Interview Migrationsforscher: Abweisungen an Grenze rechtlich und praktisch nicht umsetzbar
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04. September 2024, 10:20 Uhr
Am Dienstag lädt die Ampel-Regierung zum Migrationsgipfel ins Bundesinnenministerium. Schon im Vorfeld fordert die CDU, Migranten direkt an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Migrationsforscher Gerald Knaus nennt das im Interview mit MDR AKTUELL einen "ganz schlechten Vorschlag", der weder rechtlich noch praktisch umsetzbar sei. Was er stattdessen rät.
MDR AKTUELL: Herr Knaus, vor dem Migrationsgipfel am Dienstag in Berlin fordert die CDU unter anderem, Migranten an den deutschen Grenzen zurückzuweisen, damit die Zuwanderung reduziert wird. Wäre das überhaupt möglich?
Gerald Knaus: Also zunächst glaube ich, dass die CDU Recht damit hat, zu fordern, dass mehr passieren muss, als in den letzten acht Jahren passiert ist. Und sie hat einige Vorschläge, über die man ernsthaft reden kann. Dieser Vorschlag der Zurückweisung ist allerdings ein alter. Der wurde schon 2016 und 2018 diskutiert. Und jedes Mal, wenn man sich genauer angesehen hat, was dafür nötig ist, hat man festgestellt: Der ist nicht umsetzbar. Weder rechtlich noch praktisch.
Vor allem, da man bei dieser Art der Politik immer die Kooperation der Nachbarn braucht. Das ist ja eine direkt gegen Tschechien, die Schweiz, Österreich und Polen gerichtete Politik. Denn dorthin werden die Leute ja geschoben. Und das sind alles Länder, wenn sie die ukrainischen Flüchtlinge dazuzählen, die mehr Flüchtlinge aufgenommen haben als Deutschland. Also politisch, rechtlich und praktisch ist das ein ganz schlechter Vorschlag.
Das heißt, wir müssen die irreguläre Migration weiterhin einfach hinnehmen?
Genau da hat die CDU ja Recht. Sie erinnert die Ampel an ihren eigenen Koalitionsvertrag, der 2021 gesagt hat: "Wir wollen die irreguläre Migration reduzieren." Das ist gescheitert. Sie ist gestiegen in den Jahren. Nicht nur die irreguläre Migration, auch die Zahl der Asylanträge in Deutschland ist gestiegen im Vergleich zu 2021. Die Zahl der Abschiebungen ist gefallen, die Zahl der Dublin-Überstellungen ist gefallen, wobei all das keine Lösung bietet.
Was wir brauchen, ist eine dauerhafte, nachhaltige Reduzierung durch eine Politik und Strategie, wie sie die CDU in ihrem Wahlkampf auch vorgeschlagen hat: mit sicheren Drittstaaten. Dass man nicht versucht, die, die schon in der EU sind, zwischen EU-Ländern hin- und herzuschieben. Also nicht, dass die Deutschen versuchen, dass mehr in Österreich bleiben oder die Tschechen versuchen, dass mehr nach Deutschland oder Österreich gehen. Sondern, dass man die Zahl schon an den EU-Außengrenzen reduziert. Mit Stichtagen, durch Einigungen mit Drittstaaten, wo danach Verfahren stattfinden und irreguläre Migration durch reguläre Aufnahme mit Kontingenten ersetzt wird.
Und wo sollten dann die Asylzentren an den Außengrenzen sein?
Über die brauchen wir nicht nachdenken, solange es rechtlich gar nicht möglich ist. Unser Problem derzeit ist, dass das EU-Recht noch nicht erlaubt, über sichere Drittstaaten nachzudenken. Das müsste man ändern. Darauf könnten sich die Ampel und die Union einigen. Und dann beginnt das Suchen nach Partnern und Angeboten. Denn ohne sichere Drittstaaten braucht man auch darüber nicht konkret nachdenken. Und als Letztes kommt es dann zu der Frage: Wie schaffen wir es, dass Asylanträge an den Außengrenzen schnell bearbeitet werden?
Was erwarten Sie vom Migrationsgipfel im Bundesinnenministerium?
Realistisch muss man hoffen, dass das der Beginn von strukturierten Gesprächen ist. Dennoch sind wir im Wahlkampf. Es wird in Brandenburg noch gewählt. Aber es ist sehr wichtig, dass die Regierung und die Opposition es ernst meinen mit der Idee, gemeinsam Lösungen zu finden. Und dass sie nach der Brandenburg-Wahl dann strukturiert und gemeinsam einen Plan entwickeln, der umsetzbar ist.
Sie müssen entscheiden, was man in der EU braucht, um die irreguläre Migration bis zur nächsten Bundestagswahl zu reduzieren und das Thema weniger prominent zu machen. Das ist im Interesse aller Parteien.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 03. September 2024 | 17:15 Uhr