Bundestag Die alten Ost-West-Unterschiede im neuen Parlament
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28. März 2025, 10:43 Uhr
Etwa 15 Prozent der Abgeordneten im neuen Bundestag repräsentieren den Osten – was dem Bevölkerungsanteil entspricht. Dennoch gibt es keine ausgewogene Vertretung – was auch künftig so bleiben könnte.
- CDU im Osten: Die Lücke des Friedrich Merz
- Ostdeutsche Abgeordnete im Bundestag – fast die Hälfte kommt von der AfD
- In den Spitzenpositionen sitzen fast nur Westdeutsche
- Die Rolle des Ostbeauftragten
- Warum ostdeutsche Politiker selten in Spitzenpositionen sind
Mit Schwung pfeffert Nora Seitz das faschierte Fleisch in den Wurstfüller. Die gelernte Fleischermeisterin hat am vergangenen Freitag noch ein paar ihrer letzten Knacker gefertigt. Am Dienstag saß die 40-Jährige dann schon in ihrer ersten Bundestagssitzung. Dort ist sie nun eine von 98 Abgeordneten, die den Osten vertreten.
Von der Fleischerei ins Parlament
Die Chemnitzerin führt den 93 Jahre alten Familienbetrieb zusammen mit ihrer Mutter. Das Würste-machen wird sie vermissen, sagt sie. Doch für sie ist klar: Der Mittelstand im Osten braucht mehr Gehör. Bürokratie und Rahmenbedingungen seien kaum noch tragbar. Vor allem die Wende habe bei ostdeutschen Unternehmen Spuren hinterlassen. Noch heute muss sie den Kredit abbezahlen, den ihre Großeltern zur Rettung des Betriebs aufgenommen hatten.
"Nur weil man 35 Jahre – unhöflich gesagt – Geld in den Osten gekippt hat, ist damit eine Entwicklung nicht abgeschlossen", sagt die CDU-Bundestagsabgeordnete Seitz. Es fehle an Verständnis für die Menschen im Osten. Diese hätten ganz andere Biografien als die, die nach 1990 sofort in den Westen rübergegangen sind. "Ich hoffe, dass wir dafür endlich eine Anerkennung schaffen."
CDU im Osten: Die Lücke des Friedrich Merz
Wurst, Schnitzel oder Keule – Fleisch zu verarbeiten, das war für Seitz jahrzehntelang Alltag. In der Politik war sie bisher noch nicht vertreten, engagierte sich aber in verschiedenen Lobbyorganisationen. Dass die CDU im Osten an Stimmen verloren hat, liegt aus ihrer Sicht auch an der Parteiführung: "Aus irgendeinem Grund bekommt Friedrich Merz hier im Osten keinen Fuß auf den Boden."
Aus irgendeinem Grund bekommt Friedrich Merz hier im Osten keinen Fuß auf den Boden.
Die Lücke, die der CDU-Chef und Kanzlerkandidat lasse, müssten nun die ostdeutschen Abgeordneten füllen. "Ich glaube, bei Politik geht es ganz, ganz viel um Vertrauen und Planungssicherheit", sagt Seitz. "Auch um Zutrauen, dass man den Menschen bestärkt in dem, was er tut."
Ostdeutsche Abgeordnete im Bundestag – fast die Hälfte kommt von der AfD
Im Deutschen Bundestag sitzen in dieser Legislaturperiode insgesamt 630 Abgeordnete. Davon sind 98 aus dem Osten und machen damit etwa 15 Prozent aus – das entspricht dem Verhältnis zur Bevölkerungszahl. In den letzten Jahrzehnten vertraten vor allem CDU, SPD und Die Linken den Osten am stärksten. Ab 2017 kam die AfD dazu und wurde immer stärker. Heute sind 42 von 98 Ost-Abgeordneten für die AfD im Bundestag.
"Ich sehe mich zuvorderst als Interessenvertreter Dresdens", sagt der AfD-Bundestagsabgeordnete Thomas Ladzinski. Der 36-Jährige ist seit vielen Jahren Kommunalpolitiker und als Direktkandidat von den Dresdnern gewählt worden.
Die AfD hat im Vergleich zur vorangegangenen Bundestagswahl die Anzahl der Abgeordneten fast verdoppelt und stellt jetzt die zweitgrößte Fraktion. Die Partei im Bundestag steht für eine rechtspopulistische und teilweise rechtsextreme Politik.
In den Spitzenpositionen sitzen fast nur Westdeutsche
Eine starke AfD bedeutet auch: weniger Stimmen für andere Parteien. So ist etwa die Anzahl der SPD-Ostabgeordneten deutlich geschrumpft: Von 34 auf 13 im Vergleich zur letzten Legislaturperiode. So werde es immer schwieriger, eine starke Stimme für den Osten zu sein, findet Kathrin Michel, die zum zweiten Mal SPD-Abgeordnete für den Wahlkreis Bautzen ist.
"Es muss ja nicht unbedingt per se ein eigenes Thema sein, was ich mit einbringe", sagt die 61-jährige Politikerin. Ihr sei oft viel wichtiger, im Gesetzgebungsprozess eine Ostperspektive einzubringen. "Ist das für uns genau identisch im Osten oder muss man da doch noch mal anders denken?"
