Teilnehmer des Bürgerrates Demokratie gehen an einem Aufsteller mit dem Logo der Veranstaltung vorüber
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Fragen und Antworten Bürgerrat: Ein Instrument für mehr politische Teilhabe?

14. Januar 2024, 18:30 Uhr

Der Bürgerrat "Ernährung im Wandel" ist der erste vom Bundestag beauftragte Bürgerrat. Aber was genau macht ein Bürgerrat eigentlich? Wie setzt er sich zusammen, wie funktioniert er und: Was kann ein solcher Rat bewirken?

Neben Volksentscheiden, Volksbegehren oder Petitionsausschüssen sind mittlerweile auch Bürgerräte ein Instrument für mehr politische Teilhabe. Der Bürgerrat "Ernährung im Wandel" hat Ende September 2023 seine Arbeit aufgenommen, an diesem Wochenende traf er sich zum letzten Mal.

Es ist der erste direkt vom Bundestag beauftragte Bürgerrat in Deutschland und sollte sich mit der Frage beschäftigen, wie unsere Ernährung der Zukunft aussehen und sichergestellt werden kann. Auch auf regionaler Ebene werden Bürgerräte schon eingesetzt.

Am Wochenende präsentierte der Bürgerrat seine Ergebnisse der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Das vom Rat erstellte Bürgergutachten wird im Februar vorgestellt.

Aber was genau ist ein Bürgerrat? Wie setzt er sich zusammen, wie arbeitet er und welchen Einfluss kann die Vertretung von Bürgerinnen und Bürgern auf das politische Geschehen tatsächlich ausüben? Und was genau macht der Bundestag mit den Erkenntnissen aus dem Bürgergutachten? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wie arbeitet der Bürgerrat?

Die Sitzungen des Bürgerrats fanden teilweise online, aber auch in Präsenz statt. Die 160 Teilnehmenden wurden zunächst von Expertinnen und Experten gebrieft und erhielten hintergründige Informationen zum Thema, das sie bearbeiteten. In Kleingruppen wurde unter professioneller Moderation über die Thematik diskutiert, erste Fragen und Ideen formuliert. An diesem Wochenende, am Ende der Sitzungsphase, ging es darum, gemeinsam konkrete Handlungsempfehlungen zu formulieren. Diese Empfehlungen werden an den Bundestag übergeben und auf politischer Ebene behandelt.

Wie wurden die Mitglieder ausgewählt?

Die Mitglieder werden per Losverfahren über die kommunalen Melderegister bestimmt: Bundesratspräsidentin Bärbel Bas hatte Mitte Juni 2023 knapp 20.000 zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger aus 82 ebenfalls per Zufall bestimmten Gemeinden zur Teilnahme am Rat eingeladen. Nur rund 2.000 zeigten Interesse. Daraus ermittelte ein Algorithmus 1.000 mögliche Zusammensetzungen eines Bürgerrates. Daraus wurde wiederum per Los der 160-köpfige Bürgerrat bestimmt.

Es wurde darauf geachtet, alle Gruppen zu beteiligen, nach den Kategorien geografische Herkunft, Geschlecht, Alter, Gemeindegröße und Bildungsstand. Somit bilden die ausgelosten Mitglieder eines Bürgerrats den Durchschnitt der Bevölkerung repräsentativ ab. Für den aktuellen Bürgerrat "Ernährung im Wandel" wurde außerdem sichergestellt, dass auch Menschen, die sich vegan und vegetarisch ernährend, entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil vertreten sind.

Was ist das Ziel des Bürgerrats?

Die drei Ampel-Parteien hatten in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, "neue Formen des Bürgerdialogs wie etwa Bürgerräte" zu nutzen. Ziel ist es laut Bundesregierung, einer Entfremdung von Bürgern und Politik entgegenzuwirken und zur Versachlichung kontroverser Debatten beizutragen.

Mit Bürgerräten soll auch Politikverdrossenheit gemildert werden. "Man kann davon ausgehen, dass man, wenn man diese Gruppe befragt, herausfinden kann, wie die Gesellschaft denkt und wie die Gesellschaft Probleme lösen könnte", sagte dazu Guido Mehlkop, Professor an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt im Gespräch mit MDR THÜRINGEN.

Kann ein Bürgerrat die Demokratie stärken?

