Ein tropfender Wasserhahn
In Bulgariens Dörfern ist Trinkwasser ein knappes Gut. Dürre, Korruption und marode Leitungen sorgen regelmäßig für Wasserausfälle. Bildrechte: imago/photothek

Bulgarien Klimawandel und Korruption machen Trinkwasser zum Luxus

11. Dezember 2024, 18:33 Uhr

Niemand hat sich über den ersten Schnee in Bulgarien mehr gefreut, als die Regionen ohne Trinkwasser – also halb Bulgarien. Der rekordverdächtig heiße Sommer und die monatelang anhaltende Dürre, aber auch das marode Trinkwassernetz, die Verschwendung und vermutlich Korruption sind Ursachen für die alarmierende Situation in vielen Teilen Bulgariens. Eine Lösung ist nicht in Sicht – wegen der politischen Dauerkrise im Land hat keine Regierung Zeit für solche "Lappalien".

Vessela Vladkova
Bildrechte: Vessela Vladkova

"In den letzten 4-5 Jahren habe ich nur einmal in der Woche Wasser. Dann werden die Kanister gefüllt. Im Winter, wenn die Temperaturen unter null sinken, wie jetzt, kommen die Wassertanks aus der Stadt nicht mehr, weil das Wasser darin einfriert", erzählt Swetlana Nikolowa. Vor 20 Jahren zog sie sich in das kleine Dorf Martschino im Nordosten Bulgariens zurück. Sie hatte Krebs. Das Leben auf dem Land – ohne Stress, in der frischen Luft und mit gutem Essen – hat sie wieder gesundgemacht, ist die 66-Jährige überzeugt. Jetzt bereiten ihr ihre Tiere Sorgen: "Ich selbst kann mit der Wäsche und sogar mit dem Duschen fünf Tage warten, bis Wasser wieder da ist. Aber wie soll ich meinen Ziegen, Hühnern und Hunden sagen, ihr bekommt nur einmal in der Woche Wasser zu trinken?"

Veraltete Infrastruktur und Korruptionsverdacht

Laut einer Studie der Weltbank aus dem Jahr 2020 leben etwa 1,5 Millionen Menschen in ländlichen Gebieten Bulgariens ohne konstanten Zugang zu sauberem Trinkwasser. In vielen Städten und Dörfern ist die Infrastruktur veraltet und muss dringend modernisiert werden. Rohre und Leitungen sind häufig korrodiert, was zu Lecks und hohen Wasserverlusten führt.

Angaben des Nationalen Statistikamtes in Sofia zufolge kommt von jedem Liter Trinkwasser, der ins öffentliche Netz gepumpt wird, weniger als die Hälfte bei den Verbrauchern an – ein erschreckend hoher Wert im europäischen Vergleich. In der Stadt Schumen im Nordosten Bulgariens mit über 70.000 Einwohnern sind es sogar über 80 Prozent, wie die Investigativjournalistin Diana Scheljazkowa herausgefunden hat.

Stadtansicht  von Schumen in Bulgarien aus der Vogelperspektive
In der ostbulgarischen Stadt Schumen wurde das marode Wassernetz aus den Siebzigern vor kurzem saniert – allerdings so stümperhaft, dass ständig die Rohre brechen. Bildrechte: IMAGO/imagebroker

Sie freute sich riesig über die neue Trinkwasserleitung der Stadt, die die alte aus den 1970er-Jahren endlich ersetzt hat. Doch die Freude dauerte nicht lang: "Die Rohre brechen eins nach dem anderen. Der Schlamm hat sogar die neue Pumpstation verstopft", klagt die Journalistin. Und sie glaubt, den Grund dafür zu kennen: "Entweder wird schlampig gebaut oder es wird rücksichtslos geschmiert – oder beides."

Umgerechnet 110 Millionen Euro hat die Modernisierung des 26 Kilometer langen Rohrnetzes gekostet. Die neuen Gusseisenrohre seien einfach in die Erde eingebuddelt worden, ohne abgedichtet zu werden. "Da ist es klar, dass sie über kurz oder lang brechen", sagt Scheljazkowa. Sie verweist aber auch auf ein anderes Problem: An vielen Stauseen in Bulgarien wurden Wasserkraftwerke zur Stromherstellung gebaut. "Sie pumpen das Wasser aus den Stauseen, die ohnehin wegen der Dürre fast am austrocknen sind", erklärt die Journalistin aus Schumen.

