (...) gleichen wir mit Steuermitteln aus", versichern Union und SPD darin. Ein abschlagsfreier Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren werde auch künftig möglich bleiben. Freiwilliges längeres Arbeiten solle durch finanzielle Anreize gefördert werden.
Deutschlandticket soll erhalten bleiben und Reform der Deutschen Bahn angestrebt
Die neue Koalition will das Deutschlandticket für den bundesweiten Nahverkehr über 2025 hinaus erhalten. "Dabei wird der Anteil der Nutzerfinanzierung ab 2029 schrittweise und sozialverträglich erhöht", steht im Entwurf.
Schwarz-Rot strebt zudem mittelfristig eine grundlegende Reform der Deutschen Bahn an. Die Infrastrukturtochter – DB InfraGO – soll innerhalb des Staatskonzerns entflochten werden. "Hierzu sind sowohl personelle, rechtliche als auch organisatorische Maßnahmen zu ergreifen." Vorstand und Aufsichtsrat der Bahn sowie die Infrastrukturtochter sollen neu aufgestellt werden – "mit dem Ziel, mehr Fachkompetenz abzubilden und eine Verschlankung zu erreichen". Der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen Konzern und InfraGO soll überprüft werden.
Klimaschutz: Förderprogramm für Umbau der Industrie sollen weiterlaufen
Union und SPD möchten die Entwicklung klimafreundlicher Produkte unterstützen, zum Beispiel mit Quoten für die emissionsfreie Stahl-Produktion oder für klimafreundlicheres Gas. Förderprogramme zum klimafreundlichen Umbau der Industrie sollen weiterlaufen, etwa Klimaschutzverträge. Bei diesen übernimmt der Staat zunächst die Mehrkosten für neue Verfahren. Ein Kriterium für eine solche Förderung soll die Standortsicherung sein.
Zur Entlastung von Unternehmen: Industriestrompreis
Zur Entlastung von Unternehmen und Verbrauchern will die künftige Regierung die Stromsteuer senken und einen Industriestrompreis für energieintensive Firmen einführen. Die Stromsteuer werde für alle "auf das europäische Mindestmaß" gesenkt, Umlagen und Netzentgelte würden reduziert, heißt es im am Mittwoch vorgestellten Koalitionsvertrag von Union und SPD. Außerdem soll die Körperschaftsteuer in fünf Schritten um jeweils einen Prozentpunkt gesenkt werden – beginnend ab 2028.
Heizungsgesetz soll abgeschafft werden
Union und SPD wollen das Heizungsgesetz abschaffen. Das neue Gebäudeenergiegesetz solle "technologieoffener, flexibler und einfacher" werden, heißt es im Entwurf. Die Union hatte die Abschaffung des Heizungsgesetzes der Ampel-Koalition in ihrem Wahlprogramm festgeschrieben. Auch in der SPD gab es Stimmen für eine Vereinfachung. Das Gebäudeenergiegesetz, umgangssprachlich Heizungsgesetz, soll den Umstieg auf klimaneutrale Heizungen fördern.
Schwarz-Rot will Staat verschlanken
Die künftige schwarz-rote Koalition will beim Personal des Bundes deutlich sparen. Man werde die Zahl der Bundesbediensteten um acht Prozent reduzieren, sagte Merz. Man wolle pro Jahr zwei Prozent einsparen. "Wir stellen hier aber keinen Elon Musk ein. Wir machen es sozial verträglich", betonte Merz in Anspielung auf den umstrittenen US-Milliardär und US-Regierungsberater und dessen angeordnete Entlassungswelle. SPD-Chef Klingbeil nannte die Vereinbarung als eine der Maßnahmen, um Spielraum im Haushalt für die verabredeten Projekte zu schaffen.
Wir stellen hier aber keinen Elon Musk ein. Wir machen es sozial verträglich.
Besetzung der Ministerien soll später verkündet werden
Über die konkrete Besetzung der Ministerien wollten die Parteien erst im Nachgang der Koalitionsverhandlungen entscheiden. Die SPD soll laut Entwurf sieben Ministerien bekommen, darunter die wichtigen Häuser Finanzen und Verteidigung. Die CDU besetzt sechs Ressorts zusätzlich zu den zwei Posten im Kanzleramt: Dem künftigen Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wird ein Kanzleramtschef im Rang eines Bundesministers zur Seite gestellt. Zudem wird die CDU erstmals seit fast 60 Jahren wieder das Außenministerium übernehmen. Die CSU erhält drei Ministerien, darunter das Innenministerium.
Union und SPD haben sich zudem auf die Einrichtung eines neuen Ministeriums für Digitalisierung und Staatsmodernisierung verständigt.
Merz: Bundesregierung könnte Anfang Mai stehen
Der CDU-Chef und wahrscheinlich künftige Bundeskanzler Friedrich Merz geht davon aus, dass die neue Bundesregierung Anfang Mai stehen wird. Er erwarte eine Zustimmung von CDU, CSU und SPD zum Koalitionsvertrag "und dass wir dann Anfang Mai mit einer neuen Bundesregierung an die Arbeit gehen können", sagte er.
Nach der Einigung müssen die drei Parteien noch zustimmen, bevor der Koalitionsvertrag unterzeichnet und Merz zum Kanzler gewählt werden kann. Bei der SPD stimmen die Mitglieder darüber ab, bei der CDU soll ein kleiner Parteitag darüber entscheiden, bei der CSU der Vorstand. Das Mitgliedervotum der SPD nimmt mindestens zehn Tage in Anspruch. Wegen der Osterfeiertage kommende Woche dürfte es aber ein paar Tage länger dauern.
Lob und Kritik aus Thüringen
Thüringens CDU-Landeschef Mario Voigt hat den Koalitionsvertrag von Union und SPD begrüßt. Der Vertrag sei ein starkes Signal für einen Politikwechsel, sagte Voigt MDR THÜRINGEN. Von den schwarz-roten Plänen etwa in der Wirtschafts- und in der Sicherheitspolitik könnten auch die ostdeutschen Länder profitieren.
Auch laut Thüringens SPD-Vize-Chefin Katharina Schenk enthält der Vertrag einige Punkte, auf die die SPD stolz sein könne. Zum Beispiel die geplante Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro oder die Stabilisierung des Rentenniveaus bis 2031.
Kritik kam von AfD und Linke. AfD-Co-Landeschef Stefan Möller warf der CDU vor, sich kaum gegen die SPD durchgesetzt zu haben. Laut Linke-Landeschefin Ulrike Grosse-Röthig wird im Koalitionsvertrag vor allem Bürgergeldempfängern und Migranten die Schuld an der aktuellen Krise zugeschoben.
Haseloff: Förderung des Ostens
Der Koalitionsvertrag ist nach Ansicht von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) wichtig für Wirtschaft und Privathaushalte in Sachsen-Anhalt. Vor allem die Abschaffung der Gasspeicher-Umlage sei von herausragender Bedeutung, teilte Haseloff mit. "Es ist gut, dass der Koalitionsvertrag einen deutlichen Akzent auf die Förderung von Wissenschaft und Technologie im Osten Deutschlands setzt."
Weitere ostdeutsche Spezifika müssten bei der praktischen Umsetzung der Beschlüsse noch ausgeschärft werden. Vor allem energieintensive Unternehmen in Sachsen-Anhalt, etwa aus der chemischen Industrie, hatten immer wieder hohe Energiepreise kritisiert.
dpa, Reuters, epd/MDR (mpö, ksc, jst)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 09. April 2025 | 13:30 Uhr