Mit Bargeld gefüllte Kasse.
Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft (DSTG) geht davon aus, dass dem Staat durch Steuerhinterziehung jährlich 100 Milliarden Euro verloren gehen. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance / Caro | Conradi

Betrug Gewerkschaft: Mit vereinfachtem Steuerrecht gegen Steuerhinterziehung vorgehen

03. Februar 2025, 16:20 Uhr

Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft (DSTG) geht davon aus, dass dem Staat durch Steuerhinterziehung jährlich 100 Milliarden Euro verloren gehen. Der Gewerkschaftsvorsitzende Florian Köbler schlägt im Interview mit MDR AKTUELL vor, das Steuersystem zu vereinfachen, um mehr Personal gegen den Betrug zu haben. Zudem sollte Deutschland massiv in Technik und Digitalisierung investieren.

MDR AKTUELL: Herr Köbler, wie kommen Sie auf die Summe von 100 Milliarden Euro, die dem Staat jährlich durch Steuerhinterziehung verloren gehen?

Florian Köbler: Diese 100 Milliarden setzen sich im Prinzip aus zwei größeren Komponenten zusammen. Zum einen erleben wir den alltäglichen Betrug, beispielsweise in der bargeldintensiven Branche. Wir sehen hier ungefähr 15 Milliarden jedes Jahr – etwa beim Restaurant oder beim Fingernagel-Studio.

Auf der anderen Seite gibt es die professionelle Finanzkriminalität. Die Phänomene dort sind Cum-Cum, Cum-Ex, aber vor allen Dingen das sogenannte Umsatzsteuerkarussell. Dieses Phänomen gibt es seit über 30 Jahren und wir haben es immer noch nicht in den Griff bekommen. Das kostet allein in Deutschland jedes Jahr mindestens 20 Milliarden Euro. Die Tendenz ist steigend, weil die anderen Länder hier viel, viel besser agieren und schon gegensteuern. Und das Verbrechen geht immer dorthin, wo man es ihm möglichst leicht macht.

Das Verbrechen geht immer dorthin, wo man es ihm möglichst leicht macht.

Florian Köbler Vorsitzender Deutsche Steuer-Gewerkschaft

Den meisten Steuerpflichtigen dürfte der Begriff "Umsatzsteuer-Karussell" nichts sagen. Was ist das Prinzip dahinter? Wie funktioniert das?

Im Grunde genommen relativ leicht. Es sind grenzüberschreitende Lieferungen, die im Sekunden- oder Minutentakt agieren. Das System ist so: Wenn man eine Rechnung gestellt bekommt, kann man als Unternehmer die Vorsteuer abziehen. Das machen die auch. Aber das Problem ist, dass zum Teil eben diese in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht abgeführt wird.

Wie könnte man das Ganze vermeiden? Indem man einfach in Technik und Digitalisierung investiert. Ich denke an Italien, Portugal oder Frankreich, die alle schon Meldesysteme eingeführt haben. In Deutschland gibt es die Verpflichtung, elektronische Rechnungen auszustellen, seit dem 1. Januar. Aber ein Meldesystem lässt im Moment leider noch auf sich warten.

Was sind die Ursachen dafür, dass es in diesem Punkt schleppend vorangeht?

Es fehlt wahrscheinlich auch ein bisschen am Willen und zum Teil aber auch am Können. Ich glaube, die wirklich mit Abstand große Mehrheit der Bevölkerung ist steuerehrlich. Und es kann nicht sein, dass uns ein kleiner Kreis auf der Nase herumtanzt. Von daher müssen wir als Gesellschaft aufstehen und sagen: So nicht! Und dann wird die Politik dieses Thema auch in den Fokus rücken.

Sprechen wir über die Politik und ihre Rolle. Wenn man zehn Jahre zurückdenkt, da war das Thema Steuerhinterziehung politisch brisant. Das hatte mit Einzelpersonen wie Uli Hoeneß zu tun. Aber es gab auch Ankäufe von Steuer-CDs aus der Schweiz, Finanzminister wie Wolfgang Schäuble oder Norbert Walter-Borjans in Nordrhein-Westfalen, die das Thema öffentlichkeitswirksam vorangetrieben haben. Irgendwie ist das heute nicht mehr so. Wie nehmen Sie das wahr?

Ich glaube, dass das Empfinden in der Bevölkerung, dass hier was falsch läuft, durchaus vorhanden ist. Da gilt es jetzt dranzubleiben. Wir erleben das leider immer wieder, ich denke jetzt beispielsweise auch an asiatische Plattformen. Vor fünf, sechs Jahren haben wir die amerikanischen Tech-Konzerne ein bisschen in die Öffentlichkeit gestellt, mit ihren Steuergestaltungsmodellen über Dublin in Irland. Ich war vor kurzem in Dublin und habe mir mal die Firmenzentrale von Temu angeschaut. Und auch hier ist es halt leider wieder nur der Briefkasten.

Es kann nicht sein, dass das bodenständige, mittelständische Café 30 Prozent Unternehmenssteuern zahlen muss und die global agierenden Konzerne drücken ihre Steuerquote auf zum Teil unter zwei, drei Prozent.

Florian Köbler Vorsitzender Deutsche Steuer-Gewerkschaft

Also, das heißt, hier wird in eklatanter Weise Steuersubstrat aus der Europäischen Union heraus verlagert. Und mir geht es da einfach um einen fairen Wettbewerb. Es kann nicht sein, dass das bodenständige, mittelständische Café 30 Prozent Unternehmenssteuern zahlen muss und die global agierenden Konzerne drücken ihre Steuerquote auf zum Teil unter zwei, drei Prozent. Das ist eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der kleineren und mittleren Unternehmen. Und das ist nicht hinnehmbar.

In Kürze gibt es eine Bundestagswahl. Danach muss sich eine neue Bundesregierung konstituieren. Was wären dann zumindest kleine Schritte, mit denen man dieses Thema konkret angehen könnte?

Ich glaube, wir brauchen insgesamt zwei Sachen. Punkt eins: Wir brauchen Änderungen im Recht. Wir müssen dahin kommen, dass wir den Großteil der Bevölkerung entlasten, beispielsweise eine Steuererklärung überhaupt abzugeben. Da gibt es tolle Konzepte bei Arbeitnehmern, bei Rentnern. Das muss man machen. Das hätte den Charme, dass wir das frei werdende Personal dort einsetzen können, wo Finanzkriminalität passiert.

Und auf der anderen Seite: Wir müssen extrem in Digitalisierung und Technik investieren. Mein Appell an die Politik ist, einfach ein bisschen die Fenster zu öffnen und zu schauen, wie andere Länder hier vorgehen. Wir können da sehr, sehr viel lernen.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 03. Februar 2025 | 14:00 Uhr

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