Wasserknappheit und Klimawandel

Zusätzlich zu der maroden Infrastruktur und der mutmaßlichen Korruption beim Bau gibt es auch klimatische Faktoren, die die Wasserversorgung in Bulgarien beeinträchtigen. Der Klimawandel hat in den letzten Jahren zu längeren Trockenperioden geführt, wodurch die Wasserreserven in vielen Gebieten des Landes schrumpfen. In den besonders betroffenen Regionen sind die Niederschläge in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen.

Eleshnitsa-See mit wenig Wasser in Bulgarien.
Ausgetrockneter See in Bulgarien – ein Anblick, der in Zeiten des Klimawandels immer häufiger ist. Bildrechte: IMAGO / Depositphotos

Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wasserversorgung sind auch in der Landwirtschaft spürbar, denn der Wassermangel beeinträchtigt die Ernteerträge, warnt Klimaforscher Simeon Matew: "Die jährliche Durchschnittstemperatur hat sich in den letzten 30 Jahren in Bulgarien um ein bis anderthalb Grad Celsius erhöht. Das hört sich nach nicht viel an, aber für die Natur ist das extrem viel", sagt der Wissenschaftler.

Wie in vielen anderen Ländern, so erlebe man auch in Bulgarien immer öfter lange Dürrezeiten, wie im vergangenen Sommer, auf die tagelange ergiebige Niederschläge folgen, die zu Überflutungen führen. Die Ursachen für die Überflutungen gehen laut Matew zum Teil auf uns Menschen zurück: "Zum einen ist da die Rodung der Wälder, zum anderen der massive Eingriff in den Lauf von Bächen und Flüssen."

Geldmangel und Missmanagement

Zahlreiche Analysen und Strategiepapiere zur nachhaltigen Wasserversorgung beziffern die notwendigen Investitionen in das marode Wasserleitungsnetz Bulgariens auf bis zu 22 Milliarden Euro. Damit wäre ein durchschnittliches EU-Niveau der Trinkwasserversorgung zu erreichen. Viele Kommunen sind aufgrund knapper Haushaltsmittel nicht in der Lage, die notwendigen Investitionen zu tätigen.

Zugefrorener See bei Schumen in Bulgarien
Zugefrorener See bei Schumen – die Bewohner der vom Trinkwassermangel betroffenen Gebiete hoffen auf einen schneereichen Winter, denn dann können sie wenigstens den Schnee schmelzen lassen. Bildrechte: IMAGO/Dreamstime

Und so freut man sich über jeden Euro, der aus den EU-Töpfen fließt. Die Europäische Union hat Bulgarien durch verschiedene Finanzierungsprogramme unterstützt, um die Trinkwasserversorgung zu verbessern. Doch das meiste EU-Geld für die Wasserwirtschaft floss in den Bau von Kläranlagen und in den Anschluss neuer Siedlungsgebiete, denn in Brüssel geht man davon aus, dass alle Mitgliedsländer die Leitungslecks längst zugestopft haben.

Politisches Chaos in Bulgarien

Außerdem hat Bulgarien wegen der politischen Dauerkrise seit über drei Jahren die Möglichkeit verpasst, die Finanzierung eines umfangreichen integrierten Wasserwirtschaftssystems durch den EU-Wiederaufbaufonds NextGenerationEU zu gewährleisten. 75 Millionen Euro waren eingeplant, doch die Frist für die Projeteinreichung in Brüssel ist verstrichen, weil man sich in Sofia wieder einmal auf eine Neuwahl vorbereitet hatte. So bleibt Bulgarien auf seinem maroden Wasserleitungsnetz sitzen, während man in mehr als 350 Ortschaften hoffnungsvoll gen Himmel schaut und sich wünscht: Möge der Winter viel Schnee bringen.

MDR (baz)

Litfaßsäule mit Wahlplakaten 3 min
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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 14. Dezember 2024 | 07:17 Uhr

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