"Bürgerräte bieten eine positive Demokratieerfahrung für die Teilnehmer und einen Mehrwert für die Öffentlichkeit, die Argumente, Austausch, Kompromissfindung zu einem sie betreffenden Thema verfolgen kann", sagt dazu Miriam Hartlapp, Politikwissenschaftlerin und Professorin an der Freien Universität Berlin. Es komme aber auch darauf an, wie die Politik die Ergebnisse des Bürgerrats behandle. Würden die erarbeiteten Vorschläge von der Politik nicht umgesetzt, biete das großes Frustrationspotential und könnte der Demokratie schaden. "Der Grat für eine Stärkung der Demokratie ist schmal: gewählte Repräsentanten müssen Empfehlungen ernst nehmen und sich mit diesen beschäftige, aber demokratietheoretisch (und in Deutschland verfassungsrechtlich geschützt), können sie nicht verpflichtet werden, diese einfach zu übernehmen", teilt Hartlapp in einer schriftlichen Antwort mit. Sie fordert: Einbettung und Rolle von Bürgerräten im politischen System müssten klar definiert werden.

Können Bürgerräte des Defizit unterrepräsentierter Personengruppen in den Parlamenten beheben?

Bürgerräte wurden auch schon in Kanada, Irland oder Frankreich eingesetzt. Im internationalen Vergleich zeige sich, dass viele der Bürgerräte die Zusammensetzung der Bevölkerung besser abbilden als gewählte Parlamente, sagt Hartlapp. Doch erreichten auch Bürgerräte die Personengruppen mit der größten Distanz zur Politik nicht, kritisiert sie. "Bürgerräte sind kein Ausgleich für strukturelle politische Ungleichheit, hier sind andere Stellschrauben notwendig", so Hartlapp. "Systemische Defizite lassen sich nicht durch add-ons wie Bürgerräte beheben."

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Warum wurde Ernährung als Thema gewählt?

Der Koalitionsvertrag ließ das Thema zunächst offen. Die Regierungsfraktionen entschieden sich für Ernährung, weil das Thema viele Menschen umtreibt und alle in ihrem Alltagsleben betrifft. Der Bürgerrat wurde dann im Mai 2023 per Parlamentsbeschluss mit dem Titel "Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben" eingesetzt.

Worüber wurde konkret diskutiert?

Der Rat soll sich dazu äußern, was "zu einer transparenten Kennzeichnung von sozialen Bedingungen, von Umwelt- und Klimaverträglichkeit und von Tierwohlstandards" auf Lebensmitteln gehört. Erörtert werden soll auch, wie die Bevölkerung "bei Kaufentscheidungen im Hinblick auf eine gesunde Ernährung besser unterstützt" werden kann und welchen "steuerlichen Rahmen" der Staat für die "Preisbildung von Lebensmitteln" setzen sollte. Auch Konzepte gegen Lebensmittelverschwendung stehen auf der Agenda.

Was passiert mit den Ergebnissen?

Der Bürgerrat erarbeitet ein Gutachten mit konkreten Handlungsempfehlungen. "Diese fließen in die parlamentarischen Beratungen ein", erklärt der Bundestag. Eine Pflicht zur Berücksichtigung gibt es aber nicht: "Was umgesetzt wird und was nicht, entscheiden am Ende aber allein die Mitglieder des Deutschen Bundestages."

Wo waren Bürgerräte schon im Einsatz und erfolgreich?

Bürgerräte haben in einigen Ländern schon Einfluss aufs politische Geschehen genommen: etwa auf die Wahlrechtsreform in Kanada oder in den Niederlanden. Im katholisch geprägten Irland kam es sogar zu einer Verfassungsänderung: Dort tagte ein Bürgerrat zur gleichgeschlechtlichen Ehe und Abtreibung mit folgendem Ergebnis: Der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe und das Abtreibungsverbot wurde aufgehoben.

"In Frankreich organisierte die Regierung in Reaktion auf die Gelbwesten-Proteste eine 'Große Nationale Debatte' – Teil dieser Debatte waren Bürgerräte, in denen unter anderem die Forderung nach einem Bürgerrat Klima formuliert wurde", weiß Miriam Hartlapp, die eine Professur für Vergleichende Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Deutschland und Frankreich besetzt. Dieser Bürgerrat habe 2020 auch sozial gerechte Vorschläge zur Reduktion von Treibhausgas-Emissionen um 40 Prozent vorgelegt, die zumindest in Teilen von der Regierung bearbeitet oder umgesetzt worden seien. "Meist durch Integration in größere Gesetzesvorhaben", so Hartlapp.

Mit Material von dpa

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 12. Januar 2024 | 07:57 Uhr

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