Besucher betrachten am Samstag (2006) in Suhl das Gemälde "Landsauna" des Malers Willi Sitte. 4 min
Für seine prallen Körperbilder war der Maler Willi Sitte zu DDR-Zeiten bekannt. Bildrechte: picture-alliance/ ZB | Martin Schutt
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In der MDR-Umfrage gaben 77 Prozent der Museen an, dass Kunstwerke und Artefakte aus DDR-Zeiten für sie eine wichtige Rolle spielen. Auch die Debatten darüber gelten ihnen als produktiv. Ulrike Thielmann hakte nach.

MDR KULTUR - Das Radio Mi 31.07.2024 11:42Uhr 03:57 min

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Museumsbefragung Mehrheit will Kunst aus der DDR weiterhin im Museum sehen

02. August 2024, 03:00 Uhr

Wie umgehen mit Kunst aus der DDR? Das wollte MDR KULTUR von Kunstmuseen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wissen. Um ihre Meinung gebeten wurden auch Museumsgänger in Zusammenarbeit mit MDRfragt, dem Meinungsbarometer für Mitteldeutschland. Demnach findet die Mehrheit der Befragten, dass Kunst aus der DDR weiter in Ausstellungen zu sehen sein müsse. Die strittige Frage unter Museumsleuten ist nur: Welche Kunstwerke zeigt man, welche nicht?

  • Kunst aus der DDR gehört in aktuelle Ausstellungen, findet in einer MDR-Umfrage die Mehrheit der potenziellen Besucher.
  • Indessen sind Museumleute und Kuratoren uneins, welche DDR-Kunst Jahrzehnte nach der Wende in den Fokus sollte.
  • Die meisten finden DDR-Kunst-Debatten produktiv, auch wenn sie heftig geführt wurden – wie zuletzt im "Dresdner Bilderstreit".

Das Interesse an Kunst aus der DDR ist ungebrochen, wenngleich der Umgang damit weiter umstritten ist. Das geht aus einer Umfrage von MDR KULTUR in Zusammenarbeit mit MDRfragt, dem Meinungsbarometer für Mitteldeutschland, hervor, an der sich neben rund 30 Museen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen auch 19.000 Nutzerinnen und Nutzer beteiligten.

Interesse für Kunst aus der DDR ungebrochen

Demnach wünschen sich drei Viertel der befragten potenziellen Museumsbesucherinnen und -besucher, dass auch weiterhin Kunstwerke aus der DDR in Ausstellungen zu sehen sind. Und ähnlich viele der befragten Museen – 77 Prozent – erklärten, dass Kunstwerke aus DDR-Zeiten für sie weiterhin eine wichtige Rolle spielten. Dabei gehen die Meinungen der Experten weit auseinander, welche DDR-Kunst tatsächlich in Ausstellungen gewürdigt werden soll.

Grafik - Museumsbefragung 2024 - Besucher zu DDR-Kunst
Drei Viertel der Museumsbesucherinnen und -besucher wollen weiter Kunst aus der DDR in Ausstellungen sehen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Plädoyer für unterdrückte Künstlerinnen der DDR

So plädierte Bernd Heise als Leiter des Leonhardi-Museums in Dresden bei MDR KULTUR dafür, Künstlerinnen und Künstler bekannter zu machen, "die zu Ost-Zeiten aus kulturpolitischen Gründen nie richtig zum Zuge kamen". Dem Leonhardi-Museum sei dies beispielsweise mit Egon Pukall oder Elisabeth Ahnert gelungen. Es sei "langweilig, dass die alten Garden, die sowieso immer da waren und Erfolg hatten, immer noch die Museen verstopfen". Dabei gebe es noch so viel zu entdecken.

Ähnlich sieht es Annegret Laabs als Direktorin des Kunstmuseums Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburg. Mit Blick auf die Debatten um Kunst aus der DDR, die mehr als 80 Prozent der Museumsmacherinnen und -macher produktiv finden, gibt es aus Laabs' Sicht weiteren Nachholbedarf. Die Rolle von DDR-Künstlerinnen sei "total unterbelichtet". Laabs erklärte bei MDR KULTUR: "Staatskunst und DDR-Frauen, Künstlerinnen, das passt ganz schlecht zusammen, das würde ich der mitteldeutschen Szene mal zum Nachdenken mitgeben."

Museumsbefragung 2024 - Museen zu DDR-Kunst Bedeutung+Debatte
Der Mehrheit der befragten Museen ist es wichtig, Kunst aus der DDR zu zeigen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Bauer-Friedrich: Auch problematische Kunstwerke zeigen

Thomas Bauer-Friedrich vom Kunstmuseum Moritzburg in Halle zeigte 2021 indessen eine große Willi-Sitte-Schau. Zum 100. Geburtstag des Malers, der zu DDR-Zeiten auch einflussreich war als Präsident des DDR-Verbands Bildender Künstler (VBK) und Direktor der Sektion Bildende und Angewandte Kunst der Hochschule für Industrielle Formgestaltung in Halle. Zu Sittes ambivalentem Leben und Schaffen als Künstler und Funktionär sowie zu ostdeutscher Kunst richtete die Moritzburg zum Jubiläum zudem eine Tagung aus.

Ostdeutsche Kunst ist nichts Schlimmes, tut nicht weh und soll und darf auch zum Streit herausfordern, wichtig ist aber: Sie ist Teil unserer ostdeutschen Identität, und deswegen muss sie sichtbar sein.

