Ein Mann telefoniert vor einer fiktiven Wahlumfragegrafik.
Vorwahlumfragen wie die Sonntagsfrage finden meist per Telefon statt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Lino Mirgeler

Hintergrund So werden Meinungs- und Wahlumfragen gemacht

21. Februar 2024, 17:17 Uhr

Jede Woche gibt es Meinungsumfragen zur Parteienpräferenz – oder die Sonntagsfrage wird gestellt. Umfragen ab etwa 1.000 zufallsgenerierten Teilnehmenden gelten als repräsentativ für die aktuell etwa 84 Millionen Menschen in Deutschland. Welche Umfrageinstitute gibt es? Wie arbeiten sie und wie unabhängig sind sie?

MDR AKTUELL Mitarbeiter Andreas Sandig
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Repräsentative Umfragen in Deutschland werden vor allem über Telefonbefragungen mit 1.000 bis etwa 3.000 zufallsgenerierten Teilnehmenden gemacht. Im Schnitt nimmt nur etwa jede fünfte angefragte Person teil. Die Befragung ist anonymisiert. Oft werden Telefonumfragen durch Online-Befragungen ergänzt. Ziel ist ein möglichst repräsentativer Querschnitt der Gesamtbevölkerung.

Wie repräsentativ ist die Datenerhebung?

Bis in die 2000er-Jahre wurden die Umfragen meist per Festnetztelefon durchgeführt, inzwischen auch über Mobilfunkanschlüsse und zunehmend online sowie in sozialen Netzwerken. Daneben gibt es auch weiter persönliche Befragungen/Interviews (face-to-face), die aber aufwendiger und teurer sind. Grundsätzlich gilt: Die Repräsentativität von Umfragen hängt maßgeblich vom Auswahlverfahren ab und erst in zweiter Linie von der Anzahl an Befragten. Gerade reine Online-Umfragen stehen in der Kritik, in Hamburg läuft dazu ein Gerichtsverfahren.

Ab wie vielen Teilnehmenden sind Umfragen repräsentativ? Oft haben in Deutschland repräsentative Umfragen etwa 1.000 Teilnehmende oder mehr. Bei guter qualitativer Streuung reichen aber auch niedrigere Fallzahlen, um einen Bevölkerungsquerschnitt abzubilden. Das bedeutet, es lässt sich ein relativ genaues Bild für die gut 80 Millionen Menschen im Land erstellen. Grundlage ist eine statistische Faustformel: 1/√Stichprobe. Bei 1.000 Teilnehmenden beträgt die Genauigkeit 0,032 beziehungsweise die Fehlertoleranz 3,2 Prozentpunkte in beide Richtungen. Je größer die Stichprobe, desto genauer wird die Umfrage, aber Aufwand und Genauigkeit steigen nicht proportional. Mit 2.000 Teilnehmern sinkt die Fehlergrenze auf 2,2 Prozentpunkte, bei 10.000 auf 1 Prozent.

Ein Problem bei Umfragen sind Antwortverweigerer. Das hat verschiedene Gründe, wie etwa die allgemeine Ablehnung von Umfragen oder auch eine höhere Sensibilität beim Schutz persönlicher Daten. Dadurch können Gruppen mit bestimmten Einstellungen zu kurz kommen. Als unterrepräsentiert in Telefonumfragen gelten vor allem ältere und formal niedrig gebildete Personen sowie Stadtbewohner. Um das auszugleichen, werden dann häufig deren Teilnehmer höher gewichtet. Weitere Fehlerquelle ist die Richtigkeit der Antworten. So kann Befragten aus unterschiedlichen Gründen die Antwort unangenehm sein oder sie wollen einen anderen Eindruck erwecken.

Dennoch herrscht Konsens, dass bei Einhaltung von Qualitätsstandards repräsentative Ergebnisse erzielt werden – jedoch stets mit einer gewissen Fehlertoleranz. Zur Beurteilung der Repräsentativität ist Transparenz bei der Datenmethodik nötig. Zumeist stellen die Institute diese Informationen bereit, oft fehlen sie aber in der Presseberichterstattung.

