Neuwahlen und EU-Asylrechtsreform Asylprozess für queere Geflüchtete: Ein Schritt nach vorn, zwei zurück?
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12. Januar 2025, 05:00 Uhr
Noch bis Oktober 2022 gab es Fälle, in denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge queere Menschen in Länder zurückgeschickt hat, in denen sie massiv bedroht waren, etwa nach Pakistan oder in den Iran – mit dem Verweis einfach "diskret" zu leben. Eine Praxis die Nancy Faeser per Dienstanweisung beendet hat. Auch an anderer Stelle gab es Fortschritte im Umgang mit queeren Geflüchteten. Doch all das kam vor der Reform des EU-Asylrechtes.
- Die Ampel hat 2022 das Diskretionsgebot abgeschafft, queere Geflüchtete werden nicht länger angehalten ihre Identität oder Orientierung im Herkunftsland zu verstecken.
- 2023 hat die Ampel-Regierung eine Rechtsberatung für queere Geflüchtete und andere vulnerable Schutzsuchende eingeführt.
- In der Flüchtlingsarbeit hat man die Sorge, dass queere Geflüchtete unter den EU-Asylreformen besonders leiden werden.
Queere Menschen werden verfolgt und diskriminiert – in vielen Ländern ist das noch immer an der Tagesordnung. Wer in Länder flüchtet, die mehr Freiheit und Sicherheit versprechen, muss nicht nur die Flucht überleben, sondern – einmal angekommen – die eigene Schutzbedürftigkeit unter Beweis stellen. In Deutschland muss dafür nicht nur jahrelang erlernte Scham und Stigmatisierung, sondern auch die deutsche Bürokratie überwunden werden.
Tatsächlich hat die Ampel-Regierung den Asylprozess für queere Geflüchtete vereinfacht. Fragt sich nur, was davon nach den Neuwahlen übrig bleibt.
Die Abschaffung des Diskretionsgebotes für queere Geflüchtete
2022 als großer Erfolg gefeiert und als längst überfällig kritisiert, war die Abschaffung des sogenannten "Diskretionsgebotes" für queere Geflüchtete. Denn bis Oktober 2022 gab es Fälle, in denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Geflüchtete in ihr Herkunftsland zurückgeschickt hat, obwohl ihnen ihre queere Identität geglaubt wurde und obwohl ihnen in ihrem Herkunftsland Verfolgung drohte. Begründung: Die Person könne ja "diskret" leben, also ihre Orientierung verstecken, dann sei auch eine Verfolgung unwahrscheinlich.
Das habe dazu geführt, dass Menschen in für sie extrem gefährliche Länder abgeschoben wurden, erklärte Andrea Kothen, Referentin bei ProAsyl, MDR AKTUELL. Darüber hinaus habe diese Praxis gegen EU-Recht verstoßen. Auf Druck von NGOs und den eigenen LSBTIQ-Verbänden von SPD, Grünen und FDP gab Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Oktober 2022 schließlich eine Dienstanweisung an das BAMF heraus, die das sogenannte Diskretionsgebot beendete.
Seitdem wird bei der Gefahrenprüfung für queere Geflüchtete immer davon ausgegangen, dass sie bei Rückkehr in ihr Herkunftsland ihre sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität nicht verstecken würden. Patrick Dörr, Mitglied im Bundesvorstand des LSVD+, einem Bürgerrechtsverband für lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen, zufolge hat das einen großen Unterschied gemacht. "Zuvor gab es Fälle, in denen Personen nach Pakistan oder in den Iran abgeschoben wurden, obwohl man ihnen glaubte, dass sie queer sind. Seit Oktober 2022 passiert das in der Regel nicht mehr."
LSVD+: BAMF hat Angst vor falscher Behauptung queerer Identität
Dennoch ist es für Menschen, denen in ihrem Herkunftsland wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität Verfolgung droht, nach wie vor nicht leicht, in Deutschland ihr Recht auf Asyl zuerkannt zu bekommen. Denn für die Bewilligung ihres Asylantrags ist maßgeblich, dass sie Mitarbeitern des BAMF in einer Anhörung ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität "glaubhaft" machen können.
Das BAMF teilte auf Anfrage mit, die Geflüchteten müssten in dieser Anhörung ihre Geschichte möglichst schlüssig, detailliert und widerspruchsfrei wiedergeben. Patrick Dörr erklärt: "Daran scheitern viele – sei es, weil sie noch nie zuvor mit einer nicht-queeren Person über ihre Identität gesprochen haben, weil sie traumatisiert sind oder weil die Anhörenden stereotype Vorstellungen haben."
Dörr sagt, in seinem Verband habe man den Eindruck, auf Seiten des BAMF gebe es eine große Angst, dass eine queere Identität nur behauptet wird, um Asyl zu bekommen. Das sei insofern verständlich, als dass für Schutzsuchende aus vielen Ländern LSBTIQ-feindliche Verfolgung der mitunter einzig erfolgversprechende Asylgrund sei. "Gleichzeitig darf diese Sorge nicht in eine grundsätzliche Paranoia umschlagen, sodass man niemandem mehr glaubt."
