Interview Erfahrungen aus der ersten Wasserstoff-Auktion
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31. August 2024, 05:00 Uhr
Timo Bollerhey ist Chef der Hintco, einer Firma mit Sitz in Leipzig. Er soll den Wasserstoff-Import für Deutschland anschieben und hat dafür ein Auktionsverfahren entwickelt. Jetzt ist die erste Auktion absolviert – frühestens 2027 kommt grünes Ammoniak aus Afrika nach Deutschland. Die Interessenlage hat sich weltweit verändert – wie genau, erklärt Bollerhey im Interview.
- Wie ist die erste Wasserstoff-Auktion abgelaufen?
- Deutschland und Europa sind nicht allein mit dem Wunsch nach Wasserstoff – auch andere Regionen, zum Beispiel Südkorea und Japan, sind interessiert.
- Deutschland sollte weiterhin die Wasserstoffproduktion im Land anreizen.
MDR Aktuell: Herr Bollerhey, was machen Sie bei der Stiftung H2Global und deren Leipziger Tochtergesellschaft Hintco?
Timo Bollerhey: Im Prinzip haben wir zwei Aufträge: Zum einen Wasserstoff in die Produktion und in den Verbrauch zu bekommen. Wir sehen ja viele Hoffnungen, die mit Wasserstoff verbunden sind, allerdings noch sehr wenige Projekte, die wirklich realisiert wurden.
Da wollen wir Sicherheit schaffen. Wir wollen Projekte in die Realisierung bringen, Moleküle in den Umlauf bringen. Zum zweiten wollen wir dazu beitragen, einen funktionierenden und transparenten Wasserstoffmarkt zu kreieren, der dann wirklich hochlaufen kann, sodass wir die Wasserstofftransformation dann in den nächsten Jahrzehnten auch wirklich in die Realität umgesetzt sehen.
Was ist H2Global? Was ist die Hintco?
Die Stiftung H2Global wurde 2021 gegründet, um den Markhochlauf für Wasserstoff weltweit anzuregen. Sie wird von der Bundesregierung gefördert und als Instrument für den Wasserstoffhochlauf bezeichnet, ist aber eine Gründung aus der Wirtschaft mit Sitz in Hamburg.
Hintco steht für "Hydrogen Intermediary Network Company" und ist eine H2Global-Tochter mit Sitz in Leipzig, die einen zweiteiligen Auktionsmechanismus entwickelt hat, um die kostenintensive Produktion von Wasserstoff zu initiieren.
Haben Sie dafür Anlagen zu Abspaltung von Wasserstoff gebaut? Oder was ist Ihr Ansatz?
Unser Ansatz ist ein marktbasierter. Was hier fehlt, ist im Moment ein Intermediär, der Wasserstoff zu den jetzigen Kostenbedingungen effizient und günstig ankauft und hier Abnahmesicherheit bietet durch langfristige Abnahmeverträgen. Dazu haben wir eine Art Händler geschaffen und diesen Hintco genannt. Hintco kauft und verkauft Wasserstoff bzw. Wasserstoffderivate.
Wasserstoff und Derivate Das farblose Gas gilt als Ersatz für Erdgas, Öl und Kohle. Es ist gut transportierbar und könnte für bestimmte Branchen künftig eine wichtige Rolle spielen, etwa für die energieintensive Stahlindustrie, wie die Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm, Mitglied im Deutschen Wasserstoffrat, erläutert, aber auch in der Chemieindustrie, der Glas- und der Papiererzeugung. Wasserstoffderivate sind gasförmige oder flüssige Wasserstoffträger wie Ammoniak, Methanol oder Sustainable Aviation Fuel.
Und das eben mit langfristigen Abnahmeverträgen und kostenbasierten Verträgen, die auch die Mehrkosten bei der Produktion von grünem Wasserstoff abfedert und diese Moleküle dann in Europa in Deutschland in den Markt bringt. Auch hier wiederum zu Kosten, die der Markt im Moment verdauen kann. Vermutlich ist dieser Handel jedoch auf absehbare Zeit ein Verlustgeschäft. Diesen Verlust gleich der Bund oder ein anderer Fördermittelgeber über eine Zuwendung aus.
Was war der Auftrag bei der ersten Auktion?
Man hat aus dem Corona-Paket 2021 Mittel für den internationalen Wasserstoffhochlauf bereitgestellt – also für den Ankauf von Produktion von Wasserstoff im Ausland, zum Export nach Europa, nach Deutschland. Dafür wurden seitens der Bundesregierung 900 Millionen Euro bereitgestellt. Diese haben wir aufgeteilt in drei Lose. Und das erste Los, grüner Ammoniak, das haben wir jetzt abgeschlossen.
Was haben Sie geschafft?
