MDR KULTUR-Museumsbefragung Provenienz-Forschung: zu wenig Geld, zu wenig Personal – außer in Altenburg
Hauptinhalt
21. August 2024, 03:00 Uhr
Die Debatte um Kolonial- und Raubkunst flammt auch in mitteldeutschen Museen immer wieder auf. In einer Umfrage von MDR KULTUR und MDRfragt gaben gut zwei Drittel der teilnehmenden Häuser an, dass Provenienz-Forschung wichtig ist, aber nur für etwas mehr als die Hälfte spielt sie eine große Rolle. Denn sie ist teuer und zeitintensiv. Auch in großen Museen in Dresden, Leipzig oder Chemnitz fehlen Personal und Mittel – anders als im Lindenau-Museum in Altenburg. Wir haben nachgehakt in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt.
- Das Lindenau-Museum in Altenburg sieht sich beim Auftrag, die Herkunft seiner Kunst-Schätze zu erforschen, gut unterstützt.
- In der Museumsumfrage von MDR KULTUR gaben nur etwas mehr als die Hälfte der teilnehmenden Häuser in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt an, dass Provenienz-Forschung für sie eine große Rolle spielt.
- Im Fokus der Nachforschungen steht weiterhin jüdischer Besitz; die Moritzburg Halle nimmt vom DDR-Staat geraubte Kunst neu in den Blick.
Das Lindenau-Museum in Altenburg ist im Großumbau, Direktor Roland Krischke wähnt sich trotzdem im Glück. Denn sein Haus bekommt seit 2020 eine große Bundesförderung: Lindenau21PLUS. "Damit konnten wir auch im Bereich der Provenienz-Forschung loslegen", sagt Krischke.
Altenburg: Schub für Provenienz-Forschung durch Bundesförderung
Bis 2027 fließen jährlich bis zu zwei Millionen Euro nach Altenburg – auch in die Bereiche Digitalisierung und kulturelle Vermittlung. Derartig unterstützt kann Provenienz-Forschung gelingen, betont Krischke: "Wir erfahren viel über unsere Sammlungen, was wir bis dato nicht wussten und wenn ein Objekt nicht rechtmäßig in unserer Sammlung ist, restituieren wir."
So 2019 geschehen mit dem Gemälde "Polnischer Ulan auf Vorposten im Winterwald" des Schlachtenmalers Wojciech Kossak, das sich als NS-Raubkunst herausstellte.
2022 bekam das Lindenau-Museum wiederum rund 150 Exponate geschenkt, nachdem zuvor umfangreich die Herkunftsgeschichte der Sammlung des Künstlers Horst de Marées mit vor allem griechischen, römischen und etruskischen Artefakten geprüft wurde.
Die Sammlung antiker Keramiken hatte de Marées um 1930 in Italien zusammengetragen. Nach seiner Flucht 1960 aus der DDR ließ der Künstler seine Sammlung in seinem Wohnhaus in Wasungen zurück. Daraufhin wurde sie im Lindenau-Museums treuhänderisch verwahrt. Petra Paulokat-Helling, Tochter des Erben, schenkte die Sammlung schließlich dem Lindenau-Museum. "Wir hier in Altenburg empfinden Provenzienz-Forschung nicht als Bedrohung", stellt Roland Krischke fest.
Wir hier in Altenburg empfinden Provenienz-Forschung nicht als Bedrohung.
Personal-Mangel in Dresden und Leipzig: tausende Objekte, eine Mitarbeiterin
Im Dresdner Albertinum meint Direktorin Hilke Wagner, das Thema Provenienz-Forschung sei ein weites Feld. In ihrem Haus gebe es aber nur eine Mitarbeiterin dafür: "Ich kann nicht sagen, wie viele es insgesamt in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gibt, aber sie sind über die letzten Jahre immer mehr zusammengeschmolzen zu einem Häuflein. Dabei ist hier unglaublich viel zu leisten!" Es sei wichtig, dass zumindest die bestehenden Stellen erhalten blieben, betont Wagner.
