Kristin Schwietzer zu Wahlversprechen von FDP und CDU
Kristin Schwietzer zu den Wahlversprechen der Parteien Bildrechte: Collage: IMAGO/Andre Germar / ARD-Hauptstadtstudio/Reiner Freese

Unter der Lupe - die politische Kolumne Mehr Mut zu Reformen – der Winterwahlkampf geht los

12. Januar 2025, 12:50 Uhr

Jetzt beginnt der Bundestagswahlkampf richtig. Die Parteitage mit Nominierungen, Listenaufstellungen und Wahlprogrammen haben schon begonnen. Jetzt werden fleißig Wahlplakate geklebt, Menschen angesprochen und Haustürbesuche gemacht. Welche Themen könnten die Wahlen beeinflussen? Und wer könnte sie mit wem umsetzen?

Schnee statt Sonne. Winterwahlkampf ist hart. Die Wahlkämpfer aus den Ländern stöhnen. Menschen bei eisigen Temperaturen auf der Straße anzusprechen, ist mehr als schwer. Auf der kalten Leiter stehen und Plakate aufhängen ist auch nicht viel besser. Richtig Stimmung kommt noch nicht auf. Gerade bei den Ampel-Parteien muss der Enthusiasmus an der Basis noch wachsen. Das Ampel-Aus wirkt noch nach.

Die Kandidatenkür der SPD beim Parteitag in Berlin kommt auch eher mit mäßigem Feuer um die Ecke. Scholz macht, was er machen muss, den Kanzlerkandidaten der Konkurrenz – in diesem Fall Friedrich Merz von der CDU – kritisieren und sozialdemokratische Themen in den Fokus rücken. Vieles wirkt bemüht. "Mehr Sicherheit, mehr Mindestlohn, mehr Rente", die Leuchtbuchstaben vor dem Parteitagsgelände strahlen sozialdemokratische Wünsche in die kalte Winterluft.

Olaf Scholz beim Pressestatement zum Jahresauftakt des SPD-Präsidiums im Willy-Brandt-Haus. 2 min
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Kanzler startet bei SPD-Bundesparteitag Frontalanangriff auf die Union

MDR AKTUELL Sa 11.01.2025 14:07Uhr 01:30 min

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Top-Verdiener ab 140.000 Euro im Jahr sollten dafür stärker besteuert werden, ruft der Kanzler und der zugleich frisch nominierte Spitzenkandidat den Delegierten zu. Das soll die Wähler an die Wahlurne treiben. Wen sie verhindern wollen, ist auch klar: Merz. Der Kanzlerkandidat der Union wird auf dem Parteitag zum Inbegriff des Kapitalisten stilisiert. Und damit liegt der Konkurrenzkampf auf dem Tisch. An den Vorschlägen der Union werden sich bis Mitte Februar alle Parteien abarbeiten.

Wer soll das bezahlen?

Die Überschrift bei der Union heißt: Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft. Die Kapitalertragssteuer soll runter, die Grenze für den Spitzensteuersatz von 60.000 auf 80.000 Euro angehoben werden. Zudem plant die Union eine umfassende Steuerreform in mehreren Schritten. Ein Teil davon soll durch die Abschaffung des Bürgergeldes finanziert werden. Das soll durch eine Grundsicherung mit schärferen Sanktionsmöglichkeiten ersetzt werden. Zusätzliche Mittel erhofft sich die Union, wenn die Wirtschaft durch ihre geplanten Maßnahmen wieder läuft.

Doch eben das bleibt ein Unsicherheitsfaktor. Und so stürzt sich die Konkurrenz zu recht auf die Achillesferse des Unionsprogramms: Entlastungen in Höhe von 100 Milliarden Euro im Jahr. Wie soll das finanziert werden? Diese Frage werden Friedrich Merz und seine Wahlkämpfer in den kommenden Tagen und Wochen noch öfter hören. Für soziale Wohltaten dürfte es im Gegenzug aber auch kaum Spielräume geben. Die Probleme sind zu groß. Viele Unternehmer klagen über zu hohe Energiepreise. Die Stimmung in der Wirtschaft ist schlecht, der Optimismus längst eingetrübt. Die Firmenpleiten häufen sich.

Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU), spricht bei der Sitzung zur Vertrauensfrage im Bundestag. 2 min
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Start in heiße Wahlkampfphase

MDR AKTUELL Sa 11.01.2025 19:09Uhr 02:11 min

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Aber auch die Menschen leiden unter den Folgen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges. All das verlangt Unterstützung, auch weiterhin. Die Mehrwertsteuer senken, dazu das Kindergeld erhöhen und das Deutschlandticket weiter finanzieren, wie es die SPD vorschlägt, ohne Kürzungen im sozialen Bereich – auch das dürfte selbst mit einer Vermögenssteuer kaum ausreichend finanzierbar sein.

Es braucht eine Reform-Agenda

Das Problem dieses Landes heißt: Reformstau. Was die Ampel versprochen hat, konnte sie nur in Teilen erfüllen. Einige Reformprojekte wurden beschlossen und angeschoben, etwa bei der Sanierung der Bahnstrecken. Der Rest ist im Streit erstickt. Dabei braucht es vielmehr grundsätzliche Entscheidungen: Investitionen in die Infrastruktur, in marode Brücken und Straßen, in das Gesundheitswesen, den Wohnungsbau und vieles mehr. Das wird Milliarden Euro kosten.

Außerdem braucht es den Mut zu einer umfassenden Reform des Staatswesens. Nur wer Bürokratie abbaut, wird die Handlungsfähigkeit von Behörden und Verwaltungen schneller machen. Es gibt zwei Wahlversprechen, die die Bürger nicht mehr hören können und wollen, Bürokratieabbau und Digitalisierung. Es braucht endlich eine Regierung, die es nicht nur verspricht, sondern auch spürbar umsetzt: 5G flächendeckend, digitale Verwaltung und weniger Behördengänge. Wie wäre es mit digitalen Wahlen? In Estland praktizieren sie das schon seit fast 20 Jahren. Nicht reden, einfach machen. Das wäre wünschenswert.

Migration könnte Wahl beeinflussen

Und dann gibt es da noch die Dinge, die keine Bundesregierung allein bestimmen und steuern kann, die aber durchaus wahlentscheidend sein könnten. Die Frage, wie umgehen mit aktuellen und möglichen weiteren Flüchtlingsströmen. Die Kriegsherde der Welt sind so nah wie selten. Der Krieg in der Ukraine, vor allem aber die unklaren Verhältnisse in Syrien könnten alte Probleme neu befeuern. Es braucht auch da eine Bundesregierung, die es schafft, bei der Bewältigung aller Migrationsbewegungen einen europäischen Konsens herzustellen und zugleich nationale Maßnahmen zu ergreifen, die illegale Migration steuert und legale Migration durch eine bessere Integration möglich macht.

Zudem stellt sich auch in Zukunft die Frage, wie umgehen mit gewalttätigen, ausländischen Straftätern? Nach Mannheim und Solingen wird diese Frage auch die künftige Bundesregierung beschäftigen. Die Union will Doppelstaatlern, die hier straffällig werden, die Staatsbürgerschaft aberkennen. Das ist mit der SPD nicht zu machen. Und bei den Grünen wäre es wohl ähnlich. Die doppelte Staatsbürgerschaft, aber auch, wie es sich die Union wünscht, den Familiennachzug stärker zu begrenzen, könnte gerade für die möglichen Koalitionspartner SPD und Grüne schwierig werden. Es geht um Grundsätzliches. Die Union wird an dieser Stelle keinen Wahlkampf führen, aber eine härtere Gangart bei Migration und Integration dürfte für CDU/CSU unverhandelbar sein. Da haben sie mit sich selbst und der Erfahrung aus 2015 mit der zum Teil unkontrollierten Zuwanderung noch eine Rechnung offen.

