Vergangenheitsbewältigung in Bosnien-Herzegovina Srebrenica: Filme für eine bessere Zukunft
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06. September 2024, 09:59 Uhr
Der Name Srebrenica ist seit 1995 untrennbar mit dem Massaker an 8.000 Muslimen verbunden. Das lässt leicht vergessen, dass im Schatten der schrecklichen Vergangenheit immer noch Menschen leben. Aktivisten versuchen nun, mit Hilfe von Filmen und viel harter Arbeit einen Weg in die Zukunft zu finden, ohne die Geschichte zu vergessen.
Wer heute als Besucher nach Srebrenica fährt, wird höchstwahrscheinlich das Memorial Center und den Friedhof im nahegelegen Dorf Potoćari besuchen. Hier wird der Opfer des Massakers gedacht, das serbische Milizen 1995 unter den Augen der niederländischen UN-Friedenstruppen begingen: Rund 8.000 bosnische Muslime, darunter auch Minderjährige, wurden ermordet und in Massengräbern verscharrt. Bis heute suchen Überlebende nach ihren sterblichen Überresten. Jedes Jahr am 11. Juli werden die, die gefunden wurden, in Potoćari beigesetzt.
Das Massaker und das lange Ringen um Gerechtigkeit für die Opfer haben die Region und die Menschen hier geprägt. Etwa die Mütter von Srebrenica, eine Gruppe von Hinterbliebenen, die seit Jahrzehnten darum kämpft, dass die Opfer gefunden werden und die Täter sich verantworten müssen. Denn immer noch leugnen Menschen das, was hier passiert ist.
Nur einen Kilometer vom Memorial Center entfernt schaut man lieber in die Zukunft. "Ja, es stimmt, es gibt immer noch viele Menschen, die den Völkermord leugnen", sagt Ado Hasanovic, der ebenfalls aus der Gegend stammt. "Aber das darf kein Grund sein, nur über die Vergangenheit zu sprechen. Es ist sehr wichtig, mit neuen Projekten eine Zukunft aufzubauen."
Mit Filmen Brücken bauen
Eines dieser Projekte hat der Filmregisseur, der inzwischen in Rom lebt, selbst mit auf den Weg gebracht: Das internationale Silver Frame Filmfestival, das in diesem Sommer zum ersten Mal stattfand. Hier wurden zum Teil preisgekrönte Filme gezeigt. Das Thema? Alles außer Krieg. Denn: "Wir wollen hier mit Filmen Brücken bauen, die uns verbinden sollen", sagte Ado dem MDR.
Das Filmfestival findet gemeinsam mit einem Sommercamp der EMMAUS-Organisation statt. Die hat sich der Bekämpfung der Armut gewidmet, und organisiert bereits seit knapp 20 Jahren ein Sommercamp in Srebrenica. Dabei finden sich junge Menschen aus verschiedenen Ländern zusammen, um der Region wieder auf die Beine zu helfen. Auch in diesem Jahr nehmen rund 70 Freiwillige aus fünf verschiedenen Ländern, darunter auch Serbien, teil. Sie bauen das Camp weiter aus, reparieren Straßen, Zäune und Gebäude, gehen den Einheimischen zur Hand und bringen den Alten Lebensmittel oder leisten ihnen einfach nur Gesellschaft.
Das eigene Engagement dokumentieren
Im Jahr 2019 war auch Ado Hasanović erstmals unter diesen Freiwilligen – und ist zutiefst beeindruckt von dem Projekt: "Im ersten Moment war es für mich unfassbar zu sehen, wie junge Menschen aus aller Herren Länder die Infrastruktur in der Region wieder aufbauen. Wenn man sieht, was sie in den letzten 19 Jahren geleistet haben, ist das sehr beeindruckend."
Und so hat er 2019 gemeinsam mit EMMAUS und der Organisation Admon Film, einem in Sarajevo ansässigen Kulturverein zur Vermittlung und Förderung von Filmkultur, einen Filmworkshop ins Leben gerufen. Dieser erfreut sich bei den Freiwilligen seit Jahren großer Beliebtheit. Tagsüber lernen sie, ihre Aktivitäten zu filmen. Am Abend wird das Material zu einem Kurzfilm zusammengeschnitten und beim abendlichen Get Together vorgeführt.
