Kampagnenworkshop der Linken in Heidelberg.
Linken-Mitglieder bei einem Workshop in Heidelberg. Bildrechte: Tim Lüddemann

Viele Eintritte Neue Mitglieder stellen Parteien vor Herausforderungen

13. April 2025, 05:00 Uhr

Tausende Menschen sind in den vergangenen Monaten in die Parteien eingetreten. Für Linke und Co. gilt es nun, die Neuen zu integrieren und langfristig zu binden. Sonst könnte die Eintrittswelle ein Strohfeuer bleiben.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Alexander Laboda
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Politisch engagiert hat sich Conny Hilser bereits, bevor sie in eine Partei eintrat. Die 40-Jährige lebt in einem ländlichen Ortsteil von Naunhof bei Leipzig. Dort führt sie nicht nur regelmäßig politische Diskussionen mit Nachbarn, sondern startet auch "Aktionen im Dorf", wie sie selbst sagt. Die Pharmaberaterin und alleinerziehende Mutter eines Achtjährigen verteilte früher schon Flyer, hängte Schilder mit Parolen auf oder installierte an Bushaltestellen "Verschenkestationen". Hilser sagt: "Ich denke, es ist nicht sinnvoll zu schimpfen oder irgendwie gegen andere zu hetzen, sondern besser etwas Gutes zu machen und zu zeigen, dass es ein schönes und helfendes Miteinander geben kann."

Es war sehr toll zu sehen, dass es doch sehr viele Menschen gibt, die eine ähnliche Meinung und Haltung vertreten.

Conny Hilser Neumitglied der Linkspartei

Vergangenes Jahr nahm Hilser erstmals in ihrem Leben an Demonstrationen teil. Von da aus ging die Entwicklung dann in Richtung eines Parteieintritts. "Es war sehr toll zu sehen, dass es doch sehr viele Menschen gibt, die eine ähnliche Meinung und Haltung vertreten und die auch bereit sind, das eben kundzutun." Hilser studierte vor der Bundestagswahl die Programme der Parteien, empfand die Linke als sehr gut passend zu ihren Vorstellungen. Mitte Januar trat sie ein.

Viel Zuwachs bei Linken und Grünen

In den vergangenen Monaten rund um Ampel-Bruch und Neuwahl suchten auch viele andere Menschen Anschluss an politisch Gleichgesinnte. Mehrere Parteien meldeten regelrechte Eintrittswellen. Außergewöhnlich großen Zulauf verzeichnete die Linke. Seit Mitte 2024 verdoppelte die Partei bundesweit die Zahl ihrer Mitglieder von etwas über 50.000 auf rund 110.000.

Auch die Grünen legten stark zu. Laut Berichten stieg die Zahl der Mitglieder von Ende 2023 bis Februar 2025 von rund 126.000 auf über 168.000 Menschen.

Gewachsen ist auch die Mitgliedschaft der AfD. Der Partei gehören Berichten zufolge aktuell rund 52.000 Menschen an. Zum Ende des Jahres 2023 waren es nach früheren Meldungen nur knapp 40.000 gewesen.

CDU und SPD konnten von dem Trend nicht profitieren. Bei der CDU stagnierte die Zahl der Mitglieder nach Medienberichten bei um die 365.000 Menschen. Die SPD verlor demnach im vergangenen Jahr Mitglieder und registriert derzeit rund 358.000 Anhänger. Beide bleiben damit gleichwohl die bei weitem mitgliederstärksten Parteien in Deutschland.

Neue Mitglieder integrieren

In Conny Hilsers sächsischem Landesverband spiegelt sich der Zulauf auf regionaler Ebene. Die Zahl der Mitglieder wuchs dort von etwa 6.000 Mitgliedern zu Beginn 2024 auf aktuell knapp 11.000. Landesgeschäftsführer Lars Kleba ist viele Jahre im Geschäft, hat einen solchen Zuspruch aber noch nicht erlebt. Bei aller Freude über die Eintritte gibt er zu: "Es ist natürlich eine organisatorische Herausforderung, dass fast die Hälfte der Partei in kurzer Zeit neu dazugekommen ist."

Lars Kleba, Geschäftsführer der Linken in Sachsen 1 min
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MDR AKTUELL Do 10.04.2025 10:39Uhr 00:34 min

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Im Moment veranstaltet die Partei an vielen Orten im Land Neumitgliedertreffen, um die frischen Kräfte zu integrieren. Ein großer Teil der Neuen wolle kein passives Mitglied bleiben, sondern sich einbringen. Geschäftsführer Kleba: "Wir wurden im Wahlkampf im besten Sinne überrollt von der Aktivität, von den vielen Menschen, die was tun wollten. Die Plakate gehangen haben, die Flyer gesteckt haben, die aktiven Haustürwahlkampf geführt haben und die wollen jetzt weiter machen."

Neumitgliedertreffen der Linke in Zwickau
Neumitgliedertreffen der Linke in Zwickau. Bildrechte: Linke Sachsen

Der Wahlkampf ist allerdings erst einmal vorüber. Und so ist die größere Aufgabe nach Ansicht von Kleba, die Leute in die Parteiorganisation zu bringen, in Gremien, in Vorstände und letztlich in Verantwortung. "Langfristig schaue ich schon ein bisschen auf das Jahr 2029", sagt er. Dann finden Bundestagswahl, Europawahl und sächsische Landtagswahl in einem Jahr statt. "Da braucht es ja auch Kandidierende".

