Neue Bundesregierung Koalitionsvertrag fordert neue Bürgerräte, aber ignoriert den alten
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11. April 2025, 05:00 Uhr
Union und SPD wollen offenbar weitere Bürgerräte einsetzen. Laut Wahlprogramm der Sozialdemokraten könnte es einen zur Corona-Pandemie geben. Aber bislang wurden nicht einmal die Vorschläge des ersten Bürgerrates des Bundestages zur Ernährung umgesetzt.
- Neuer Bürgerrat: Corona-Pandemie mögliches Thema
- Erster Bürgerrat zur Ernährung ignoriert
- Empfehlungen haben es nicht in Entwurf des Koalitionsvertrags geschafft
- Folge: Warnung vor mehr Politikverdrossenheit
In Deutschland könnten auch zukünftig wieder Bürgerräte einberufen werden. Im am Mittwoch veröffentlichten Entwurf des Koalitionsvertrages einigten sich Union und SPD darauf, "dialogische Beteiligungsformate wie zivilgesellschaftliche Bürgerräte des Deutschen Bundestages" fortsetzen zu wollen. Dieser Satz überrascht, denn von Seiten der Union hat es für das Prestige-Projekt der Ampel-Regierung nur wenig Sympathie gegeben.
So hatte noch im Dezember 2024 der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor stellvertretend für seine Fraktion von einem "missglückten Experiment" gesprochen. Das war als die Einsetzung eines zweiten Bürgerrates in der vergangenen Legislaturperiode scheiterte. Damit sei der Empfehlung der Union, es bei nur einem Bürgerrat zu belassen, Folge geleistet worden, so Amthor.
Neuer Bürgerrat: Corona-Pandemie mögliches Thema
Es scheint, als ob die Sozialdemokraten also mit den Bürgerräten einen Verhandlungserfolg erzielt haben. Sie SPD hatte sich auch in ihrem Wahlprogramm für die Fortführung des Beteiligungsgremiums ausgesprochen. Dabei hatten die Genossen auch schon ein konkretes Thema im Auge: die Corona-Pandemie. Dabei gehe es vor allem darum, auf eine künftige Pandemie besser vorbereitet zu sein.
Thematisch also ein ganz anderer Schwerpunkt als der erste Bürgerrat, der unter dem Titel "Ernährung im Wandel" im Februar 2023 an den Start ging. Dafür waren in einem Zufallsverfahren 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ermittelt worden. Im Februar 2024 legte der Bürgerrat dann nach drei Sitzungen in Präsenz sowie sechs virtuellen Treffen seine Empfehlungen vor. Davon machte besonders eine die Runde: So sprach sich das Gremium für ein kostenfreies Mittagessen für alle Kinder in Schulen und Kitas aus. Bund und Länder sollten dies gemeinsam finanzieren.
Erster Bürgerrat zu Ernährung ignoriert
Hinzu kamen noch weitere Empfehlungen: ein staatliches Label auf gesunde Lebensmittel im Handel, eine Verpflichtung der Supermärkte zur Zusammenarbeit mit den Tafeln sowie mehr Ernährungsbildung schon an den Schulen. Auch eine Altersgrenze für stark zucker- und koffeinhaltige Energydrinks zählte dazu. Von Ernährungsexperten und auch manchen politischen Akteuren wurde dieser Bericht als Erfolg wahrgenommen.
Schnell trat allerdings Ernüchterung ein: Denn schon die kurz darauf im April veröffentlichte Ernährungsstrategie des grün-geführten Bundesernährungsministeriums blieb aus Sicht vieler Interessenvertreter hinter den Empfehlungen des Bürgerrats zurück.
Empfehlungen haben es nicht in Entwurf des Koalitionsvertrags geschafft
Noch deutlicher ist die Missachtung der Beschlüsse des Bürgerrats zur Ernährung nun im Koalitionsvertrag ausgefallen. Praktisch keine der zentralen Empfehlungen hat es in das Papier geschafft. Zielsetzungen zur Verringerung der Lebensmittelverschwendung und Förderung der gesunden Ernährung für Kinder und Jugendliche sind eher oberflächlich gehalten.
"Für all die engagierten Menschen aus dem Bürgerrat Ernährung muss dieser Koalitionsvertrag [...] eine bittere Enttäuschung sein", bilanzierte auch der Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch, Christian Methmann.
Folge: Warnung vor mehr Politikverdrossenheit
Die Empfehlungen des Bürgerrats Ernährung scheinen also derzeit politisch tot zu sein. Für die zukünftige Planung entsprechender Gremien ist das schon deshalb nicht unerheblich, da die Union ihre Zustimmung zu einem neuerlichen Bürgerrat auch explizit an eine grundlegende Evaluierung der bisherigen Arbeit des Forums abhängig machen will. Allein auf Grund des Koalitionsvertrages müsste dieses Fazit nun schon negativ ausfallen.
Politikforscher warnen vor falschen Signalen, die dadurch in die Bevölkerung gesendet würden. Der anvisierte Teilhabegedanke könnte leicht ins Gegenteil verkehrt werden, das ambitionierte Projekt zu einer fruchtlosen "Politiksimulation", verkommen, erklärte etwa die Berliner Politologin Miriam Hartlapp. "Ein Bürgerrat kann Politikverdrossenheit abbauen und eine positive Demokratieerfahrung für Teilnehmer und Beobachter haben. Doch wenn nichts Konkretes folgt, können Bürgerinnen und Bürger hinterher auch umso enttäuschter sein."
KNA/ MDR (mpö)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 10. April 2025 | 07:04 Uhr