Reaktionen auf Koalitionsvertrag Zwischen Begeisterung und Befürchtungen

11. April 2025, 03:56 Uhr

Der Entwurf des Koalitionsvertrags von Union und SPD sorgt in Ostdeutschland für unterschiedliche Reaktionen bei Politik, Wirtschaft und Handwerk – zwischen Aufbruch und Begeisterung sowie Kritik und Befürchtungen.

Union und SPD haben ihren Entwurf für einen Koalitionsvertrag vorgestellt, nun reagieren Wirtschaft, Verbände und Politik darauf. Außerdem ist noch offen, wer welchen Ministerposten in der künftigen Bundesregierung besetzen könnte und dabei auch Ostdeutschland vertritt. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer hat die Koalitionsverhandlungen für die CDU mitgeführt und er sagt, dass er keinen Posten haben wird: "Ich bleibe in Sachsen." Dresden sei viel besser als Berlin.

Michael Kretschmer 6 min
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Kretschmer hatte gemeinsam mit den anderen ostdeutschen Ministerpräsidenten Anfang April eine lange Liste mit 50 Forderungen an die Koalitionäre gestellt. Ein Aspekt: Es brauche mehr Menschen aus dem Osten in Regierungsämtern. Darauf angesprochen ergänzte Kretschmer: "Das Entscheidende ist, dass wir ein Programm erarbeitet haben, was für den Osten gut ist." Der CDU-Politiker ist von einem Politikwechsel in Deutschland überzeugt. Er verwies etwa auf die Maßnahmen im Koalitionsvertrag, um die Energiepreise zu senken. Dazu gehöre die Senkung der Stromsteuer und der Netzentgelte.

Das Entscheidende ist, dass wir ein Programm erarbeitet haben, was für den Osten gut ist.

Michael Kretschmer Sächsicher Ministerpräsident

Aus Sicht der SPD Sachsen verbinde der Entwurf soziale Sicherheit mit mutigen Investitionen in die Zukunft, heißt es in einer Mitteilung. "Er trägt sehr deutlich eine sozialdemokratische Handschrift." Gerade für Sachsen sei es wichtig, dass die Menschen durch gute Arbeit, einen höheren Mindestlohn und auskömmliche Renten abgesichert sind.

"Mich freut, dass wir das Innovations- und Wissenschaftsland Sachsen weiter stärken", sagt der SPD-Landesgruppensprecher Holger Mann. "Im Koalitionsvertragsentwurf steht der Ausbau von Forschung zu Gesundheit, Künstlicher Intelligenz und Chipproduktion. Das Bekenntnis zum Einsteinteleskop in Deutschland stärke der Bewerbung aus der Lausitz den Rücken und unterstreicht unser Streben nach der ersten EU-Großforschungseinrichtung in Ostdeutschland."

(L-R) Markus Soeder, Ministerpraesident von Bayern, Friedrich Merz, CDU-Parteivorsitzender, Lars Klingbeil, SPD-Parteivorsitzender und neuer Fraktionsvorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, und Saskia Esken, Bundesvorsitzender der SPD, aufgenommen im Rahmen einer Pressekonferenz nach erfolgreichen Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU CSU in Berlin, 09.04.2025. 3 min
Die Spitzen von CDU, CSU und SPD bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages in Berlin: Markus Söder (v. l.), Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Saskia Esken. Bildrechte: IMAGO / photothek
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Lob von Arbeitgebern, Kritik von Greenpeace

MDR AKTUELL Do 10.04.2025 09:04Uhr 02:54 min

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Opposition: AfD und Linke unzufrieden mit Regierungsplänen

Dagegen hat der AfD-Bundesvorsitzende Tino Chrupalla seine Kritik an der Koalitionsvereinbarung erneuert. Der sächsische Politiker sagte MDR AKTUELL, vom großen Wurf könne nicht die Rede sein. Es gebe weder eine Steuer- noch eine Rentenreform. Das Geld werde weiter mit vollen Händen ausgegeben, ohne dass die Bürger entlastet würden. Zu begrüßen seien nur zwei Punkte: die geplante Abschaffung der beschleunigten Einbürgerung gut integrierter Zuwanderer sowie die geplanten Änderungen beim Bürgergeld.

