Bosnien-Herzegowina Weihnachtsfrieden der Politik zum Trotz
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25. Dezember 2024, 05:00 Uhr
In Bosnien-Herzegowina leben Katholiken, serbisch-orthodoxe Christen und Muslime seit Jahrhunderten Tür an Tür. Dass Menschen verschiedener Glaubensrichtungen friedlich und respektvoll miteinander feiern, hat hier eine lange Tradition. Das zeigt sich gerade an Hochfesten wie Weihnachten, selbst wenn im Alltag religiöse Unterschiede politisch instrumentalisiert werden, um Konfliktlinien zwischen nationalen und konfessionellen Gruppen aufzureißen. Doch darauf haben viele Menschen keine Lust mehr.
Pater Bono Tomić vom Franziskanerorden führt mich durch das Kloster im Städtchen Kraljeva Sutjeska, rund 60 Kilometer von Sarajevo entfernt. 1291 ließ sich der Orden hier nieder, seit Mitte des 14. Jahrhunderts residiert er hier, unweit der mittelalterlichen Königsburg Bobovac. Auf dem Tisch im Aufenthaltsraum steht ein kleiner Adventskranz, in der Ecke ein Weihnachtsbaum, unter dem das Christkind liegt. "Im Moment ist es hier sehr ruhig, aber zu Weihnachten wird es hier sehr voll. Dann kommt auch unsere Diaspora, die vor allem in Westeuropa lebt", freut sich Pater Bono. Vor dem Balkankrieg lebten hier rund 12.700 Katholiken. Heute sind es noch etwa 700, die meisten sind ausgewandert.
Auch der Altar und die Christbäume in der Johannes-der-Täufer-Kirche sind bescheiden geschmückt. Nur die große Krippe fällt auf. Prächtig steht sie zu Füßen der Statue der vorletzten bosnischen Königin Katharina, die im 15. Jahrhundert hier lebte und die Franziskaner unterstützte. Frisches Moos und Heu schmücken sie. "Franz von Assisi war der erste Umweltschützer. Und wussten Sie, dass er der Erfinder des Krippenspiels ist? Er war der erste, der die Geburt Christi mit echten Menschen und Tieren darstellen ließ, um diese biblische Geschichte den Menschen näher zu bringen."
Ein sauberes Haus und ein bescheidenes Mahl
Der Unterschied zum Advent in Sarajevo ist deutlich zu spüren: Während in der Hauptstadt Weihnachtsmärkte mit Riesenrad und Schlittschuhbahnen inklusive Essensständen aufgebaut werden und der Fokus immer mehr auf Shopping und vielen Events liegt, besinnt man sich in Kraljeva Sutjeska auf die spirituelle Dimension von Weihnachten. "Weihnachten soll uns verändern und nicht wir Weihnachten", erklärt Pater Bono.
Traditionell wird in der Region einige Tage vor Heiligabend das Haus geputzt und das Weihnachtsessen vorbereitet. Am Heiligen Abend wird üblicherweise nicht gekocht, sondern nur eine leichte Mahlzeit eingenommen. Früher wurde sogar bis zur Vesper gefastet. "Die Weihnachtsbräuche in der Region Sutjeska sind sehr einfach und lassen die Bescheidenheit von Bethlehem erahnen. Die Menschen hier haben nicht vergessen, dass Jesus Christus der Erlöser der Welt ist", erzählt Pater Bono, der aus einem Nachbardorf stammt.
Auch Zlatan Medarić, der eine Anwaltskanzlei in den Niederlanden betreibt, erinnert sich gerne an die Weihnachtstage seiner Kindheit in Sarajevo. Bei seiner Großmutter wurde vor Heiligabend kräftig geputzt, obwohl sie Muslimin war. Sie tat das aus Respekt vor den katholischen Nachbarn. "Als Kind musste ich bei meiner Oma mitten im Winter vor Weihnachten immer die Fenster putzen. Dabei sind mir die Finger abgefroren", lacht Zlatan.
Zwar war seine Mutter als Kroatin eigentlich christlich geprägt, dennoch feierten sie selbst kein Weihnachten: "Aber wir waren regelmäßig bei unserem Nachbarn aus der Herzegowina zu Gast." Er vermisst Weihnachten in seiner Heimat. "Hier im Westen warten alle auf Weihnachten, um endlich als Familie zusammenzukommen. Dann wird zusammen gegessen und das war’s. Bei uns ist das anders. Ob katholisches oder orthodoxes Weihnachten oder Bayram (gemeint sind die muslimischen Feiertage – d. Red.) – wir besuchen uns alle aus Respekt und Liebe und feiern zusammen. Vor allem die Mitternachtsmesse ist in Sarajevo etwas ganz Besonderes! Da versammeln sich alle vor den Kirchen. Das gibt es sonst nirgendwo auf der Welt", sagt Zlatan.
Gemeinsame Traditionen
In Bosnien und Herzegowina dauert die Weihnachtszeit länger. Während die Katholiken vom 24. bis 26. Dezember feiern, begehen die Orthodoxen ihr Weihnachtsfest vom 6. bis 8. Januar. Die gelernte Innenarchitektin Rada Šarić aus Banja Luka liebt die Feiertage: "Für mich ist es die wärmste Zeit des Jahres. Ich bin dankbar, in einem Land zu leben, in dem alle Traditionen respektiert werden. Es ist wichtig, dass wir uns gegenseitig wertschätzen. Weihnachten verkörpert für mich genau diese Liebe, den Frieden und das Zusammengehörigkeitsgefühl", erzählt die Mutter eines Sohnes.
