Im "Wasserstoffdorf" im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen sind an den Wasserstoffleitungen auf Hinweisschildern der Begriff "Wasserstoff" aufgeklebt.
Deutschland braucht grünen Wasserstoff – voraussichtlich deutlich mehr, als hier hergestellt werden kann. Die Hintco ist ein Instrument, um das Beschaffungsproblem zu lösen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Waltraud Grubitzsch

Start-up Hintco Leipzig auf dem Weg zum Wasserstoff-Handelsplatz

10. Juni 2023, 05:00 Uhr

Die Firma Hintco hat in den vergangenen Monaten für viel Interesse gesorgt, denn sie will einen Markt schaffen, den es so noch nicht gibt: Das Start-up will auf der einen Seite potenzielle Wasserstoffproduzenten zur tatsächlichen Produktion anregen und auf der anderen Seite hierzulande einen Abnehmermarkt etablieren. Es wird mutmaßlich teuer einkaufen und hier preiswerter verkaufen. Die Verluste übernimmt im Prinzip der Bund. Ziel ist ein sogenannter Markthochlauf.

Das König-Albert-Haus in Leipzig ist eine gute Adresse. Direkt am Markt stehen um die Front des 1913 erbauten Geschäftshauses herum viele – eigentlich immer voll besetzte Tische. Kaum einer der Gäste ahnt, dass ein, zwei Etagen über ihren Köpfen Geschichte geschrieben werden soll. Hier soll eines der wichtigsten Henne-Ei-Probleme der Energiewende gelöst werden: Wer produziert grünen Wasserstoff, wer kauft und was kostet das?

Denn sowohl hinter möglichen Produzenten grünen Wasserstoffs und damit Verkäufern als auch hinter den Verbrauchern, gemeinhin also Käufern, steht derzeit mehr als ein großes Fragezeichen. Es gibt zwar Unternehmen, die Bereitschaft signalisiert haben, aber die brauchen Verbindlichkeiten, bevor sie produzieren. Und hier gibt es im Zuge der Energiewende Bedarf, aber niemand weiß, wer wie viel beispielsweise bezahlen würde, um diesen Bedarf zu decken.  

Hintco wird wahrscheinlich teurer ein- als verkaufen

Das will die Hintco mit Sitz am Markt 9 in Leipzig ändern – auch wenn derzeit noch vor allem in Hamburg gearbeitet wird – dort sitzt die "Mutter" des Start-ups, die Stiftung H2Global. Die Hintco soll grünen Wasserstoff nach Deutschland holen, den weltweit ersten Wasserstoffhändler für grünen Wasserstoff schaffen. "Wir bauen hier den ersten Wasserstoff-Händler auf, um das Henne-Ei-Problem zu überbrücken, was wir gerade haben", sagt Hintco-Chef Timo Bollerhey. Denn so einen Handelsplatz gibt es derzeit nicht. Das Geschäft der Hintco ist es also, den Markthochlauf zu stemmen, einen Markt in Gang zu bringen sowie Anbieter und Nachfrager zusammenzubringen.

"Angebotsseitig gibt es so viele Absichtserklärungen zu produzieren, allerdings keine de facto Umsetzung", erläutert Bollerhey. Keiner sei im Moment bereit, die Kosten für die Produktion des grünen Wasserstoffs zu stemme so lange keine Abnehmesicherheit bestehe. "Auf der Nachfrageseite gibt es keine Nachfrage, eben weil der Preis so hoch ist und auch die Rahmenbedingungen CO2-Bepreisung, regulatorische Rahmenbedingungen, Quoten et cetera noch nicht ausreichend sind."

Wasserstoff: Grau, grün, blau oder türkis

Grüner Wasserstoff wird durch Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt. Dabei wird Wasser mit Hilfe von Strom in Wasser- und Sauerstoff aufgespalten. Bei diesem Verfahren entstehen keinerlei Klima-Emissionen in Form von CO2. Im Idealfall fallen keine Treibhausgas-Emissionen an.  

Grauer Wasserstoff wird aus fossilen Brennstoffen gewonnen. Dabei wird entweder Strom aus Kohlekraft verwendet oder direkt Erdgas unter Hitze in Wasserstoff und CO2 aufgespalten. Wird so eine Tonne Wasserstoff produziert, entstehen zudem zehn Tonnen CO2.  

Blauer Wasserstoff ist im Prinzip grauer, denn er wird mit Hilfe von fossilen Brennstoffen erzeugt. Der Unterschied: Das bei der Wasserstoff-Erzeugung frei werdende Kohlendioxid wird abgeschieden und gespeichert (CCS, Carbon Capture and Storage). Es wird nicht in die Atmosphäre entlassen.  