Politikwissenschaftler: Mehr Mitbestimmung wagen

Der Politikwissenschaftler Benjamin Höhne, derzeit Professor an der TU Chemnitz, bezeichnet dies als zweite Hürde nach dem Parteieintritt: "Es ist die nächste Schwelle, neue Mitglieder dauerhaft im Parteiapparat zu halten, zu integrieren." Hier gebe es in allen Parteien noch viel zu verbessern. Es herrsche "üblicherweise keine Willkommenskultur vor", sagt Höhne.

Der Forscher nennt eine Reihe notwendiger Angebote: digitale Mitwirkungsmöglichkeiten, Vernetzungstreffen, Mentoringprogramme, Förderung von Frauen sowie – das sei besonders wichtig – innerparteiliche Demokratie, also Mitbestimmung bei allen Entscheidungen. Höhne: "Es ist heute kaum noch einem jungen Mitglied zu erklären, warum er erstmal ein paar Jahre warten muss, bis er irgendwann als Delegierter über seinen Bundestagskandidaten oder Landtagskandidaten mit abstimmen darf. Das wirkt aus der Zeit gefallen."

Höhne mahnt abschließend: "Es ist ganz wichtig, dass die Parteien diesen Weg gehen, ansonsten kann es nämlich sein, dass sich die Neumitgliederzuwächse als Strohfeuer entpuppen."

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Anpacken vor Ort

Conny Hilser ist bislang "super zufrieden" mit ihrer Aufnahme in die Partei. Zwei Wochen nach ihrem Eintritt sei sie auf einem Treffen gewesen, habe die ersten Leute kennengelernt. Sie sei gleich mittendrin gewesen. "Da wurden sofort neue Ideen zusammengetragen. Es ist so eine richtige Anpackstimmung und viel Lust auch wirklich was zu bewegen und nicht nur zu reden." Inzwischen sei sie in ihrer Ortsgruppe angekommen und habe auch bereits am Kreisparteitag teilgenommen.

Besonders gut findet Hilser, sich konkret vor Ort engagieren zu können. Ihre Partei betreibe etwa eine Suppenküche in Borna. Wenn sie Zeit habe, komme sie zum Schnippeln und zum Verteilen. "Und das ist das, was ich so toll finde, dass es direkt losgehen kann und dass man direkt Menschen helfen kann, die jetzt nicht genug Geld haben, um immer ein gutes Essen auf dem Tisch zu haben."

Thüringer Grüne setzen auf Spitzenpolitiker und Bildungsangebote

Solche Aktionen wirken selbstverständlich in die Gesellschaft hinein – und sorgen auch für politischen Zulauf. Michael Kost, Landesgeschäftsführer der Grünen in Thüringen, betont deshalb die hohe Bedeutung der Mitglieder. "Wir können nur so stark wirken, wie wir letzten Endes auch Schultern haben, auf die wir die vor allen Dingen ja auch ehrenamtliche Arbeit verteilen können. Da sind wir über jede helfende Hand dankbar."

Auch in Kosts Verband nahm die Mitgliederzahl jüngst stark zu, von 1.350 Personen Anfang vergangenen Jahres auf derzeit rund 1.800. Um die Neuen zu integrieren, setzen die Thüringer Grünen im ersten Schritt ebenfalls auf ein persönliches Kennenlernen, digital und in Präsenz. Mitglieder könnten auch unmittelbar mit Spitzenpolitikern in Kontakt kommen, etwa der langjährigen Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt oder dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden Heiko Knopf. Kost weist außerdem hin auf Mitwirkungsmöglichkeiten in Arbeitsgemeinschaften oder Bildungsangebote zu umweltpolitischen Themen. "Ich glaube, da wird auch jeder, der anpacken will, sein Betätigungsfeld finden", gibt er sich überzeugt.

Aktiv für Werte einstehen

Linken-Mitglied Conny Hilser treibt aktuell die feindliche Stimmung gegenüber Minderheiten und der aus ihrer Sicht zunehmende Rechtsextremismus um. Sie selbst sei belästigt worden, weil sie eine Regenbogenfahne am Rucksack hatte. Langfristig sorgt sie sich um den gesellschaftlichen Umgang mit ihrem Sohn, der eine Behinderung hat. Anderen rät sie deshalb ebenfalls dazu, sich den Eintritt in eine Partei zu trauen. "Es ist auf jeden Fall richtig, aktiv zu werden, für seine Werte einzustehen und eine gute Gemeinschaft zu fördern. Außerdem findet man auch viele Menschen, die das genauso sehen und auch etwas bewegen wollen und das ist ein super Gefühl."

Hinweis Die ebenfalls Mitglieder gewinnende AfD äußerte sich nicht zum Thema. Der Landesverband in Sachsen-Anhalt teilte auf Anfrage von MDR AKTUELL lediglich eine aktuelle Mitgliederzahl mit, ging aber auf weitere Fragen nicht ein.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 13. April 2025 | 06:00 Uhr

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