Meinungsforschungsinstitute in Deutschland und ihre Kunden

Es gibt Dutzende Markt- und Sozialforschungsinstitute in Deutschland. Sie sind größtenteils privatwirtschaftlich aufgestellt, etwa als Institute in unterschiedlicher Rechtsform (GmbH oder GbR) und bieten ihre Dienste Unternehmen, Parteien, Stiftungen, Institutionen und Verbänden an. Es ist ein Milliardenmarkt. Das meiste Geld fließt für die Marktforschung. Selten gibt es andere Organisationsformen – bei der Forschungsgruppe Wahlen (FGW) etwa handelt es sich um einen gemeinnützigen Verein, der im Kern auf Meinungs- und Wahlforschung spezialisiert ist und exklusiv für einen Kunden arbeitet.

Infratest dimap

  • die 1990 in Berlin gegründete Firma Infratest dimap ist spezialisiert auf politische Trends
  • Infratest und das Bonner dimap-Institut sind seit 1996 für alle ARD-Wahlberichterstattungen zuständig
  • Infratest dimap gehört zur internationalen Verian-Gruppe (bis 2023 Kantar), der Finanzinvestor Bain Capital hält 51 Prozent der Anteile
  • Kunden sind Medien, Regierungseinrichtungen, Verbände, Universitäten, internationale Organisationen und Unternehmen
  • Infratest dimap hat etwa 25 feste Mitarbeiter, für Telefonbefragungen werden teils mehr als 1.000 freiberufliche Interviewer beschäftigt
  • an Wahltagen liefert Infratest dimap für die ARD die Prognose um 18 Uhr und die Hochrechnungen
  • Umsatz 2022: 1,3 Millionen Euro

Forschungsgruppe Wahlen

  • 1974 wurde die Forschungsgruppe Wahlen (FGW) in Mannheim als Verein gegründet
  • die FGW betreut die Umfragen für das Politbarometer und die Wahlberichterstattung im ZDF, der Sender finanziert die Non-Profit-Organisation
  • die Befragungen für die FGW führt die eigenständige Firma Telefonfeld durch, die neben Sozialforschung auch Marktforschung betreibt
  • weitere größere Kunden sind Kommunen, der Kassenärzteverband und die Deutsche Verkehrswirtschaft
  • Telefonfeld beschäftigt nach eigenen Angaben mehr als 300 für Umfragen geschulte Mitarbeiter und arbeitet auch für andere Auftraggeber
  • Bilanzsumme 2022: 404.300 Euro

Forsa - Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen

  • die 1984 in Berlin gegründete Forsa GmbH bezeichnet sich selbst als "eines der wenigen nicht konzerngebundenen, sondern unabhängigen privaten Markt- und Meinungsforschungsinstitute" für Unternehmen, Medien, Politik und Wissenschaft
  • Kunden sind Medien wie RTL/ntv (Trendbarometer), Zeit, FAZ sowie andere Unternehmen, Bundesministerien und Institutionen
  • dem Institutsleiter Manfred Güllner wurde früher politische Einflussnahme vorgeworfen, so für die SPD unter Gerhard Schröder und 2007 bei einer Umfrage für die Deutsche Bahn AG zu Vorteilen einer Privatisierung; das Ergebnis erschien am Tag vor einer Anhörung zum Thema im Bundestag
  • Forsa hat etwa 80 Mitarbeiter
  • Bilanzsumme: 4,4 Mio. Euro

Institut für Demoskopie Allensbach (IfD)

  • das IfD wurde 1948 von der Kommunikationsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann in Allensbach/Baden-Württemberg gegründet
  • es hat Niederlassungen in Bonn und Berlin und ist zu 99 Prozent im Besitz der Stiftung Demoskopie Allensbach
  • Neben der Meinungs- und Medienforschung wird auch Marktforschung betrieben
  • Medienkunden sind etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Zeit, Spiegel oder Süddeutsche Zeitung sowie Bundesinstitute, Forschungseinrichtungen, Verbände oder Konzerne
  • das IfD setzt auf eine gezieltere Auswahl von Stichproben statt Zufallsstichproben; mit dem sogenannten Quotenverfahren sollen validere Daten erreicht werden
  • dem IfD wird politische Nähe zur Union nachgesagt, besonders in der Helmut-Kohl-Ära; für Schlagzeilen sorgten in den 1990er-Jahren bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg deutlich geringere Umfragewerte für die Republikaner als dann bei der Wahl erzielt wurden
  • das Institut hat knapp 100 Mitarbeitende, davon ein Viertel Wissenschaftler; dazu kommen 1.600 nebenberufliche Interviewer
  • Bilanzsumme: 5,7 Mio Euro