Wir hatten also eine einkaufseitige Auktion. Die war international ausgeschrieben und vor wenigen Wochen hatten wir den ersten Zuschlag, hatten wir den ersten günstigsten Anbieter identifiziert, die ersten, auch wirklich bindenden Abnahmeverträge ausverhandelt. Die offizielle Unterschrift für diesen Vertrag wurde vorgestern hier in Hamburg geleistet. Damit werden wir erstmals Wasserstoff beziehungsweise in dem Fall Ammoniak nach Europa, nach Deutschland importieren. Erste Lieferungen werden frühestens 2027 erfolgen.
Was haben Sie bei der ersten Auktion dieser Art gelernt, an welche Grenzen sind Sie gestoßen?
Wir haben noch weitere Auktionen ausstehen, da geht es um Methanol los. Auch das Thema eSAF, da geht es um Kerosin. Da gab es interessante Entwicklungen bei der Pilotaktion: Bei eSAF haben wir keinen Abschluss erzielen können – aufgrund der EU-Regulatorik, die wir haben und anderen Hürden, wie beispielsweise die Höhe des Abnahmevolumens seitens der Hintco – auch das eines der Ergebnisse, die wir mit in den Markt bringen. Wir testen die Marktrealität und gegen somit Feedback an die Entscheidungsträger in Berlin und in Brüssel, wo die Märkte hier stehen, und wie das regulatorische Umfeld zu einer Marktentwicklung beiträgt oder wo es zum Beispiel noch Hürden gibt.
e-SAF e-SAF kommt von "Sustainable Aviation Fuel" und ist ein grünstrombasiertes strombasiertes Kerosin.
Nun war die erste Auktion war mit hohen Hürden mit hohen Anforderungen an den Begriff "Grün" verbunden. Wir haben die Auktion angefangen, da gab es ja noch keinerlei Standards in Europa oder Vorgaben im Europa, wie zum Beispiel "Grün" überhaupt definierten ist. Da sind wir jetzt mittlerweile zum Glück mit der Veröffentlichung der sogenannten delegierten Rechtsakte unter der Erneuerbaren-Energie-Richtlinie einen deutlichen Schritt weiter. Allerdings haben wir in der ersten Auktion auch offengelegt: hier wird ein sehr eurozentrischer Ansatz gefahren. Der ist im internationalen Kontext nicht immer leicht zu übertragen.
Was nehmen Sie für weitere Auktionen mit?
Wir haben einige "lessons learned". Zum Beispiel: Wie kann Europa attraktiver werden als Importstandort für grünen Wasserstoff? Wir müssen uns ja der Situation durchaus bewusst sein: Europa und Deutschland sind nicht, die alleinigen Regionen, die langfristig und mittelfristig Wasserstoff importieren möchten. Wir müssen uns auch als Importregion attraktiv und gut aufstellen, um auch langfristige und günstige Lieferketten international aufzubauen.
Inwiefern beeinflusst dieses Wissen weitere Auktionen?
Das Gelernte, wie Volumina zum Beispiel, das wird jetzt in den nächsten kommenden Aktionen ja schon aufgegriffen: Da werden wir deutlich mehr Mittel zur Verfügung haben und deutlich bessere Rahmenbedingungen liefern können. Wir sind hier sehr zuversichtlich, dass wir bei künftigen Auktion noch interessantere Preise generieren können.
Im Prinzip wurde die erste Auktion aus der Wirtschaft begrüßt. Aber es gab auch Kritik: zu wenig Geld im Einsatz und zu wenig Outcome und zu hohe Ansprüche an das Grün. Was halten Sie dem entgegen?
Das waren die Rahmenbedingungen für die erste Auktion dieser Art. Wir mussten das Instrument testen. Daher würde ich das nicht als Kritik sehen. Wir begrüßen, dass die Bundesregierung und andere Regierungen – zum Beispiel die holländische – jetzt H2Global deutlich mehr Mittel zur Verfügung stellen. Also ich glaube, das Thema haben wir ganz gut adressiert.
Eine weitere Diskussion entspann sich daran, dass in der ersten Auktion auf Import aus dem globalen Süden gesetzt wurde, eine Vorgabe, wenn ich mich recht erinnere.
Die Diskussion über eine Produktion innerhalb Deutschlands oder Europas oder außerhalb ist für uns eine relativ akademische. Das Instrument H2Global selbst ist da agnostisch; es kann genauso gut im europäischen oder im deutschen Kontext angewendet werden und funktionieren. Die Pilotauktion war ausschließlich für den Import bestimmt, das lag an der Herkunft der Mittelbereitstellung. Für die nächsten Auktionen werden wir auch innerhalb Europas ausschreiben.
Wenn wir uns die Importziele ansehen, wie zum Beispiel die Wasserstoff-Importstrategie der Bundesregierung oder der EU, so sehen wir, dass wir signifikante Volumina außerhalb Europas produzieren und importieren werden müssen. Die Volumina sind gigantisch, und wir müssen alle Kraftanstrengungen jetzt auf den Weg bringen, sowohl in Deutschland, in Europa als auch außerhalb Europas, um die Wasserstoffwirtschaft anzukurbeln um später einen Mix aus regionaler, lokaler und internationaler Produktion zu haben.