Es kann einem Land nur dann gut gehen, wenn es den Menschen im Land gut geht.

Heidi Reichinnek Linken-Fraktionsvorsitzende

Die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Heidi Reichinnek, nannte den Koalitionsvertrag bei MDR AKTUELL verantwortungslos. Sie warf der Koalition vor, keinen sozialen Kompass zu haben und zentrale Probleme im Land zu ignorieren. "Es kann einem Land nur dann gut gehen, wenn es den Menschen im Land gut geht."

Aus Sicht von Reichinnek braucht es Lösungen für die drängenden Probleme: gute Löhne, gute Rente, bezahlbares Wohnen sowie Investitionen in Bildung, Gesundheit, Klimaschutz. "Da ist einfach nichts." So sei es nichts anderes als ein "Konjunkturprogramm für die Rechten".

Wirtschaftsminister: Themen von Sachsen-Anhalt im Koalitionsvertrag gut verankert

Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister und CDU-Landesvorsitzender, Sven Schulze, sieht die Themen seines Landes im Entwurf gut verankert. Geplant sind etwa die Senkung der Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen in etwa zwei Jahren. Auch einen Industriestrompreis soll es geben. Schulze sagte MDR SACHSEN-ANHALT, er und Ministerpräsident Reiner Haseloff hätten sich genau für diese Themen eingesetzt. "Und jetzt geht es darum, sie auch umzusetzen."

Aus Sicht von Martin Reichardt, Parteivorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt, ist der Koalitionsvertrag ein Vertrag, in welchem die CDU alles an die SPD verkauft hat. Die Kehrtwende beispielsweise in der Migration sei ausgeblieben. Es müsse davon ausgegangen werden, dass es weiterhin bei minimalen Abschiebungen bleibe und die Grenzen Deutschland weiterhin offenblieben. In der Sozialpolitik seien die gesamten Anreize dafür, dass Armutsmigration ins deutsche Sozialsystem erfolgen könne, erhalten geblieben.

Der Co-Vorsitzende der Grünen in Sachsen-Anhalt, Dennis Helmich, befürchtet Rückschritte beim Thema Klimaschutz und ökologischer Umbau. "Aber auch in anderen Themenbereichen fehlt es an konkreten Aussagen darüber, wie dieses Land in den nächsten vier Jahren weiterentwickelt werden soll." Die große Mehrheit in Deutschland, die für eine veränderte Steuer- und Sozialpolitik sei, sei nicht gehört worden. So werde weiterhin Politik auf Kosten von kleinen und mittleren Einkommen und für große gemacht.

"Zukunftsregion" oder "Geist der vergangenen Weihnacht": Reaktionen aus Thüringen

Die Einigung auf einen Koalitionsvertrag von Union und SPD im Bund stößt in Thüringen auf gemischte Reaktionen. Ministerpräsident und CDU-Landeschef Mario Voigt sprach von einem "echten Kurswechsel zurück zu Vernunft, Verantwortung und wirtschaftlicher Stärke". Der Vertrag sei ein Erfolg für Deutschland. "Leistung zählt wieder, Migration wird geordnet, Bürokratie abgebaut. Der Vertrag zeigt: Deutschland kommt wieder auf Kurs."

Voigt betonte, dass strukturschwache Regionen gezielt gestärkt werden sollen – mit Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Zukunftsbranchen. "Der Osten wird zur Zukunftsregion – Thüringen ist hier Vorbild", erklärte Voigt in einer Mitteilung. 

Aber dieser Koalitionsvertrag atmet den Geist der vergangenen Weihnacht.

Ulrike Große-Röthig Co-Chefin der Linken in Thüringen

Anders bewertete die Thüringer Linke-Co-Chefin Ulrike Große-Röthig die Einigung. "Das einzige Positive ist, dass es eine Bundesregierung gibt, die erstmal handlungsfähig ist. Aber dieser Koalitionsvertrag atmet den Geist der vergangenen Weihnacht", sagte sie. Der Vertrag sehe Migranten und Bürgergeldempfänger als Schuldige an den Krisen der Zeit. "Er gibt keine Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit – zu Mieten, gestiegenen Preisen, zu Altersarmut und zu Pflegeproblemen", monierte sie. 

