DDR-Kunst, Finanzen, Raubkunst Wie geht es unseren Kunstmuseen?
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18. August 2024, 05:00 Uhr
Kunstmuseen sind gesellschaftlich relevante Orte, die von aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen wie klammen öffentlichen Kassen oder postkolonialer Aufarbeitung betroffen sind. MDR KULTUR hat in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen die mittelgroßen und großen Kunstmuseen mit eigener Sammlung befragt, wie es ihnen geht – darunter das Museum der bildenden Künste Leipzig, die Moritzburg in Halle und das Lindenau-Museum Altenburg. Auch potentielle Museums-Besucher kamen zu Wort. Die wichtigsten Antworten im Überblick.
- Besuchern und Museen ist es wichtig, dass die Kunst aus DDR-Zeiten in Museen zu sehen ist.
- Weitere Fragen drehen sich unter anderem um kostenlosen Museumseintritt, Kunstwerke mit unklarer Herkunftsgeschichte, die Vermittlung von Kunst für Kinder oder das digitale Museum.
- Der größte Widerspruch zwischen Publikum und Museumsmachern herrscht bei der Fragen, ob es wichtig ist, in einer Ausstellung wirklich Originale zu zeigen.
Wo stehen die Kunstmuseen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen im Jahr 2024 – nach der Corona-Pandemie und in Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs? Das wollte MDR KULTUR in Zusammenarbeit mit MDRfragt, dem Meinungsbarometer für Mitteldeutschland, von den Direktorinnen und Direktoren der Häuser wissen. Im Fokus standen dabei mittlere und große Kunst- und Kulturmuseen, die eine eigene Kunstsammlung besitzen. Davon gibt es 34 in Mitteldeutschland – 26 haben an der Befragung teilgenommen.
19.000 Menschen haben mitgemacht
Wir wollten außerdem wissen, was das potentielle Publikum der Museen zu sagen hat. Mehr als 19.000 Menschen haben beantwortet, was sie ins Museum lockt, ob sie öfter gehen würden, wenn der Eintritt frei wäre und wie wichtig ihnen DDR-Kunst ist.
Die Antworten der Museen und der Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ergeben ein breites Bild, wie es der Museumslandschaft im Sommer 2024 geht. In einigen Kunstmuseen waren unsere drei Reporterinnen noch einmal vor Ort, um in die Tiefe zu gehen. Sie recherchierten unter anderem im Leonhardi-Museum Dresden und im Museum der bildenden Künste Leipzig, im Lindenau-Museum Altenburg und auf der Thüringer Heidecksburg in Rudolstadt, auf dem Schloss in Wernigerode und in der Moritzburg in Halle, um mit den Museumsmachern ins Gespräch zu kommen.
Im Folgenden sind die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst. Sie finden weiterführende Artikel und alle Radio-Reportagen, in denen die Inhalte vertiefend behandelt werden.
DDR-Kunst hat hohen Stellenwert
Wie umgehen mit Kunst aus der DDR? Diese Debatte wird seit Jahren geführt – vornehmlich von und in ostdeutschen Museen. Bei einer Podiumsdiskussion von MDR KULTUR beklagte der Direktor des Kunstmuseums Moritzburg in Halle, Thomas Bauer-Friedrich, ein fehlendes Interesse westdeutscher Museen an Ostkunst.
Das Thema bewegt offenbar auch die meisten potentiellen Museumsbesucher. Dreiviertel der Befragten legen Wert darauf, dass DDR-Kunstwerke und Artefakte aus dieser Zeit in den Museen ausgestellt werden. Dabei gehen die Meinungen der Experten weit auseinander, welche DDR-Kunst tatsächlich in Ausstellungen gewürdigt werden soll.
MDR KULTUR hat die Museen auch gefragt, welche Rolle Kunst aus DDR-Zeiten in ihren Häusern spielt. Eine deutliche Mehrheit (77 Prozent) messen ihr eine wichtige Rolle zu. Ebenso die Art und Weise, wie gesellschaftlich über das Thema diskutiert wird, finden die Museumsmacher produktiv.
Eintritt kostenlos?
Seit Beginn des Jahres ist in Leipzig der Eintritt in die Dauerausstellungen der fünf städtischen Museen frei. Die meisten befragten mitteldeutschen Kunstmuseen (65 Prozent) befürworten diesen Ansatz. Aber nur 31 Prozent bieten das auch selbst an.
Eine Mehrheit (58 Prozent) der MDRfragt-Teilnehmer würde nach eigenen Angaben öfter ins Museum gehen, wenn der Eintritt kostenfrei wäre. Für 39 Prozent der Befragten ist das hingegen nicht der Fall.
Doch das Konzept ist kein Allheilmittel. So sagte die Kuratorin der Chemnitzer Textil- und Kunstgewerbesammlung, Anika Reineke, im Gespräch mit MDR KULTUR: Eintrittsfreie Tag holen keine Menschen ins Haus, die ohnehin generell nicht ins Museum kommen. Einige Museen haben außerdem Bedenken bezüglich der Finanzierung.