Zudem bereitet Michel Sorge, dass Spitzenpositionen in der Bundespolitik zu großen Teilen von Westdeutschen besetzt werden. In den letzten drei Legislaturperioden zum Beispiel waren nur vier Ministerinnen aus Ostdeutschland. "Wir versuchen natürlich, uns in Stellung zu bringen. Einfach wird es auf keinen Fall."
Was kann die Rolle des Ostbeauftragten sein?
Neben den Ministern und Abgeordneten soll noch eine weitere Position Interessen der Ostdeutschen vertreten: Der Ostbeauftragte, der mit am Kabinettstisch sitzt. Der AfD-Abgeordnete Ladzinski findet, dass diese Position helfen kann, regionale Probleme anzugehen.
Aber nicht mit jedem Ostbeauftragten der Vergangenheit war der Dresdner zufrieden: "Aufgabe des Ostbeauftragten ist es nicht, die Ostdeutschen zu belehren, wie sie zu leben oder zu denken haben, sondern eigentlich ist die Aufgabe des Ostbeauftragten, den Osten zu repräsentieren." Damit spielt er vor allem auf Marco Wanderwitz an, der für die CDU in der vorletzten Legislaturperiode Ostbeauftragter war. Wanderwitz hat sich für ein AfD-Verbot eingesetzt.
Experte: Die Einheit wurde nur wirtschaftlich gedacht
Eine andere Kritik am Ostbeauftragten äußert der Politikwissenschaftler Julian Nejkow. In seinem Podcast beschäftigt sich der Görlitzer intensiv mit Parteien und Wählern im Osten. "Es sollte einen Ostbeauftragten geben, er sollte aber am Bundeskanzleramt angeschlossen sein." Er hielt die Entscheidung, dass der Ostbeauftragter bis 2021 am Wirtschaftsministerium angedockt war, für falsch.
Weil die Einheit wirtschaftlich gedacht, aber gesellschaftlich vernachlässigt wurde.
"Weil die Einheit wirtschaftlich gedacht, aber gesellschaftlich vernachlässigt wurde", so Nejkow. Aus seiner Sicht wäre eine Kommission zu besetzen, in der über notwendige Transformationsprozesse in ländlichen strukturschwachen Regionen diskutiert werde. "Wir haben auch in NRW ganz viel Kohle und hier genauso, da gibt es Parallelitäten. Vielleicht kann man ja auch diese Synergieeffekte ausnutzen."
Der Osten als Thema: Erst Milliarden und dann Rechtsextremismus
"Wir sollten nicht so tun, als ob irgendwie alles in Ordnung wäre und als ob wir eigentlich ein Land wären", sagt Katrin Göring-Eckardt. Die Thüringerin sitzt für die Grünen im Bundestag und erlebt dort seit 27 Jahren die Ost-West-Debatten. Im Moment gebe es fast 70 Beauftragte auf Ebene der Bundesregierung beziehungsweise des Bundestags – doch es werde fast nur über den Ostbeauftragten diskutiert.
Wir sollten nicht so tun, als ob irgendwie alles in Ordnung wäre und als ob wir eigentlich ein Land wären.
Göring-Eckardt beobachtet zwar, dass sich die Themen ändern. So seien es Ende der Neunziger Jahre etwa die Milliardeninvestitionen gewesen, heute sei es vor allem der Rechtsextremismus. Doch was sich durchzieht: Der Osten sei oft Thema, weil irgendwas schlecht sei, falsch oder fehle, sagt sie.
Zudem fehlt es aus Sicht von Göring-Eckardt an Ostdeutschen in den Spitzenpositionen: "Ich glaube, man muss schon sagen, die Repräsentanz von Ostdeutschen war immer so ein Add-on. Die Besetzung im Kabinett sei ausgedealt worden. Und es wurde etwa gesagt: "Moment. Da fehlt noch ein Ossi, dann trennen wir vielleicht noch das Verkehrs- und das Bauministerium, damit da noch irgendjemand Platz hat. Ich glaube, das war nicht so besonders gut und ich fürchte, das wird leider auch so bleiben."
Experte: Warum ostdeutsche Politiker selten in Spitzenpositionen sind
Ein Trend, der sich auch in den aktuellen Koalitionsverhandlungen zeigt. Unter den mehr als 200 Politikern sitzen nur wenige Spitzenpolitiker aus dem Osten am Verhandlungstisch. Aus Sicht von Politikwissenschaftler Nejkow liegt das unter anderem daran, dass ostdeutsche Politiker im Vergleich zu ihren westdeutschen Kollegen schlechter vernetzt sind.
Hinzu kommt, dass Parteien vor allem im Westen verankert sind. "Wir haben ja eine SPD, die quasi in Niedersachsen stattfindet", sagt Nejkow. Das geschehe über Boris Pistorius oder Lars Klingbeil. "Wir haben quasi eine CDU-NRW – von Herrn Merz, Herrn Linnemann, aber auch natürlich Herr Spahn und Co., die jetzt dort die Strippen ziehen. Dann kommt der Osten wie immer unter die Räder."
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 26. März 2025 | 21:15 Uhr