Sie erklärt, wie ein Eichenzweig im Wald gepflückt oder auf dem Markt gekauft wird. Die Zweige stehen für Langlebigkeit, Kraft und Erneuerung. Heiligabend gibt es bei ihrer Familie dann traditionell Fisch mit Kartoffeln und Sauerkraut und danach Kuchen. Und selbstverständlich darf auch das Brot nicht fehlen, das nach orthodoxer Tradition an Weihnachten ein kleines Extra hat: "Wir legen immer eine Münze ins Brot. Es ist immer spannend zu sehen, wer sie findet, denn der Glückliche hat dann das ganze nächste Jahr Glück", erzählt Rada.
Am Abend bringen die Gläubigen ihre Eichenzweige mit. Sie werden vor der Kirche angezündet, wo alle mitfeiern und sich beglückwünschen. Das Feuer symbolisiert die Erneuerung des Glaubens und die Einheit der Familie. "Die Liturgie der orthodoxen Kirche betont die Bedeutung von Frieden und Ruhe in der Welt. Dieser multikulturelle bosnisch-herzegowinische Geist ist voller Wärme, Freundlichkeit und Liebe. So etwas habe ich nirgendwo sonst gespürt", sagt Rada.
Mujo Zilić aus Sarajevo erinnert sich an die Erzählungen seiner Mutter. Er selbst wurde in einem Dorf am Fuße des Berges Visočica geboren. Die meisten Dörfer in dieser Region waren ausschließlich von Muslimen bewohnt. "Aber ein Dorf war rein orthodox", sagt Mujo. Seine Mutter erzählte, wie sie als Kinder am siebten Januar in dieses orthodoxe Nachbardorf pilgerten und an die Türen klopften. Die Bewohner schenkten ihnen Süßigkeiten und Kuchen. "Interessant ist auch, dass sich Menschen, die nur ein paar Jahre älter sind als ich, an diese Tradition erinnern." Der Brauch wurde bis Anfang der 1990er Jahre gepflegt, bevor der Bosnien-Krieg ausbrach. Heute ist das Dorf nahezu ausgestorben. Die meisten Bewohner sind weggezogen und haben sich dort Sommerhäuser gebaut.
Dürfen Muslime den Weihnachtsmann spielen?
Wie Weihnachten nach dem Krieg war, erzählt derzeit eine schwarze Filmkomödie mit dem Titel "Djeda Mraz u Bosni" (Der Weihnachtsmann in Bosnien). Das Drehbuch stammt von dem Soziologieprofessor Vahid Duraković. Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit, die sich 2003 in seiner Heimatstadt Bugojno, etwa 120 Kilometer von Sarajevo entfernt, zugetragen hat. "Wir hatten eine Weihnachtsmannvorstellung, für die Schulen in der Umgebung organisiert."
Dabei traten Amateur-Schauspieler auf, die als Weihnachtsmänner verkleidet waren. Das Problem: Die Schauspieler waren hauptsächlich Muslime. Kurz nach dem Bosnien-Krieg, in dem sich nationale Armeen mit unterschiedlicher religiöser Prägung gegenüberstanden, entbrannte prompt eine Debatte darüber, was der Weihnachtsmann mit den Bräuchen des Landes zu tun hat, und wem er "gehört". Einige Katholiken beanspruchten ihn ausschließlich für sich – und lehnten es ab, ihn von Muslimen darstellen zu lassen, erzählt Vahid: "Als wir ein Dorf besuchten, machten uns einige Bewohner Probleme. Ihr Vorwurf: Woher nehmen Muslime das Recht, den Weihnachtsmann zu spielen?"
Vahid, der aus einer muslimischen Familie stammt, hält das für ein konstruiertes Problem. Immer wieder würden einige Menschen versuchen, künstlich Unterschiede zu schaffen, wo keine seien. Seiner Ansicht nach könnte selbst ein tiefgläubiger Moslem den Weihnachtsmann spielen, da dessen historisches Vorbild älter ist als der Koran selbst: "Der Weihnachtsmann ist eigentlich der heilige Nikolaus von Myra, der um 270 nach Christus in der Türkei geboren wurde und als Bischof viele Wunder vollbracht hat. Aus islamischer Sicht war der Koran zu dieser Zeit noch nicht offenbart. Wir können den heiligen Nikolaus also als Anhänger der heiligen Bücher sehen. Im Koran steht, dass diese Menschen aufrichtige und wahre Gläubige sind, also gibt es meiner Meinung nach im religiösen Sinne kein Problem", schmunzelt Vahid.
Das Drehbuch hatte er schon vor 15 Jahren geschrieben: "Da unser Land aber eine sehr schwache Filmproduktion hat, musste ich warten. Mit der Unterstützung des Serbischen Filmzentrums als Co-Produzent und des Kroatischen Audiovisuellen Zentrums konnten wir den Film endlich drehen". Der Film kommt auf dem Westbalkan sehr gut an. "Das habe ich nicht erwartet", freut sich Vahid.
Trotz aller politischer Konflikte zwischen den verschiedenen Volksgruppen, der Wunden des Krieges und des komplizierten Staatsaufbaus: Ein interreligiöses Weihnachtsfest hat in Bosnien-Herzegowina Tradition. Auch der Moslem Vahid ging als Schüler immer mit zur Mitternachtsmesse: "Das war ein Brauch. Und daran hat sich bis heute nichts geändert! Was sich vielleicht geändert hat im Vergleich zu damals – dieser Respekt, der heute betont wird, was eigentlich gar nicht nötig ist."
Franziskanerpater Bono sieht das genauso: "Hier in Bosnien hat jeder das Recht, der Religion anzugehören, der er angehören möchte. Wir freuen uns hier über die Vielfalt der Menschen. Deshalb können wir sicher ein Vorbild für viele in Europa und sogar in der Welt sein." Wenn bloß die Politik nicht wäre.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 28. Dezember 2024 | 07:18 Uhr