Bezahlbarer Wohnraum Wie Wohnungsnot und Fachkräftemangel zusammenhängen
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04. August 2024, 06:00 Uhr
Vor allem in Städten und Ballungszentren fehlt bezahlbarer Wohnraum. Für Unternehmen bedeutet das: Auf der Suche nach Arbeits- und Fachkräften ist Kreativität gefragt. Einer Studie von PwC zufolge erwägen daher immer mehr Beschäftigte einen Umzug und Jobwechsel.
- Weil Wohnen in Großstädten teurer wird, denken einer Studie zufolge immer mehr Menschen darüber nach, ihren Wohnort und Job zu wechseln.
- Auch in mitteldeutschen Großstädten wie Leipzig wird günstiger Wohnraum zwar knapper, aber eine gezielte Abwanderung aus den Städten dort gibt es nicht.
- Unternehmen auf Fachkräfte-Suche müssen kreativ werden – und auch etwa für Wohnraum sorgen.
Vor fünfeinhalb Jahren zieht Franziska einen Schlussstrich und zieht von Berlin nach Brandenburg. Ein Grund dafür: Eine ausreichend große und bezahlbare Wohnung zu finden, ist schier unmöglich, selbst am Stadtrand. Die Sozialarbeiterin bleibt zunächst im alten Job, pendelt täglich gute 40 Minuten zur Arbeit und am Abend wieder zurück. Aber auch das ist kräftezehrend. Mittlerweile arbeitet die 38-Jährige näher an ihrem Wohnort. In die Großstadt, sagt sie, ziehe es sie nicht zurück.
Den Schritt, den Franziska gegangen ist, können sich einer Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) zufolge einige Menschen in deutschen Metropolen vorstellen. Jede oder jeder Dritte habe bereits darüber nachgedacht, den Wohnort und Job zu wechseln, weil die Mieten zu hoch sind.
Für Arbeitgeber werde es in Ballungsräumen damit immer schwieriger, Fachkräfte zu finden und zu halten, so die Autoren der PwC-Studie "Wohnungsnot in deutschen Großstädten und die Folgen für den Arbeitsmarkt". Für die Studie wurden im Herbst vergangenen Jahres 4.200 Berufstätige in Deutschland zwischen 18 und 65 Jahren aus zwölf Großstädten im Auftrag von PwC online befragt, darunter aus Berlin, Hamburg, München und auch Leipzig.
Mitteldeutschland: Hohe Lebensqualität und verhältnismäßig günstige Mieten
Besonders prekär ist die Lage in Städten wie München, Frankfurt oder Berlin. Aber auch in Leipzig wird günstiger Wohnraum zunehmend knapper. Dennoch sei die Situation in Mitteldeutschland noch eine besondere, sagt Carl Erik Daum, Standortleiter bei PwC in Leipzig.
Wohnen in der Großstadt ist bei vielen noch immer heiß begehrt. Kulturelles Angebot, öffentlicher Nahverkehr, Kinderbetreuung – Standortfaktoren wie diese sind es, die das Wohnen in der Großstadt attraktiv machen. Und hier liege Leipzig im Vergleich zu anderen Städten noch vorn, sagt Daum. "Ich erlebe, dass zum Beispiel Kollegen gezielt nach Leipzig oder Mitteldeutschland kommen, weil der Standort so attraktiv ist." Eine gezielte Abwanderung aus mitteldeutschen Großstädten sehe er nicht.
Deutscher Mieterbund: Betriebe müssen für Fachkräfte für Wohnraum sorgen
Günstiger Wohnraum und Fackräftemangel seien jedoch eng miteinander verzahnt, sagt Daum. "Um Fachkräfte gewinnen zu können, braucht man eben auch ein vernünftiges Angebot an Wohn- und Lebensraum."
Um Fachkräfte gewinnen zu können, braucht man ein vernünftiges Angebot an Wohn- und Lebensraum.
Ähnliches fordert der Präsident der Deutschen Mieterbunds, Lukas Siebenkotten. Benötige ein Betrieb dringend Fachkräfte, egal ob aus dem In- oder Ausland, müsse für entsprechenden Wohnraum gesorgt werden, sagt er.