Sie kennen den Wasserstoffmarkt – nicht nur den deutschen, sondern auch den europäischen. Wo steht Deutschland als Verbraucher – müssen wir uns mehr anstrengen, um mehr Wasserstoff zu sichern?
Rückblickend betrachtet war Europa Vorreiter was die Thematik Wasserstoff betrifft. Vor zwei drei Jahren wurde es durch den "Inflation Reduction Act" auf einmal links überholt von den Amerikanern, auch wenn da in den letzten Monaten Ernüchterung Einkehr gehalten hat. Die Bewegung ging also von Europa Richtung USA.
Im Moment sehen wir eine hohe Dynamik in anderen Regionen, zum Beispiel Südkorea und Japan. Ich war vor kurzem in Japan und habe gesehen, mit welcher Flexibilität und signifikanten Volumina Japan jetzt versucht, als Importnation für Wasserstoff den Import nach Japan anzukurbeln. Wir sehen also eine Bewegung in Richtung Asien.
Wer sind die Konkurrenten um Wasserstoff? Ws machen die anders?
Am Ende des Tages stehen wir in internationaler Konkurrenz: Wo werden die Australier, wo werden die Inder, wo werden die Südamerikaner, wo werden die Afrikaner den nächsten Wasserstoff hin exportieren? Da müssen wir als Europäer aufpassen. Wir müssen uns einfach dessen bewusst sein, dass wir hier in einem internationalen Kontext agieren.
Und wir müssen attraktiv sein. Das wird immer ein spannender oder ein schwieriger Grad werden zwischen den Anforderungskriterien, die angelegt werden und den Volumina, die wir am Ende des Tages beschaffen müssen. Ziel muss sein, hier den richtigen Mix zu finden zwischen Nachhaltigkeitsanforderungen, der Sicherstellung der lokalen Energietransformation in den Lieferländern und den Interessen Europas. Alle Aspekte müssen gleich berücksichtigt werden, ansonsten wird es hier zu keinem Erfolg kommen. Aber wir dürfen uns nicht in dem Irrglauben befinden, dass Europa, das Deutschland hier weltweit der einzige attraktive Abnehmer für Wasserstoff ist. Es gib ganz viele andere Player im Markt. Da müssen wir uns gut behaupten.
Wo steht Deutschland als Wasserstofferzeuger? Welche Weichenstellungen sind aus Ihrer Sicht noch nötig?
Deutschland muss sich der Diskussion stellen, macht es Sinn, hier großvolumig Wasserstoff zu produzieren? Oder geht man da direkt auf die Elektrifizierung, also nicht Moleküle, sondern Elektronen? Deutschland ist natürlich auch begrenzt in den Möglichkeiten, was den Ausbau der erneuerbaren Energien betrifft. Da haben wir in anderen Regionen auch bessere Voraussetzungen innerhalb Europas, auch in angrenzenden Regionen an Europa.
Ich glaube dennoch, dass wir auch in Deutschland Anreize setzen müssen und sollten. Wir müssen Kraftanstrengungen unternehmen, um in Deutschland auch die Technologie, die wir in Deutschland und Europa entwickeln, zum Einsatz zu bringen. Auch, um unsere technologische Vorreiterschaft nicht zu verlieren. Am Ende muss es das Ziel sein, einen optimierten Energiemix aus lokaler, europäischer und internationaler Wasserstoffproduktion zu erreichen welcher die Grundlage für einen resilienten Markt schafft und Wasserstoff kostengünstig als Beitrag zur Energietransformation bereit stellt.
Was ist Ihr nächstes Projekt?
Zum einen geht die nächste Auktionsrunde in die Vorbereitung. Dreieinhalb Milliarden sind bereitgestellt worden von der Bundesregierung, 300 Millionen von der niederländischen Regierung – also hier auch erstmals eine gemeinsame Kooperation europäischer Mitgliedstaaten, die hier gemeinsame Mittel bereitstellen für den Import von grünem Wasserstoff und auch Produktion innerhalb von Europas. In der nächsten Auktion werden wir auch noch mal andere Produkte mit ansprechen, vielleicht direkt reinen grünen Wasserstoff, bis jetzt waren es nur Derivate.
Dann bereiten wir erstmals sogenannte gemeinsame Förderfenster zwischen exportierenden Ländern und importierenden Ländern ganz konkreten Vereinbarungen zwischen der deutschen Bundesregierung und Kanada vor. Das heißt, hier würden sich die Regierungen der exportierenden Nation und der importierenden Nationen diese Differenzkosten, die wahrscheinlich auftreten, teilen. Das wäre einmalig, dass wirklich Regierungen kontinental übergreifend auf ein gemeinsames Instrument zurückgreifen, um die Ressourcen zu bündeln. Das sind die spannenden Themen, mit denen wir uns in den nächsten Wochen und Monaten intensiv auseinandersetzen werden.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN – Das Sachsenradio | 29. August 2024 | 15:30 Uhr