INSA 

  • das private Markt- und Sozialforschungsinstitut Insa (Institut für soziale Antworten) wurde 2009 in Erfurt gegründet
  • die nach eigenen Angaben unabhängige Firma bietet Kunden aus Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft Marktforschungsstudien sowie politische Umfragen an, aber auch  Geschäftsberatung und Projektentwicklung
  • zu Insa gehört der Consulere-Verlag, daneben gibt es eine Stiftung
  • Insa führt eigene Telefonbefragungen durch, aber auch Online-Befragungen mit Panels anderer Institute.
  • Hauptprodukt ist die Sonntagsfrage für die Springer-Presse, jede Woche in "Bild" und "BamS", es werden auch Umfragen zu Landtagswahlen und Kommunalwahlen gemacht. Für die Wahlumfragen kauft INSA Daten von YouGov ein und reichert sie mit eigenen Analysen an
  • weitere Kunden sind Cicero, das rechte Blatt "Junge Freiheit" sowie ostdeutsche Zeitungen wie die LVZ, Freie Presse, TA oder die SuperIllu
  • Chef der Insa-Consulere GmbH ist der frühere CDU-Politiker Hermann Binkert, dem Kontakte zur AfD vorgeworfen wurden. 2013 hatte Binkert Medienberichten zufolge für die AfD gespendet.
  • Insa hat nach eigenen Angaben etwa zehn wissenschaftliche Mitarbeiter sowie zahlreiche freie Telefoninterviewer
  • Bilanzsumme 2021: etwa 1,4 Millionen Euro

Civey

  • Die 2015 gegründete Berliner Civey GmbH ist nach eigenen Angaben "das führende Unternehmen für digitale Markt- und Meinungsdaten mit dem größten Panel in Deutschland". Prominente Kunden aus der Medienbranche sind etwa Spiegel oder Focus-Online, daneben auch Parteien, Wirtschaftsverbände und Konzerne sowie etwa Krankenversicherungen, Bundesministerien, E.ON oder die Bertelsmann-Stiftung.
  • Civey setzt gezielt auf Online-Umfragen und Algorithmen, die von klassischen Instituten mitunter als methodisch unsauber kritisiert werden. Dabei werden auf Webseiten die Besucher für Umfragen ausgewählt, um Fragen zu beantworten. Diese weitgehend automatisierte Datenerhebung ist erheblich preisgünstiger als repräsentative Telefon-Umfragen. Bei der Bayern-Wahl im Oktober 2023 erzielte Civey die beste Wahlvorhersage.
  • Civey beschäftigt rund 60 Mitarbeiter und hatte zuletzt eine Bilanzsumme von 6,5 Millionen Euro. Doch aktuell ist die Firma in Finanznot und sucht im Schutzschirmverfahren neue Investoren

YouGov

  • YouGov ist ein börsennotiertes britisches Markt- und Meinungsforschungsinstitut, das nach eigenen Angaben weltweit am häufigsten zitiert wird. Größte Aktionäre sind Investmentgesellschaften wie Blackrock. Hauptsitz ist London, Deutschland-Sitz Köln.
  • Das Unternehmen benennt als Hauptdatenquelle eine globale Online-Community mit mehr als 24 Millionen Mitgliedern weltweit. Die Teilnahme wird vergütet – aber gering und im Schnitt im zweistelligen Euro-Bereich pro Monat.
  • YouGov liefert fortlaufend frei zugängliche Daten, Rankings und Umfragen (Sonntagsfrage), die dann von verschiedenen Medien in Deutschland genutzt werden – darunter Bild, Focus, Zeit-Online oder Handelsblatt. Zudem werden für Kunden Daten zu politischen, gesellschaftlichen Stimmungen, Trends sowie für die Marktforschung erhoben.
  • Im Oktober 2023 übernahm YouGov das Consumer Panel Business der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) – einem Marktführer für Haushaltseinkäufe in 16 europäischen Ländern mit insgesamt über 100.000 Haushalten.
  • Bilanzsumme von YouGov Deutschland: 12,1 Millionen Euro