Ostbeauftragter will sich für Investitionen in Infrastruktur in Ostdeutschland einsetzen

Der SPD-Politiker und Ostbeauftragte der geschäftsführenden Bundesregierung, Carsten Schneider, betonte die sozialen Aspekte des Koalitionsvertrags. Dazu gehöre die Erhöhung des Mindestlohns sowie die Festschreibung des Rentenniveaus. Der gebürtige Erfurter kündigte bei MDR AKTUELL an: "Wir werden bei den Fragen der Wohnung, des Wohnungsbaus und der Mietpreisbremse nachlegen."

Außerdem will sich Schneider im neuen Bundestag dafür einsetzen, dass das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für Infrastruktur gut investiert wird, auch für Ostdeutschland. Doch das würden sicherlich auch der künftige Finanzminister von der SPD und auch der neue Ostbeauftragte tun. "Die kommenden vier Jahre sind nicht nur für die Weltpolitik, sondern auch für uns in Deutschland ganz entscheidend."

Erleichterung und Kritik von Wirtschaft und Handwerk

Bei der Wirtschaft ruft der Entwurf gemischte Reaktionen hervor. Mehrere Verbände äußerten sich erleichtert über den raschen Abschluss der Verhandlungen. So sprach der Industrieverband BDI von Ansätzen für dringend notwendige, entschlossene Strukturreformen. Entscheidend sei nun eine rasche Umsetzung.

"Mit dem zügigen Abschluss der Verhandlungen sind Union und SPD dem Ernst der Lage und den Erwartungen der Wirtschaft gerecht geworden", sagte Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner. Der Koalitionsvertrag setze wichtige Signale für Investitionen und Wachstum. Die steuerliche Entlastung der Unternehmen komme allerdings deutlich später als es notwendig wäre. 

Ob mit dem Verhandlungsergebnis auch inhaltlich der Weg für Wachstum, Entbürokratisierung und Vereinfachung eingeschlagen wird, muss sich zeigen.

Tim-Oliver Müller Hauptverband der Deutschen Bauindustrie

Für die Bauindustrie ist ein Verhandlungsergebnis in so kurzer Zeit zunächst ein gutes Signal, auf das die deutsche Wirtschaft und Industrie gewartet habe. "Ob mit dem Verhandlungsergebnis auch inhaltlich der Weg für Wachstum, Entbürokratisierung und Vereinfachung eingeschlagen wird, muss sich zeigen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, Tim-Oliver Müller.  

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks sieht in dem Koalitionsvertrag "wirksame Medizin, aber auch einige bittere Pillen". Vieles könne sich in die richtige Richtung drehen, sagte Präsident Jörg Dittrich. "Ob das zu einer echten Wirtschaftswende führt, muss sich erst noch zeigen."

Oliver Holtemöller, Wirtschaftsforscher am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle, sagte MDR AKTUELL, der Koalitionsvertrag enthalte einige gute Ideen, die in der Lage seien, die Situation in Deutschland zu verbessern. Fraglich bleibe jedoch die Umsetzbarkeit der Vorhaben. "Es steht aber alles unter Finanzierungsvorbehalt. Deswegen muss man abwarten, was davon tatsächlich Realität wird", so Holtemöller.

Migrationsforscher zweifelt an Umsetzbarkeit des der neuen Asylpolitik

Der Migrationsforscher Gerald Knaus zeigte sich skeptisch, ob die künftige Bundesregierung ihren härteren Kurs in der Migrationspolitik umsetzen kann. Knaus sagt MDR AKTUELL, die geplanten Zurückweisungen an den Grenzen seien europarechtswidrig und ohne Zustimmung der Nachbarländer nicht umsetzbar. Die werde es aber mit ziemlicher Sicherheit nicht geben.

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Gespräch mit dem Migrationsforscher Gerald Knaus

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dpa, MDR (mpö)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 10. April 2025 | 07:04 Uhr

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