Unabhängige Rechtsberatung für queere Geflüchtete
Die Bundesregierung hat 2023 auch eine Rechtsberatung speziell für queere Geflüchtete und andere vulnerable Schutzsuchende – beispielsweise Opfer von Menschenhandel oder Folter – eingerichtet und finanziell gefördert. Celene Mujica Alfonzo bietet im psychosozialen Zentrum "refugio e.V." in Erfurt solche Beratungen an. "Das ist keine leichte Aufgabe – unsere Zielgruppe sind Menschen, die oft schwer traumatisiert sind."
Umso erleichterter seien sie über die Beratung, sagt Mujica Alfonzo. Es helfe den Menschen, vorher zu wissen, wie die Anhörung zu einem Asylgesuch abläuft und welcher Teil ihrer Geschichte dort relevant ist. "Manche sind überrascht, dass sie in dem Verfahren so viele Rechte haben." Und nach der Anhörung könne sie überprüfen, ob alles rechtens abgelaufen sei. Bei Ablehnung des Asylgesuchs helfe sie den Menschen bei der Entscheidung für oder gegen eine Klage.
Doch die Zukunft des Projekts ist angesichts des fehlenden Haushalts und der anstehenden Neuwahlen ungewiss. "Ich weiß nicht, wie lang wir noch da sind", sagt Mujica Alfonzo. Schon jetzt seien die Mittel knapp. Bei Einführung der Rechtsberatung für queere Geflüchtete, zusammen mit der unabhängigen Asylverfahrensberatung 2023, standen für sechs Monate 20 Millionen Euro zur Verfügung. 2024 stellte der Bund den gleich Betrag bereit – für ein ganzes Jahr.
Reform des EU-Asylrecht trifft queere Geflüchtete besonders
Ein weiteres Vermächtnis der Ampel sind die Reformen des "Gemeinsamen Europäischen Asylsystems" (GEAS). Auf diese haben sich im Dezember 2023 die Europäische Kommission, die Mitgliedsländer der EU und das EU-Parlament geeinigt.
Patrick Dörr vom LSVD+ zufolge verschärft die EU-Asyl-Reform die Lage für alle Schutzsuchenden in Deutschland massiv und besonders für queere Geflüchtete. Etwa die geplanten Asylverfahren an der EU-Außengrenze für Asylsuchende aus Ländern mit einer Anerkennungsquote unter 20 Prozent. Dörr vermutet, dass viele queere Geflüchtete davon betroffen sein werden, weil sie zwar in ihrem Land verfolgt werden, die gesamte Anerkennungsquote für dieses aber eben unter 20 Prozent liegt.
Das sind Menschen, denen ihr ganzes Leben lang beigebracht wurde, ihre sexuelle Orientierung wäre eine Sünde, eine Schande, ein Verbrechen.
Das sei besonders deswegen problematisch, weil die Geflüchteten in einem solchen Grenzverfahren nur wenige Tage Zeit hätten, ihren Asylgrund anzubringen, sagt Dörr. "Das sind Menschen, denen ihr ganzes Leben lang beigebracht wurde, ihre sexuelle Orientierung wäre eine Sünde, eine Schande, ein Verbrechen. Die wissen noch gar nicht wie es ist, in Europa offen damit umgehen zu können."
Daher sei die Wahrscheinlichkeit, dass diese Menschen in einem Grenzverfahren überhaupt ihre Asylgründe anbringen, deutlich geringer, als bei einem ordentlichen Verfahren, zum Beispiel in Deutschland, sagt Dörr. Außerdem seien schon Gemeinschaftsunterkünfte in Deutschland für Geflüchtete massive Angsträume. "Und das ist unter solchen Haftbedingungen sicher noch schlimmer."
"Sichere" Drittstaaten für queere Geflüchtete?
Die EU-Reform macht den Mitgliedsstaaten außerdem wesentlich leichter, einen Drittstaat als "sicher" zu erklären – und damit potenziell Asylverfahren dorthin zu verlagern. Nun steuert Deutschland nach den aktuellen Umfragen mit den Neuwahlen im Februar 2025 auf eine CDU-geführte Bundesregierung zu. Und die Partei schreibt in ihrem Grundsatzprogramm: "Wir wollen das Konzept der sicheren Drittstaaten realisieren." Jeder, der in Europa Asyl beantragt, solle in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen.
Aber was ist "sicher" für Angehörige der LSBTIQ-Community? Dörr erklärt: "Fast alle Staaten die dafür infrage kommen – ich denke an Nordafrika, die Türkei – kriminalisieren LSBTIQ*-Personen." Daher fordere der LSVD+, dass solche Staaten nicht als sichere Drittstaaten benannt werden dürfen.
Auch Celene Mujica Alfonzo sagt, sie sehe große Herausforderungen und offene Fragen bei den Asylverfahren für schutzbedürftige Menschen. "Wie soll an der Grenze die Schutzbedürftigkeit festgestellt werden? Werden die Rechte traumatisierter Geflüchteter beachtet?" Letztlich komme es auf die konkrete Umsetzung der Reformen an.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 12. Januar 2025 | 06:00 Uhr