Türkiser Wasserstoff wird mit der Spaltung von Methan in Wasser- und Kohlenstoff hergestellt. Der Kohlenstoff ist hier fest und nicht gasförmig wie beim CO2. Die Spaltung wird thermisch erzeugt, das Verfahren benötigt einen Hochtemperatur-Reaktor. Damit es klimaneutral ist, muss die Energie dafür auch aus erneuerbarem Strom kommen.  

Hintco puffert Risiken der Unternehmen ab

Regulatorische Rahmenbedingungen, das klingt kompliziert – und das sind sie auch. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm erläutert warum. Noch immer schwebe im Raum, was konkret grüner Wasserstoff sei, stünden die Unternehmen vor folgenden Fragen: "Ist das jetzt grüner Wasserstoff, was man da einkauft und was genau ist grüner Wasserstoff? Das muss festgelegt werden, was als Grün gilt oder ob es auch reicht, einen Wasserstoff einzukaufen mit einem niedrigen CO2-Fußabdruck." An dieser Frage werde noch gearbeitet. "Und da kann die Hintco jetzt darüber, dass sie den Wasserstoff einkauft, tatsächlich auch zunächst mal diese Unsicherheit, die mit Blick auf die Zertifizierung jetzt doch herrscht, nehmen."   

Produktionsanforderungen des Bundeswirtschaftsministeriums für die erste Förderung:

Das Bundeswirtschaftsministerium hat Bedingungen definiert, unter denen der durch Hintco gehandelte Wasserstoff erstellt werden soll:

  • Beachtung der EU-Richtlinie für Erneuerbare Energie
  • Nutzung erneuerbaren Stroms
  • Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung sowohl der Produktionsstandorte als auch der -kette
  • Ausschluss von Zwangsumsiedlungen und illegaler Umsiedlungen
  • guter Erhaltungszustand hinsichtlich der Biodiversität und der natürlichen Kohlenstoffspeicherung
  • Keine Projektflächen entlang von Schutzgebieten, an oder in Regenwäldern oder mit bedeutenden Kulturstätten, nachhaltiger Wasserbezug

Die Hintco muss man sich hier als Scharnier vorstellen, als Zwischenglied. Das Start-up agiert in zwei Richtungen: Es kauft Wasserstoff oder Wasserstoffderivate wie Ammoniak in einem Auktionsprozess ein und verkauft alles an Abnehmer in Europa. Sie kauft unter Umständen teuer ein und verkauft preiswerter, das Verlustgeschäft ist zunächst Konzept. Und die Hintco puffert das Risiko, dass der für die Auktionen produzierte Wasserstoff unter Umständen zukünftigen regulatorischen Anforderungen nicht entspricht, sollten sich diese zum Beispiel durch Neuregelungen in der EU ändern 

Seitliches Schwarzweiß-Porträt von Mann mit hellen Locken, Bart, runder Brille und schwarzem Polo-Hemd, Hintergrund Architektur von Empfangshalle unscharf, gelber Schmuckrand, Text auf Bild: Wird mit Wasserstoff alles gut? 3 min
Bildrechte: MDR WISSEN

"Wo liegt eigentlich der Marktpreis für grünen Wasserstoff?"

Und während sie den Anbietern langfristige Perspektiven bietet, werden die Nutzer relativ kurze Verträge eingehen: "Das heißt, wir bieten langfristige Abnahmeverträge auf der Einkaufsseite – das bietet die Grundlage für die Investitionssicherheit. Verkaufsseitig verkaufen wir jährlich", erläutert Bollerhey. So könne die Hintco an höheren Preisen zu partizipieren, die der Markt in Zukunft möglicherweise bereit sei, für ein "grünes" Energieprodukt zu zahlen. Damit sinke auch der Zuschuss, den der Bund leiste, "was H2Global zu einem sehr effizienten Modell macht" Ein weiterer Vorteil: Es entstehen "Preissignale, die es nicht gibt. Keiner weiß, wo liegt eigentlich der Marktpreis auf der Abnehmerseite für grünen Wasserstoff? Wo liegt eigentlich der Produktionspreis für grünen Wasserstoff? Das sind die Preissignale, die wir jetzt mit der Hintco erstmalig weltweit transparent gerieren werden."   

