
Interview Landwirtschaft ohne Preisdruck: Gemüsepioniere starten zweite Saison in alter Gärtnerei
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27. April 2025, 10:00 Uhr
Den Preisdruck rausnehmen, Nahrungsmittel selbst umweltfreundlich anbauen und konsumieren, was die Region hergibt: All das will die Solidarische Landwirtschaft (Solawi) erreichen. Eine Mitstreiterin ides Projekts "Gemüseanbau in Graupa" in Pirna sieht in der alternativen Form der Landwirtschaft eine Möglichkeit, Lebensmittel unabhängig vom Druck und den Schwankungen des Marktes zu produzieren und zu verteilen.
Frage: Solidarische Landwirtschaft - welche Idee steckt hier dahinter?
Julia Aepler: Oh, das ist nicht so leicht in Worte zu fassen. Wenn man es groß sieht, geht es um ein anderes Wirtschaftsmodell. Auf einer kleineren, persönlicheren Ebene möchten viele Mitglieder regionale Wertschöpfungsketten unterstützen. Sie wollen Produkte konsumieren, die aus der Region kommen. Regionalität ist ja so ein komischer Begriff geworden, der alles und nichts bedeuten kann. Regionalität bei uns heißt, es kommt wirklich von hier, also aus dem nächsten Ort, aus dem Großraum Dresden - und nicht aus Sachsen oder Deutschland.
Ist das auch Ihre Motivation?
Für die meisten von uns, ist es essentiell zu wissen: Wer baut die Produkte für mich an, die mich jeden Tag ernähren? Meine Motivation war, wieder einen stärkeren Bezug zu meinem Essen zu bekommen. Fast automatisch steigt dabei das Gefühl für die Jahreszeiten: Man merkt, wann welches Gemüse wächst – oder auch nicht.
Wie funktioniert Ihr Projekt konkret?
Ziel der Solidarischen Landwirtschaft ist es, Risiken und Gewinne aufzuteilen. Gerade überführen wir unseren Verein "Lebenswurzel e.V." in eine Genossenschaft. Unsere Mitglieder arbeiten ehrenamtlich. Bei der Ausgabe der Ernteanteile wird diese Arbeit verrechnet. Grundsätzlich gilt: Jeder kann sich nach seinen Leistungen und Bedürfnissen einbringen. Für die Ernte macht jeder eine Bedarfsanmeldung, was er für sich oder seine Familie benötigt. Das unterscheidet uns von anderen Projekten, die meist feste, jeweils gleiche Ernteanteile für alle ausgeben. Am Ende ist es aber trotzdem so, dass wir Missernten und Überproduktionen gleichmäßig verteilen.
Das klingt sehr sozialistisch?
Finden Sie? Da habe ich noch nie darüber nachgedacht.
Ich komme aus der DDR, da war das so ein Schlagwort von Karl Marx: 'Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen'…
Was wir jetzt umgestellt haben: Jedes Mitglied entscheidet selbst, ob es sich ehrenamtlich engagieren möchte oder nicht. Diejenigen, die keine Zeit haben, können für ihre Ernteanteile auch einen Geldbetrag bezahlen. Vorher hatten sie immer ein schlechtes Gewissen. Das soll gar nicht sein, es soll keine Wertung geben. Trotzdem möchten wir die ehrenamtliche Arbeit wertschätzen und bei der Ausgabe der Ernte berücksichtigen. Alle sind für uns wichtig, die aktiven und die stillen Mitglieder.
Reicht ehrenamtliche Arbeit, um einen landwirtschaftlichen Betrieb zu stemmen?
Wir haben jetzt ganz neu auch sechs Festangestellte im Gartenbauteam. Nicht alle arbeiten Vollzeit. Das würde die Zahl unserer Mitglieder nicht hergeben. Ich hoffe, dass sich alle gut einspielen. Gerade im heißen Sommer, wenn der Regen ausbleibt, ist die Bewässerung wichtig – auch am Wochenende.
Bekommen Sie Fördermittel?
Bisher gab es wenig. Wenn wir Veranstaltungen gemacht haben, gab es manchmal eine Absatzförderung. Die wurde aber meines Wissens eingestellt. Grundsätzlich gibt es sehr wenig Förderung für solidarische Landwirtschaft.
Wie lief Ihre erste Ernte voriges Jahr?