Thomas Bauer-Friedrich, Leiter Kunstmuseum Moritzburg Halle

Aus Sicht von Bauer-Friedrich gehören auch die Werke von heute umstrittenen Künstlern wie Sitte zum "kulturellen Bildgedächtnis": "Was spricht dagegen, sie dann auch zu zeigen?" DDR-Kunst sei Teil der ostdeutschen Identität und "nichts Schlimmes", erklärte der Museumsleiter im Gespräch bei MDR KULTUR. Deswegen habe die Moritzburg 2018 auch einen Teil der Dauerausstellung dazu eingerichtet: "Selbst Werke, die problematisch sind, müssen gezeigt werden, um eben auch das Problematische erfahrbar zu machen", findet Bauer-Friedrich.

Thomas Bauer-Friedrich, Leiter des Kunstmuseums Moritzburg in Halle, geb. 1976
Thomas Bauer-Friedrich ist Leiter des Kunstmuseums Moritzburg in Halle, wo neben klassischer Moderne auch Kunst aus der DDR Teil der Dauerausstellung ist. Bildrechte: MDR/Karsten Möbius

"Kollektiver Gedächtnisverlust" in Bezug auf Kunst aus der DDR

Diese Meinung teilt Rudolf Hiller von Gaertringen, Leiter der Kustodie der Universität Leipzig. Eine DDR-Kunst-Debatte erlebte er aus nächster Nähe, sie rankte sich um das Marx-Relief, das einst am Seminargebäude der Universität mitten in der Stadt prangte. Jahrelang gab es Streit um die Entfernung und Wiederaufstellung, die 2008 schließlich abseits auf dem Campus der ehemaligen Deutschen Hochschule für Körperkultur erfolgte.

Das 14,4 x 6 x 3 Meter große Karl Marx Relief, aufgenommen am 05.11.2013 auf dem Areal der Universität in Leipzig
Das Karl-Marx-Bronzerelief von Frank Ruddigkeit, Klaus Schwabe und Rolf Kuhrt wurde vom Seminargebäude der Uni Leipzig entfernt. Bildrechte: picture alliance / ZB | Arno Burgi

Für von Gaertringen eine vertane Chance, das Relief als "Reibungspunkt" zu nutzen, um ideologische Verstrickungen offenlegen zu können: "Ich erlebe in vielen Bereichen so einen kollektiven Gedächtnisverlust, wo sich niemand mehr daran erinnern will, was die eigenen Haltungen oder die der betroffenen Künstler zu diesem Zeitpunkt eben waren", sagte er bei MDR KULTUR zu den Folgen. Gegen eine zentrale Aufstellung im Zentrum habe es massive Widerstände auch in der Stadtverwaltung gegeben.

Debatte um Kunst und Ost-Identität: "Dresdner Bilderstreit"

Kunst aus der DDR nur im Kontext und niemals pur auszustellen, ist schließlich die Position, die Hilke Wagner als Direktorin des Albertinums vertritt.

Dabei stand sie 2017 im Zentrum des "Dresdner Bilderstreits", ausgelöst durch einen Beitrag des Kunstwissenschaftlers Paul Kaiser in der "Sächsischen Zeitung", der monierte, die Dauerausstellung im Albertinum würde ständig umgeräumt und die ostdeutsche Kunst aus der Zeit zwischen 1945 und 1989 sukzessive ins Depot "entsorgt". Aufgebrachte Dresdner unterstellten der seit 2014 amtierenden Direktorin, 1972 in Hessen geboren, denn auch die kulturelle Ost-Vergangenheit bewusst zu ignorieren. Das Albertinum lud zur großen "Tafelrunde", um die Wogen im Bilderstreit zu glätten. 16 Experten und 600 Dresdnerinnen und Dresdner kamen.

Die Direktorin des Albertinum Dresden, Hilke Wagner
Die Direktorin des Albertinum Dresden, Hilke Wagner, erinnert sich gut an den Bilderstreit um die Präsenz von DDR-Kunst in der Ausstellung. Bildrechte: IMAGO / Matthias Rietschel

Rückblickend zeigt sich Wagner im Gespräch mit MDR KULTUR berührt davon, "dass Menschen hier bereit waren, für museale Inhalte tatsächlich zu kämpfen". Das sei etwas, wo sich das gute Erbe der DDR zeige, "dass es eine breite Bildung gab". Auch die Hassbriefschreiber habe sie angerufen: "Und das waren fast immer gute Gespräche." Jede persönliche Geschichte, häufig verbunden mit "Traumatisierungen", sei wichtig für sie gewesen. "Es ist etwas Anderes, wenn man das 1:1 erfährt."

Quelle: MDR KULTUR (Ulrike Thielmann, MDR-Museumsbefragung), Redaktionelle Bearbeitung: ks, vp

Hinweise zur Museumsbefragung 2024 MDR KULTUR hat in Zusammenarbeit mit MDRfragt, dem Meinungsbarometer für Mitteldeutschland, die 34 mittelgroßen und großen Kunst- und Kulturmuseen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die eine eigene Kunstsammlung besitzen, befragt. 26 von ihnen haben an der Befragung teilgenommen. Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben.

Die Umfrage unter der MDRfragt-Community fand vom 5. bis 12. Juli 2024 statt.

Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.

Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 19.056 Menschen online mit ihrer Meinung eingebracht.

Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.

MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie unter dieser Erklärungsbox.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 31. Juli 2024 | 07:40 Uhr

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