Für das Minus in den Büchern der Hintco kommt Deutschland auf – der Bund fördert den Einkauf von Wasserstoff mit vielen Millionen. Das Bundeswirtschaftsministerium stellt zunächst 900 Millionen Euro für die ersten Auktionen zur Verfügung. Weitere bis zu 3,5 Milliarden Euro sollen folgen – das Bundesverkehrsministerium will 1,4 Milliarden Euro einsetzen, um die Ausgaben zu finanzieren, "die durch die Beschaffung und den Verkauf von grünem Wasserstoff bzw. dessen Derivaten anfallen", wie es im noch vom damaligen Staatssekretär Patrick Graichen unterzeichneten Zuwendungsbescheid heißt. Darin ist übrigens auch festgelegt, dass sie bei Gewinnen Fördermittel zurückzahlt.

EU-Regeln für grünen Wasserstoff bremsen Herstellung aus

Der Bund stellt also Milliarden für das neue Instrument zur Verfügung. Aus Sicht der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm könnte es auch noch mehr Geld sein: "Aus der Perspektive, dass etwas passieren muss, sind das überhaupt keine hohen Summen", sagt Grimm, die das Thema auch als Wirtschaftswissenschaftlerin der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen und Vorständin vom Wasserstoffzentrum Bayern kennt. Sie bezieht sich dabei auf die gegenwärtige Wasserstoffproduktion in Deutschland und in Europa. Derzeit ist es "vielleicht sogar fast einfacher, Import auszulösen, als in Europa aktuell Elektrolyseanlagen zu bauen".  

 

Grund sind Grimm zufolge strenge EU-Regeln für grünen Wasserstoff. Die machen die Produktion in Europa kompliziert: "Einerseits diese Anforderungen zu erfüllen. Und auf der anderen Seite ist es dann natürlich nicht ganz so profitabel, diese Anlage hinzustellen, wenn man sehr vielen zusätzlichen Restriktionen unterliegt. Also hier wäre es besser, wirklich eine Regulierung zu haben, die einfach dafür sorgt, dass Wasserstoff produziert wird und es attraktiv wird, Wasserstoff in Deutschland zu produzieren". Die Anlagen brauche man ohnehin und je mehr Vorgaben gemacht würden, desto mehr Förderung sei später notwendig.   

Erstes Bieterverfahren angeschoben

Derzeit läuft das erste Bieterverfahren. Jetzt kristallisiert sich heraus, woher die Wasserstoffproduzenten kommen, die mitbieten können und dürfen, wer bereit ist, die damit verbundenen Kriterien bei der Produktion von grünem Wasserstoff zu erfüllen. Die wenigsten der Bieter dürften aus Europa stammen. Die in Europa relativ hohen Strompreise seien der Grund, "warum nicht zu erwarten ist, dass wir in Deutschland oder Europa in großen Mengen Wasserstoff herstellen werden, zumindest nicht in so großen Mengen”, meint Grimm.   

Und was hat Sachsen damit zu tun?

Martin Dulig (Wirtschaftsminister Sachsen), Timo Bollerhey (Hint.co), Markus H. Michalow (BBS) Oliver Fern ( LBBW).
Am 12. Mai 2023 nach Unterzeichnung für Fördermittelverträge mit Förderung des Freistaates Sachsen. Bildrechte: MDR/Anja Neubert

Die Hoffnungen, die mit der Börse verbunden sind, sind groß – die Ziele der Energiewende sind es auch. Inzwischen hat das H2Global-Modell noch mehr an Bedeutung gewonnen, haben die Bundesregierung und die EU-Kommission H2Global zum europäischen Wasserstoff-Projekt gemacht: Künftig werden die Europäische Wasserstoffbank (European Hydrogen Bank – EHB) und H2Global und damit der Hintco zusammenarbeiten. Praktisch wird H2Global damit zu einem EU-weiten Player: Gemeinsam mit der Bank soll sie Ausschreibungen erarbeiten, an der sich alle EU-Mitglieder beteiligen können.

Und was hat der Freistaat Sachsen nun mit all dem zu tun? Erst im Mai haben die Bundesrepublik und Sachsen millionenschwere Rückbürgschaften gewährt und damit die weitere Tätigkeit abgesichert, den "strukturellen Ausbau", wie das sächsische Wirtschaftsministerium mitteilt. Dass die Hintco in Leipzig sitzt, darauf ist Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) sehr stolz. Bei der öffentlichkeitswirksamen Unterzeichnung der entsprechenden Verträge sprach er von einem persönlichen Erfolg, das Unternehmen nach Leipzig geholt zu haben und davon, dass die Hintco und die Energiebörse EEX Leipzig zum Zentrum des europäischen Energiehandels machen werden – der Energieträger von heute und von morgen. 

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 06. Juni 2023 | 06:00 Uhr

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