Auch für Ado waren der Krieg und das Massaker prägend. Er war sechs, als die Kampfhandlungen begannen. Sein Großvater wurde getötet, dessen sterbliche Überreste sind bis heute nicht gefunden worden. Sein Vater war Amateurfilmer und Kameramann in der Sicherheitszone von Srebrenica und dokumentierte die damaligen Ereignisse. "Die Liebe zum Film habe ich von ihm. Durch das Filmen heile ich mich von all den Traumata, die ich im Krieg erlebt habe. Es ist eine gute Möglichkeit, mich von den schrecklichen Ereignissen zu distanzieren und gleichzeitig darüber zu sprechen."
In die Zukunft blicken
Mit dem Filmcamp will der 38-Jährige aber vor allem die Themen von heute ansprechen: "Natürlich ist es wichtig, die Vergangenheit nicht zu vergessen, um die Erinnerung wach zu halten. Aber Srebrenica hat andere Probleme, wie Umweltverschmutzung und Abwanderung." sagt Ado.
Jetzt wird tagsüber gearbeitet, an Workshops mit Mentoren teilgenommen und abends werden Filme geschaut. Die Jury für den Award besteht aus Teilnehmern des Camps und Jugendlichen aus der Region. Mit gezeigt werden auch Filme, die auf den internationalen Filmfestivals Cannes und Sundance, und dem wichtigsten Festival der Region, dem Sarajevo Film Festival liefen und prämiert wurden. Das Silver Frame Festival in Srebrenica soll auch talentierte junge Menschen aus der Region fördern: "Wir wollen zeigen, dass auch hier Talente auf europäischem und internationalem Niveau schlummern", sagt Ado.
Anna Rammskogler-Witt, Mitbegründerin der Dokumentale in Berlin, hat hier auf dem Festival in Srebrenica einen deutschen Dokumentarfilm präsentiert: "Ich war begeistert von der Idee, ein Filmfestival in Srebrenica ins Leben zu rufen, das nichts mit dem Genozid zu tun hat. Ich kannte auch das Konzept dieses Workcamps. Ado setzt im Prinzip dasselbe um, nur in einem filmischen und künstlerischen Kontext."
Filme zu Umwelt und Klima
Auch der 27-jährige Regisseur Dino Gluhović aus Mostar war sofort begeistert von der Idee des Camps und meldete sich als Mentor, als er davon erfuhr: "Hier tun die jungen Teilnehmer etwas Nützliches und erzählen eine andere Geschichte von hier." Das sei wichtig, da sehr viele junge Menschen Srebrenica verlassen: "Das liegt daran, dass diese Region nur mit dem Genozid in Verbindung gebracht wird. Sie sind in dieser Geschichte gefangen und können sich kaum davon befreien."
Für ein Filmprojekt sprach er mit einigen Müttern von Srebrenica, die in einem neuen Seniorenheim direkt neben dem Camp leben – allerdings nicht über den Krieg, sondern über die Natur und den Klimawandel. Die Bewohnerinnen sollten von ihrer Kindheit erzählen und wie sich das Klima hier über die Jahre verändert hat: "Der Moment, in dem das Kind in ihnen wieder erwacht, ist der Moment, in dem man weiß, dass man gewonnen hat. Als ich das Lächeln auf ihren Lippen sah, war mein Herz erfüllt", sagt Gluhovic.
Der serbische Regisseur Stevan Filipovic freut sich, mit seiner Teilnahme das Crossover-Projekt unterstützen zu können. Es sei das gemeinsame Interesse am Film und Umweltschutz, das die Jugendlichen aus ganz Europa und aus der Region verbinde: "Die Mikro-Teilung des Landes Jugoslawien hat uns an den gleichen Punkt gebracht. Wenn es in Serbien zu einer Umweltkatastrophe kommt, wirkt sich das auch auf die Nachbarländer aus." Er erzählt, dass die Teilnehmer des Camps sich bewusst sind, dass alle gemeinsam in eine Richtung gehen müssen, um etwas zu bewegen: "Ich hoffe sehr, dass die Jugend Verantwortung übernimmt und klüger ist als unsere Generation", sagt er nachdenklich.
Ado Hasanović sitzt an einem lauen Sommerabend zusammen mit anderen Mentoren des Filmfestivals am Lagerfeuer des Camps, hört den Klängen einer Gitarre zu und begründet, warum er es für so wichtig hält, nach vorne zu schauen: "Für mich ist Srebrenica kein Grab, sondern eine Stadt, die trotz der vergangenen schrecklichen Ereignisse wieder ins Leben zurückkehren will."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 05. Oktober 2024 | 07:22 Uhr