Politische Teilhabe So erlebte eine Quedlinburgerin den Bürgerrat Ernährung

von Oliver Leiste, MDR SACHSEN-ANHALT

15. Januar 2024, 20:02 Uhr

Ein halbes Jahr lang hat ein Bürgerrat zum Thema "Ernährung im Wandel" beraten. Am Sonntag hat das Gremium, das vom Bundestag einberufen wurde, konkrete Vorschläge an das Parlament präsentiert. Biggy Kewitsch aus Quedlinburg war eine der 160 Teilnehmenden, die im Vorfeld ausgelost wurden. Hier erzählt sie, was sie an der Arbeit im Bürgerrat begeistert hat.

MDR SACHSEN-ANHALT: Frau Kewitsch, 160 Menschen aus ganz Deutschland haben im Bürgerrat "Ernährung im Wandel" Vorschläge für den Bundestag erarbeitet. Sie waren Teil dieser Gruppe. Was sind Ihre Erfahrungen mit dem Bürgerrat?

Biggy Kewitsch: Ich fand es sehr angenehm. Vorher gab es Bedenken, dass wir in eine bestimmte Richtung gedrängt werden. Das war nicht der Fall. Ich fühlte mich gut aufgehoben. Jede Meinung wurde akzeptiert. Ich habe auch das Gefühl, man konnte sich wirklich einbringen. Deswegen ist der Gesamteindruck sehr positiv.

Was waren zu Beginn Ihre Motivation und Ihre Hoffnung an den Bürgerrat?

Das Thema ist bei mir perfekt. Ich hatte über viele Jahre Kontakt zur Landwirtschaft, meine Familie hatte einen Bauernhof. Zudem habe ich einige Jahre in Augsburg auf einem Hof gelebt. Mein damaliger Partner war ebenfalls Landwirt. Ich arbeite in der Gastronomie und habe da viel mit Ernährung zu tun, koche selbst sehr gern. Deswegen ist das mein Thema.

Meine Hoffnung war, dass wir alle wieder etwas mehr darüber nachdenken, wo unser Essen herkommt und wie wir es zubereiten. Dass Kinder in der Schule lernen, wo oder wie was wächst.

Mitglieder des Bürgerrats "Ernährung im Wandel" stehen mit Bärbel Bas (SPD, M), Präsidentin des Deutschen Bundestages, für ein Gruppenfoto zusammen
Der Bürgerrat hat am Sonntag seine Ergebnisse Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD, in der Bildmitte) präsentiert. Bildrechte: picture alliance/dpa | Christophe Gateau

Wie arbeitet der Bürgerrat?

Die Sitzungen des Bürgerrats fanden teilweise online, aber auch in Präsenz statt. Die 160 Teilnehmenden wurden zunächst von Expertinnen und Experten gebrieft und erhielten hintergründige Informationen zum Thema, das sie bearbeiteten. In Kleingruppen wurde unter professioneller Moderation über die Thematik diskutiert, erste Fragen und Ideen formuliert. An diesem Wochenende, am Ende der Sitzungsphase, ging es darum, gemeinsam konkrete Handlungsempfehlungen zu formulieren. Diese Empfehlungen werden an den Bundestag übergeben und auf politischer Ebene behandelt.

Wie war der Ablauf?

Wir wurden angeschrieben. Weil der Bundesadler auf dem Brief war, habe ich mir das Schreiben etwas genauer angesehen. Für den Bürgerrat mussten wir dann einen Fragebogen zu Essgewohnheiten ausfüllen. Danach habe ich schon gehofft, teilnehmen zu dürfen. Denn die Teilnehmer wurden ja ausgelost.

Zum Auftakt haben wir ein Wochenende in Berlin verbracht. Davor war ich schon freudig aufgeregt. Da wurde sich auch wirklich gut um uns gekümmert. Fast schon zu gut, da könnte man sicher noch etwas sparen.

Bei den virtuellen Sitzungen später hatte ich das Gefühl, dass man nicht richtig zu Wort kommt. Selbst in kleineren Gruppen. Solche Calls sind aber generell nicht meine bevorzugte Gesprächsform. Aufgrund der Arbeitszeiten vieler Leute war das jedoch nicht anders möglich.

Biggy Kewitsch, eine mittelalte Frau in blauem T-Shirt
Biggy Kewitsch hat selbst einige Jahre auf einem Bauernhof gelebt. Bildrechte: MDR/ Biggy Kewitsch

Beim zweiten Termin in Berlin war es fast wie ein Familientreffen. Ich hatte ja Leute kennengelernt, auf die ich mich dann gefreut habe. Und wir waren auch sehr motiviert, die Themen auszuarbeiten.

