Von unbewohnbar zu unbezahlbar Ursachen der Wohnungsnot im Osten
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14. September 2020, 12:53 Uhr
51 Ostmark für 65 Quadratmeter, mitten in Berlin. Was heute unglaublich klingt, war in der DDR ein ganz normaler Mietpreis - allerdings auch staatlich hoch subventioniert. Heute wird bezahlbarer Wohnraum, vor allem in den boomenden Städten, immer knapper. Wie kam es zu dieser Entwicklung? Erklärungen am Beispiel Leipzig.
Leipzig gilt nicht nur unter ostdeutschen Städten als Boomtown Nummer eins. Keine andere deutsche Großstadt verzeichnet höhere Zuwachsraten bei der Einwohnerzahl. Jährlich kommen zirka 10.000 Neuleipziger hinzu – und die suchen: Wohnungen. Zwar wird in Leipzig viel gebaut: über 2.000 neue Wohnungen entstehen hier jährlich. In attraktiven Lagen ist bald jede Baulücke geschlossen. Doch es gibt ein Problem:
Wenn gebaut wird, dann fast nur im hochpreisigen Segment. Also entweder entstehen sehr teure Eigentumswohnungen oder wenn überhaupt Mietwohnungen entstehen, dann für 10 Euro, für 11 Euro, teilweise auch für 13 Euro kalt.
Diese Mietpreise können vor allem einkommensschwache Familien nicht zahlen. Die Ursachen dieser Entwicklung sieht der Wissenschaftler Dieter Rink in der jüngsten deutschen Geschichte. Der Professor für Stadtsoziologie beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Thema "Wohnen im Osten". Das heutige Wohnungsproblem in den boomenden Städten der ostdeutschen Bundesländer ist eine Folge der Wohnungsbaupolitik in der DDR, in der chronischer Wohnungsmangel herrschte, die Mietpreise aber bis zum Schluss spottbillig waren.
Industrieller Wohnungsbau soll Wohnungsprobleme lösen
Die DDR hatte für die Lösung der Wohnungsprobleme nur ein Rezept: den Bau neuer Großsiedlungen in industrieller Plattenbauweise. Seit den 1970er-Jahren entstanden so Trabantenstädte – wie Leipzig-Grünau. Ein gigantisches staatliches Wohnungsbauprogramm und preiswerter Wohnraum für 100.000 Leipziger.
Die Kehrseite der Medaille erweist sich jedoch als fatal: Die Altbausubstanz wurde völlig vernachlässigt. Man begann, ganze Straßenzüge abzureißen, um auch hier Platz zu schaffen für die Platte. Als die DDR Geschichte ist, sind die Altbauten im Land in einem so schlechten Zustand, dass sogar die Frage im Raum steht: Ist Leipzig noch zu retten?
Ähnlich verfallen wie in Leipzig war ein Großteil der Gründerzeithäuser in der gesamten DDR. Nach Einschätzung von Rink waren von den 100.000 Altbauwohnungen in Leipzig drei Viertel sanierungsbedürftig. Etwa 70.000 Menschen hätten in der Messestadt eine passende Wohnung gesucht.
Schöne Häuser - zu wenig Menschen
Nach der Friedlichen Revolution 1989 war es also höchste Zeit, die alte Bausubstanz zu erhalten. Wie Rink resümiert, retteten aber nicht staatliche Maßnahmen die Stadt, es seien die Eigentümer der Häuser gewesen, viele von ihnen aus den alten Bundesländern. Steuerlich gefördert, seien im Rahmen des Aufbaus Ost jährlich bis zu fünf Milliarden D-Mark nach Leipzig geflossen. Nach zehn Jahren seien zwei Drittel der Altbausubstanz saniert gewesen.
Doch im gleichen Zeitraum verlassen rund 100.000 Menschen die Stadt Leipzig. Wohnungen - ob nun saniert oder unsaniert - werden in diesen Größenordnungen nicht mehr benötigt.
Das Zusammenwirken dieser beiden Prozesse hat dann zu einem enormen Leerstand geführt. Man schätzt, dass um das Jahr 2000 mehr als 60.000 Wohnungen in Leipzig leer gestanden haben, also etwas mehr als ein Fünftel.
Nach der Sanierung folgt der Abriss
Die Lage am Wohnungsmarkt spitzte sich zu. Im Osten kommt der soziale Wohnungsbau zum Erliegen. Mehr noch, der große Rückbau Ost beginnt, auch in Leipzig. Im Plattenbaugebiet Leipzig-Grünau werden mehr als 7.000 von ursprünglich 35.000 Wohnungen abgerissen. Im übrigen Stadtgebiet sind es noch einmal 7.000 bis 8.000 Wohnungen, die der Abrissbirne zum Opfer fallen.
Gleichzeitig entstehen am Stadtrand neue Siedlungen mit Eigenheimen. Doch vom eigenen Häuschen träumen keineswegs alle. Die meisten in Leipzig suchen lange schon wieder eine bezahlbare Wohnung. Auf dem Markt sind jedoch vor allem Objekte im Luxussegment. Die Politik reagiert spät und unzureichend:
Der Freistaat Sachsen hat auch schon reagiert und ein Programm für den sozialen Wohnungsbau aufgelegt. Mit den Mitteln, die jetzt dafür da sind, können jetzt pro Jahr 300 bis 400 Wohnungen gebaut werden. Das ist nicht ausreichend.
In Leipzig verspricht nun ein Großprojekt etwas Aussicht auf Besserung. Hinter dem Hauptbahnhof soll ein neuer Stadtteil entstehen. Auf 25 Hektar - das entspricht der Hälfte der Fläche der Innenstadt - sind 2.000 Wohnungen für mehr als 3.000 Menschen geplant. Vorgesehen ist, dass 30 Prozent der Wohnungen zu sozial verträglichen Preisen vermietet werden. Baustart ist jedoch erst in zwei Jahren, die Pläne ambitioniert:
Eine Stadt muss durchmischt sein. Niemand möchte eine Bildung von Ghettos, sondern es geht darum, dass Menschen aller Coleur, vom Studenten über den Facharzt bis hin zum Arbeitssuchenden in einem Gebiet leben.
Auf dem Leipziger Wohnungsmarkt bleibt es also eng und die Politik in der Pflicht, meint Roman Grabolle vom "Netzwerk Leipzig - Stadt für alle":
Wohnungen dienen eben nicht mehr dazu, Menschen das Grundbedürfnis nach Wohnungen zu erfüllen, sondern relativ schnell, sicher und einfach hohe Renditen für Kapitalanleger zu erwirtschaften. Wir müssen wieder dahin, dass Wohnen als öffentliche Daseinsvorsorge verstanden wird, wie Wasser, Verkehr und andere Infrastruktur.
(vin)
Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV: MDR ZEITREISE - das Geschichtsmagazin mit Mirko Drotschmann | 13.02.2018 | 21:15 Uhr