Ipsos

  • Die Ipsos GmbH ist das deutsche Tochterunternehmen des weltweit aktiven und börsennotierten Marktforschungskonzerns Ipsos.
  • Ipsos ist auf Markt- und Konsumforschung spezialisiert mit Kunden etwa in der Pharma- oder Telekommunikationsbranche oder dem TÜV, bietet aber auch Medien- und Sozialforschung sowie politische und Wahlumfragen an.
  • In Deutschland hat Ipsos etwa 500 Mitarbeiter am Hauptsitz Hamburg und in weiteren deutschen Großstädten, dazu kommen etwa bundesweit etwa 3.300 freiberufliche Interviewer
  • Umsatz Ipsos GmbH zuletzt etwa 53 Millionen Euro

Verian (Kantar/Emnid)

  • Verian Germany, ehemals Kantar Public bzw. Emnid, berät Wissenschaft und Politik und bietet laut Eigenwerbung empirische Forschung von der Konzeption über die Methodik und Datenerhebung bis hin zur Datenanalyse und Berichterstellung an.
  • Die Firma mit Sitz in München hat nach eigenen Angaben 70 festangestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie etwa 455 Beschäftigte für Umfragen und Interviews. Medienkunden sind etwa das Magazin Focus.

Die Aussagekraft von Wahlumfragen – wie werden kleine Parteien berücksichtigt?

Wahlumfragen sind keine Voraussagen für das Wahlergebnis, sondern bilden nur die aktuelle politische Stimmung ab – abhängig vom Umfragezeitraum, von jüngsten Ereignissen und methodischen Details. Dabei gibt es immer Differenzen zur Entscheidung am tatsächlichen Wahltag. Die statistische Fehlertoleranz liegt unterschiedlichen Quellen zufolge bei +/- drei Prozentpunkten. Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte geht von zwei bis vier aus. Auch das Parteiergebnis spielt eine Rolle: Bei einer Fünf-Prozent-Partei ist der relative Fehlerbereich größer als bei einer 30-Prozent-Partei. Ein Ranking der Voraussagen für die Bundestagswahl 2021 finden sie hier: Spitzenreiter war Allensbach, Infratest Dimap gehörte zur Spitzengruppe, Schlusslichter waren YouGov und Emnid.

Die Forschungsgruppe Wahlen erläutert auf ihrer Seite die Reihenfolge bei Wahlabfragen und den Umgang mit kleinen oder neuen Parteien für das ZDF-Politbarometer. Demnach werden bei der Sonntagsfrage für den Bundestag die Parteien in der Reihenfolge ihres Zweitstimmenergebnisses bei der letzten Wahl abgefragt. Bei den kleinen "sonstigen Parteien" wird noch einmal nachgefragt, um welche Partei es sich handelt. Ab einem Anteil von drei Prozent wird diese Partei dann einzeln aufgeführt – so wie aktuell das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht. Das hat methodische Gründe. Unter drei Prozent ist der statistische Fehlerbereich sehr hoch, seriöse Aussagen sind kaum möglich. Andere Institute gehen auch bis auf zwei Prozent runter.

Einige Internetportale sammeln Ergebnisse von Wahlumfragen und führen sie zusammen. DAWUM errechnet daraus einen Mittelwert unter Ausweisung der Fehlertoleranz. Ähnlich macht es der Politpro-Wahltrend.

Onlineumfragen und Social-Media-Befragungen als neue Faktoren

Der Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e.V. (ADM) vertritt nach eigenen Angaben die wichtigsten Marktforschungsunternehmen in Deutschland mit einem Gesamtumsatz von 1,68 Milliarden Euro im Jahr 2022. Der ADM ist auch für Qualitätssicherung zuständig und trägt gemeinsam mit drei weiteren Branchenverbänden den Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung. Der Rat spricht auch Rügen aus.

Der ADM informiert, dass sich Demoskopie und Marktforschung mit der Digitalisierung deutlich verändert haben und stetig entwickelten. Markt- und Sozialforschung seien Entscheidungsgrundlage für Wirtschaft und Politik. Daher sei die Qualität der Daten wichtig. Der ADM sieht Risiken durch die Online-Datenerfassung und den Trend zu Social-Media-Befragungen. Das führe zu Repräsentativitätsproblemen für die Gesamtbevölkerung. Dazu gebe es Verzerrungen durch Bots und Fakenews in der Online-Community. Social-Media-Daten seien relevant, aber als alleinige Datenquelle ungenügend. 2023 haben der ADM sowie weitere Branchenverbände ihre Qualitätsstandards angepasst und Anforderungen für Markt- und Sozialforschungsprojekte definiert.

MDR AKTUELL (ans)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 01. Februar 2024 | 18:05 Uhr

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