NS-Raubkunst und koloniales Erbe
Immer wieder flammen die Debatten auf: Woher stammen die Kunstwerke im Museum? Sind sie wirklich rechtmäßig erworben worden? Die Auseinandersetzung um die sogenannte Raub- und Kolonialkunst beschäftigt auch die Kunstmuseen in Mitteldeutschland. Dabei ist das Erforschen der eigenen Bestände eine enorme Herausforderung – denn Provenienzforschung ist teuer und zeitintensiv.
Mehr als zwei Drittel (68 Prozent) der von MDRfragt befragten potentiellen Museumsbesucher halten diese Forschung durchaus für wichtig. Mehr als ein Viertel (27 Prozent) teilt diese Ansicht jedoch nicht.
Museum für Kinder
Die nächste Generation an das Museum heranführen ist mit Blick auf die digitale Konkurrenz keine leichte Aufgabe. Doch fast alle Kunstmuseen (92 Prozent) haben bei der Befragung angegeben, spezielle Angebote für Kinder im Programm zu haben. Aus dem modernen Museumsbetrieb sind Angebote für junge Menschen kaum wegzudenken – und das nicht nur, weil sie das Publikum von morgen sind.
Digitales Museum
Museen sind Orte, in denen Kunst live und in echt erlebbar wird. Sie leben vom Moment und durch den Besuch vor Ort. Trotzdem müssen sich die Häuser digital aufstellen, ob bei der Öffentlichkeitsarbeit oder dem Digitalisieren von Kunstwerken. Wie gut sind sie dafür gerüstet? Die befragten Kunstmuseen sind bezüglich der finanziellen Ausstattung, die sie für die digitale Arbeit benötigen, gespalten: Nur gut die Hälfte (54 Prozent) gibt an, dafür gut genug mit Geld ausgestattet zu sein.
Dabei sind die Kunstmuseen offenbar sehr umtriebig, vor allem in Bezug auf Präsenz in Sozialen Medien. Die allermeisten (88 Prozent) sind dort aktiv, vor allem um für Ausstellungen oder das Haus an sich zu werben, aber auch um neue Zielgruppen zu erschließen und die Hintergründe der Museumsarbeit zu erklären.
Original – wichtig oder egal?
Wie schreitet die Sixtinische Madonna? Wie sehen die bedeutendsten Bilder der Leipziger Schule aus? Antworten auf diese Fragen sind nur einen Klick entfernt. Das Netz zeigt einem nahezu jedes Kunstwerk in Sekundenschnelle. Was bietet der Museumsbesuch für einen Mehrwert – und wie muss dieser heutzutage vielleicht besonders inszeniert werden?
Da gehen die Meinungen zwischen potentiellen Besuchern und Museumsmachern auseinander. Nur vier Prozent der Kunstmuseen glauben, dass das Original unwichtiger wird.
Was Museumsarbeit ausmacht
Nicht zuletzt ging es um die Frage, ob Museen in Zukunft eher Erlebnisräume für breite Bevölkerungsschichten sein sollen oder auch noch Orte der Bildung, der Forschung und der Erhaltung des kulturellen Erbes. Der Erhalt kulturellen Erbes ist eigentlich die Kernaufgabe eines jeden Museums. Aber das ist herausfordernd, selten sichtbar und mit vielfältigen Herausforderungen verbunden, gerade in Zeiten knapper Kassen.
Die potentiellen Besucher geben an, dass sie vor allem von Events (51 Prozent) und berühmten Kunstwerken (50 Prozent) ins Museum gelockt werden. Etwas weniger Anziehungskraft besitzen hingegen regionale Kunstwerke und Künstler (33 Prozent).
Im Gegensatz dazu, ist es für die befragten Kunstmuseen eher unwichtig, begleitende Veranstaltungen mit Eventcharakter zu veranstalten (vier Prozent). Sie wollen vor allem Ausstellungen für breite Bevölkerungsschichten gestalten (73 Prozent), Kultur an die jüngere Generation vermitteln (65 Prozent) und das kulturelle Erbe erhalten (62 Prozent).
Hinweise zur Museumsbefragung 2024
MDR KULTUR hat in Zusammenarbeit mit MDRfragt, dem Meinungsbarometer für Mitteldeutschland, die 34 mittelgroßen und großen Kunst- und Kulturmuseen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die eine eigene Kunstsammlung besitzen, befragt. 26 von ihnen haben an der Befragung teilgenommen. Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben.
Die Umfrage unter der MDRfragt-Community fand vom 5. bis 12. Juli 2024 statt.
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.
Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 19.056 Menschen online mit ihrer Meinung eingebracht.
Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.
MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie unter dieser Erklärungsbox.
Quelle: MDR KULTUR (Andreas Höll, Ben Hänchen), MDRfragt
Redaktionelle Bearbeitung: bh, in
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 30. Juli 2024 | 07:30 Uhr