Und wenn auch nicht im selben Maßstab wie in Ballungsräumen wie München oder Hamburg: Auch in Mitteldeutschland wird Wohnen teurer und der Wohnungsmarkt angespannter. "Das gilt zum Beispiel auch für mehrere thüringische Städte wie Erfurt, Jena und Weimar. Aber auch in Leipzig und Dresden ist die Problematik angekommen", sagt Siebenkotten. Auch dort sei es schwieriger geworden, Fachkräfte zu gewinnen, wenn nicht gleichzeitig eine Wohnung vermittelt werden könne.
Remote-Arbeit, Bahncard, Jobrad: Arbeitgeber müssen kreativ werden
Aus dem Bundesbauministerium heißt es auf Anfrage des MDR: "Der Fachkräftemangel stellt viele Unternehmen zunehmend vor die Herausforderung, geeignetes Personal zu akquirieren. Aufgrund des demographischen Wandels wird sich dieser Trend noch weiter verstärken, sodass Unternehmen bei der Fachkräftegewinnung kreativer werden und unterschiedliche Anreize bieten möchten."
Das sagt auch Carl Erik Daum. Unternehmen müssten sich überlegen, auf welche Weise sie Arbeitskräften entgegenkommen könnten. Das Einfachste sei, standortunabhängiges Remote-Arbeiten zu ermöglichen. Sei das nicht möglich, könnten Betriebe auf Mobilitätszuschüsse setzen, eine Bahncard oder ein Jobrad zum Beispiel.
Flaute im Wohnungsbau hält an
Im Spannungsfeld zwischen Arbeitskräftemangel und Wohnungsnot kristalliert sich in diesem Zug ein lange Jahre in Vergessenheit geratenes Modell heraus: Mitarbeiterwohnen. Das Konzept: Wer Arbeitskräfte gewinnen möchte, bietet ihnen arbeitsplatznahen und günstigen Wohnraum an. Ein Prinzip, das gerade in Branchen, in denen Homeoffice keine Lösung sein kann, Anwendung finden könne.
Aber auch Unternehmen müssen zunächst an Wohnraum kommen. Der muss entweder gekauft, gemietet oder gebaut werden. Was den Kreis wiederum schließt: Infolge sich aneinander reihender Krisen und Inflation ist der Wohnungsbau fast zum Erliegen gekommen. In Deutschland könnten in den nächsten Jahren noch deutlich weniger Wohnungen gebaut werden als zuletzt, teilte am Montag das Münchner Ifo-Institut mit. Die Fachleute erwarten, dass sich die Talfahrt in der Branche weiter fortsetzt. Für das Jahr 2026 sagen die Experten nur noch 175.000 neu gebaute Wohnungen voraus. Das wären über 40 Prozent weniger als die knapp 300.000 Wohnungen des Jahres 2022.
Das von der Berliner Koalition beim Amtsantritt 2021 ausgegebene Ziel sind 400.000 neue Wohnungen pro Jahr. Dieses Ziel rückt offenkundig in immer weitere Ferne.
Lösung: Günstiger Bauen, aber wie?
Eine grundlegende Besserung in den kommenden zwei Jahren erwartet das Ifo-Institut ebenso wenig wie die Bau- und Wohnungswirtschaft. Die Ampel-Regierung will gegensteuern und hat sich vorgenommen, Bauen auch bei hohen Materialkosten bezahlbar zu machen. Die Idee: Es soll einfacher gebaut werden. Also weniger Steckdosen im Wohnzimmer, keine Balkone, dünnere Decken. Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat jüngst einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem Regeln entschlackt werden. Damit soll es einfacher werden, im Neubau auf Komfort-Standards zu verzichten, die für die Sicherheit des Gebäudes nicht relevant sind. So könnten bis zu zehn Prozent der Herstellungskosten eingespart werden.
Das Problem sieht auch Carl Erik Daum aus Leipzig. "Wir betreuen als PwC in verschiedenen Eigenschaften auch Wohnungsunternehmen, die in vollständiger Eignerschaft der öffentlichen Hand stehen. Und auch die sagen: Nach den aktuellen Standards zu bauen, würde zu Mietpreisen führen, die als Luxus gelten."
Auch Lukas Siebenkotten blickt wenig optimistisch auf den Bausektor. Besserung, sagt er, sehe er in naher Zukunft nicht. Doch müsse Deutschland dringend für bezahlbaren Wohnraum sorgen, um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. "Sonst verlieren wir im internationalen Wettbewerb. Und das kann eigentlich keiner wollen."
MDR, mit Informationen von dpa
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 03. August 2024 | 10:00 Uhr
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