Ähnlich äußert sich ihr Amtskollege Stefan Weppelmann, Direktor im Leipziger Museum der bildenden Künste. Auch dort gibt es für die Provenienz-Forschung eine festangestellte Mitarbeiterin, "aber natürlich ohne Ende was zu erforschen", sagt Weppelmann mit Blick auf die 90.000 Blätter der Grafischen Sammlung und die mehr als 3.000 Gemälde. "Man würde auch noch weitere Provenienz-Forscher und -Forscherinnen ohne Mühe beschäftigen können", stellt er fest.
Chemnitz: Provenienz-Forschung über Drittmittel
Die Kunstsammlungen Chemnitz haben gar keine festangestellte Mitarbeiterin für Provenienz-Forschung. Die Leiterin der Textil- und Kunstgewerbesammlung, Anika Reineke, erklärt, für ihre Sammlung stehe es noch aus, die Provenienzen der rund 37.000 Objekte zu klären. Doch in der Grafik-, der Malerei- und Plastiksammlung sei der Prozess schon abgeschlossen: "Es gibt spezialisierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und die versuchen wir temporär zu uns zu holen – finanziert über Drittmittel", erklärt sie das Vorgehen.
Neu im Fokus: Moritzburg Halle forscht nach DDR-Raubkunst
Auf die Frage, welche Provenienzen bei der Erforschung im Fokus stehen, wenn Geld und Fachkraft dann zur Verfügung sind, antwortet Hilke Wagner: "Bei uns betrifft das zum einen jüdischen Besitz und natürlich sind auch einige Werke, die dem Albertinum gehören, verschollen." Einige vermute man in Russland. "Das ist natürlich ein Nebeneffekt des Krieges, dass die vertrauensvolle Zusammenarbeit, die wir über Jahre zu den russischen Kollegen aufgebaut haben, jetzt abgebrochen ist."
Den Komplex der sogenannten Raub- und Kolonialkunst abgeschlossen zu haben, erleichtert Thomas Bauer-Friedrich von der Moritzburg in Halle, Landeskunstmuseum Sachsen-Anhalt, ungemein. Stattdessen stünden nun "die Zeit der Bodenreform nach 1946 und all' die Fälle, in denen Menschen die DDR verlassen haben" im Fokus: "Wir reden da über tausende, wenn man sich die ostdeutschen Sammlungen anschaut, über rund 10.000 Objekte." Um diese Aufgabe systematisch anzugehen, fehlten im Moment allerdings noch die Lobby und auch juristische Grundlagen.
Thomas Bauer-Friedrich verweist auf den jüngsten Fall, der ihn beschäftigt: ein Aquarell des Halleschen Malers Werner Rataiczyk, dass dieser in britischer Kriegsgefangenschaft 1947 in Ägypten gemalt hatte. Rataiczyk schenkte das Bild der Ärztin Charlotte Ottlitz, die 1973 nach West-Berlin floh. Das Aquarell verblieb in ihrer Wohnung in Halle-Kröllwitz, die Moritzburg kaufte es Bauer-Friedrich zufolge 1982 in gutem Glauben an. Inzwischen habe sich das Museum mit den Familien Ottlitz und Rataiczyk verständigt, dass das Blatt in der Moritzburg bleiben soll – auch als Dokument ostdeutscher Geschichte.
Quelle: MDR KULTUR, MDRfragt (MDR-Museumsbefragung); Redaktionelle Bearbeitung: ks
Hinweise zur Museumsbefragung 2024
MDR KULTUR hat in Zusammenarbeit mit MDRfragt, dem Meinungsbarometer für Mitteldeutschland, die 34 mittelgroßen und großen Kunst- und Kulturmuseen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die eine eigene Kunstsammlung besitzen, befragt. 26 von ihnen haben an der Befragung teilgenommen. Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben.
Die Umfrage unter der MDRfragt-Community fand vom 5. bis 12. Juli 2024 statt.
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.
Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 19.056 Menschen online mit ihrer Meinung eingebracht.
Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.
MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie unter dieser Erklärungsbox.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 21. August 2024 | 07:40 Uhr