Es gab Kulturen, die sind prima gewachsen. Andere haben sich anders entwickelt, als geplant. Ich denke, das ist wie in jedem Jahr und in jedem Garten in einer Kleingartensparte. Das macht die solidarische Landwirtschaft auch aus: Ich bekomme, was auf dem Feld wächst und nicht nur die schönsten und größten Exemplare.
Sie betreiben die Solidarische Landwirtschaft in einer stillgelegten Gärtnerei in Pirna-Graupa. Gehört Ihnen das Gelände?
Nein, wir haben die Fläche von der Familie gepachtet, der einst die Gärtnerei gehörte. Dazu gehören Freiflächen und zwei Gewächshäuser. Das gesamte Gelände ist viel größer. Wir pachten nur einen Teil. Begonnen hatten wir zunächst mit einem Gewächshaus. Doch wir haben schnell gemerkt, dass es eng wird, wenn eine neue Kultur gepflanzt werden soll, die alte jedoch noch nicht abgeerntet ist.
Sie können also erweitern?
Ja, die Gewächshausfläche. Leider aber nicht die Freiflächen. Die haben wir schon vollumfänglich ausgeschöpft.
Wollen Sie erweitern?
Es hängt immer von den Mitgliedern ab. Wie viel Engagement und Verbindlichkeit für die nächsten Jahre gibt es? Bleibt das Gartenbauteam bestehen? Gibt es genügend Abnehmer? Es fließen viele Faktoren ein. Aktuell sind wir mit der Größe sehr zufrieden. Wir sind ja erst letztes Jahr dorthin gezogen. Es war alles gar nicht so selbstverständlich, eine Klausel im Mietvertrag erklärte, wenn wir es nicht schaffen, müssen wir zurücktreten. Aber wir haben es gepackt.
Jetzt sind wir zuversichtlich, dass wir das Projekt in der neuen Saison noch stabiler aufstellen und es auch die Graupaer mit nutzen. Viele kamen und meinten, es sei so schön, dass die Gärtnerei wieder erblüht, es wächst und gedeiht und nicht mehr alles so brachliegt wie in den letzten Jahren.
Sind Sie die einzigen mit einem solchen Konzept?
Es gibt bundesweit Projekte. Im Netzwerk der Solawis in Sachsen sind 21 Betriebe mit mehr als 2.749 Mitgliedern verzeichnet. Nicht alle Solawis sind dort gemeldet. Wir bewegen uns etwa zwischen 20 bis 30 Projekten. Ein großer Standort ist Leipzig. Doch es gibt im Umkreis aller größeren Städte Projekte, bei denen man mitmachen kann. Wer sich interessiert, findet alle Infos auf unserer Webseite Lebenswurzel.org. Das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft in Sachsen bietet eine Karte für einen guten Überblick.
Wie schauen die konventionellen Landwirte auf Ihr Projekt?
Gute Frage. Die Familie, von der wir die Flächen gepachtet haben, meinte, ihre Gärtnerei rentiere sich finanziell nicht mehr, weil die Konkurrenz zu groß sei. Anders als im konventionellen Wirtschaftssystem gibt es bei uns keine Konkurrenz. Unsere Mitglieder produzieren für den eigenen Bedarf. Wir verkaufen nichts nach außen. Die Ernte wird nur unter den Mitgliedern verteilt. Das ist ein Grundprinzip der Solidarischen Landwirtschaft. Die Familie erklärte uns später einmal: Hätten wir das Konzept gekannt, hätten wir die Produktion selbst so umgestellt. Es gibt einige Betriebe, die aktiv auf Solidarische Landwirtschaft umgestellt haben.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Die solidarische Landwirtschaft hat für mich viel Positives gebracht, weil man lernt das Gemüse zu schätzen. Ich habe gestern einen schönen Spruch gesehen: 'Die Lebensmittel verlieren ihren Preis und erhalten ihren Wert zurück.' Das ist ein sehr schöner Satz. Natürlich, unser Alltag verändert sich durch die Arbeit auf dem Feld. Aber es ist total toll und ich denke ganz wichtig für die Menschen, ihre Lebensmittel wertzuschätzen und darauf zu achten, was man immer in sich hineingefuttert.
MDR (tomi)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 08. April 2025 | 20:00 Uhr