Wie war der inhaltliche Weg von den ersten Ideen hin zu den Vorschlägen, die jetzt präsentiert wurden?

Neun Empfehlungen wurden nun an den Bundestag weitergegeben. Wir haben natürlich viel mehr Themen besprochen. In der Regel wurden zunächst wir befragt. Daraus sind Übersichten mit sehr vielen Notizen entstanden. Essgewohnheiten, Erwartungen an die Politik, inwieweit sich der Staat einmischen soll oder eben nicht. Das Redaktionsteam hat das abends immer zusammengefasst.

Wichtige Themen waren die Kennzeichnung von Lebensmitteln, das Tierwohl oder eine mögliche Zuckersteuer. Lange diskutiert wurde auch das kostenlose Essen in Kitas und Schulen. Ich fand sehr interessant, wie unterschiedlich die Ansichten bei diesem Thema etwa waren. Auch über die Frage, wie das Essen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen verbessert werden kann, haben wir lange gesprochen.

Irgendwann hatten wir 15 Körbe mit Themen. Eine Gruppe hat angefangen, diese zu bearbeiten. Die nächste Gruppe hat dann mit diesem Stand weitergemacht. Natürlich sind dabei Themen rausgefallen, die ich gerne weiterbearbeitet hätte. Andere, die dringeblieben sind, waren nicht meine Favoriten. Aber das haben wir zusammen eben so entschieden.

Wie hat ihr Umfeld auf das Engagement reagiert?

Total unterschiedlich. 70 Prozent waren total positiv. Die sagen wie ich, dass man nicht immer nur meckern, sondern auch mal was machen kann. Einige haben aber auch gemeint, das bringt nichts und ich soll es lieber lassen.

Der Bürgerrat wird von vielen auch kritisch gesehen. Braucht es eine zusätzliche Volksvertretung zum gewählten Parlament?

Ich finde das super. So ein bisschen Bürgernähe ist nicht ganz verkehrt. Einige Politiker meinten zu Beginn, dass wir ja auch immer in ihre Büros kommen könnten. Aber ich bin nicht der Typ, der sich ohne Anlass mit Politikern unterhält. Auch vor Wahlen nicht. Gerade mit der Masse der Leute entstehen ja ganz neue Ideen. Wenn wir die haben, können auch gerne die Politiker dazukommen. Ich wäre dafür, dass es solche Veranstaltungen öfter gibt.

Empfinden Sie ihre Arbeit im Bürgerrat im Nachhinein als sinnvoll?

Ob es wirklich sinnvoll war, erfahren wir erst später. Wenn wir nämlich wissen, wie viel davon tatsächlich im Bundestag und womöglich sogar in Gesetzen gelandet ist. Aber ich habe ein bisschen Sorge, dass das Ganze bei den vielen großen Themen derzeit, etwa den Bauernprotesten, etwas untergeht. Wenn drei der neun Empfehlungen umgesetzt werden, wäre das aus meiner Sicht ein Erfolg.

Anja Maier und Malte Pieper 48 min
Bildrechte: MDR/Isabel Theis/Imago/Ute Mahler/Agentur Ostkreuz

Hat sich Ihr Blick auf Themen wie Ernährung oder Tierwohl durch die Arbeit im Bürgerrat verändert?

Zunächst dachte ich nicht. Inzwischen stelle ich aber fest, dass ich beim Fleischkauf mehr darauf achte, unter welchen Bedingungen die Tiere gehalten werden. Auf den Zuckergehalt habe ich auch vorher schon sehr geachtet. Und mir ist es wichtig, saisonal und regional einzukaufen.

Hat sich Ihr Blick auf die Politik verändert?

Eher nicht. Aber mein Interesse hat sich definitiv verstärkt. Es macht Spaß, seine Meinung mit einzubringen und zu schauen, was man damit bewirkt. Wenn man sich freiwillig für Bürgerräte melden könnte, wäre ich eine der ersten, die dabei wäre.

Was hoffen Sie, was jetzt mit den Ergebnissen passiert?

Wenn ein Drittel umgesetzt wird, oder über mindestens die Hälfte wirklich diskutiert wird, wäre das super. Dass nicht alles umgesetzt werden kann, ist klar.

Aus diesem Bürgerrat hat sich zudem eine Initiative gebildet, die versucht, auch die Bildung rund um das Thema Ernährung zu verstärken. Bildung ist aber Ländersache. Deswegen müssen wir dort andere Leute ansprechen und das versuchen wir jetzt.

MDR (Oliver Leiste)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 14. Januar 2024 | 18:00 Uhr

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