Trump ein unbequemer Partner

Und dann wäre da noch Trump. Er ist für Europa und für Deutschland ein schwieriger Partner. Selten war ein amerikanischer Präsident so unberechenbar wie Trump. Die angekündigten Strafzölle, seine Forderung nach mehr Geld für die Verteidigung, aber auch sein wechselhafter Umgang mit Autokraten dürfte die transatlantischen Beziehungen erneut auf eine erhebliche Belastungsprobe stellen. Europa, Deutschland wird sich bewegen müssen. Gerade in Fragen der Sicherheit sind wir ohne die Unterstützung der Amerikaner nicht in der Lage, unsere Sicherheit im Ernstfall zu verteidigen.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann 6 min
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Im Gespräch dazu FDP-Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann

MDR AKTUELL Fr 10.01.2025 08:17Uhr 06:14 min

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Mehr Geld für die Verteidigung dürfte dabei noch das kleinere Problem sein. Trump wird fortsetzen, was Obama und Biden schon angeschoben haben. Er wird es nur sehr viel klarer adressieren. Deutschland muss bereit sein, sich notfalls auch militärisch mehr zu engagieren. Die Ampel und damit auch SPD und Grüne haben das mit Scholz' Zeitenwende schon angefangen. Doch es wird mehr brauchen, einen mentalen Wandel in dieser Frage. Und Trump wird an dieser Stelle kaum lockerlassen. Seine Fünf-Prozent-Forderung für mehr Verteidigungsausgaben der NATO dürfte da nur ein Vorgeschmack sein.

Die Grünen haben es immerhin im Zuge des Ukraine-Krieges geschafft, Teile ihrer Partei, auch die, die militärische Unterstützung ablehnen, auf einen Nenner zu bringen. Das war bei der SPD schwieriger und dürfte es auch bleiben. Teile der SPD haben da nach wie vor ein ungeklärtes Verhältnis zu Russland, zur russischen Macht. Das könnte für die Union einfacher sein. Auch der Umgang mit Trump dürfte für Merz einfacher sein als für Olaf Scholz. Merz könnte hier von seinen transatlantischen Erfahrungen und Kontakten profitieren.

Krieg und Frieden wahlentscheidend?

Bei der Frage Militärausgaben und Engagement im Ukraine-Krieg würde Schwarz-Grün besser funktionieren als Schwarz-Rot. Wie stehst Du zum Krieg in der Ukraine? Und wie stark soll die Unterstützung sein? Das bewegt vor allem viele Ostdeutsche. Der Krieg in der Ukraine spaltet. Und das werden die Wahlkämpfer auch in Mitteldeutschland zu spüren bekommen, über alle Parteigrenzen hinweg.

AfD und BSW könnte die Ankündigung des künftigen US-Präsidenten, schnell einen Friedensprozess mit Putin einzuleiten, im Wahlkampf ins Kontor schlagen. Für das Bündnis Sahra Wagenknecht ist die Ablehnung des Ukraine-Krieges elementar. Fällt das Thema weg, fehlt eine Stückchen Zucker für die Wähler. Auch die AfD hätte dann ein Thema weniger, mit dem sie vor allem im Osten punkten kann.

Alice Weidel, AfD-Bundesvorsitzende, nimmt am Bundesparteitag ihrer Partei teil. 1 min
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Proteste beim Parteitag in Riesa

MDR AKTUELL Sa 11.01.2025 19:08Uhr 01:00 min

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Und die FDP? Da würde inhaltlich vieles zur Union passen. Wirtschaft, Steuern, Ukraine-Krieg, alles kein Problem. Auch außenpolitisch gäbe es jede Menge Schnittmengen mit der Union. Nur, die Ampel ist den Liberalen nicht gut bekommen. Die Art des Ausstiegs war mehr als unglücklich. Schwarz-Gelb ist deshalb sehr unwahrscheinlich. Manchem FDP-Mitglied gefällt der derzeitige Kuschelwahlkampf mit der Union auch nicht. Das habe in der Vergangenheit selten geholfen. Wer auch immer die Wahl gewinnt, er wird sich mit dem Reformstau in Deutschland und mit den Trumps und Putins dieser Welt auseinandersetzen müssen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 11. Januar 2025 | 19:30 Uhr

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