Zweiter Weltkrieg "Sichelschnitt" - Der deutsche Westfeldzug 1940
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10. Mai 2022, 05:00 Uhr
Am 10. Mai 1940 beginnt der Westfeldzug der deutschen Wehrmacht. Ziel der Operation mit 3,3 Millionen Soldaten ist die "Zerschlagung Frankreichs" und die Niederwerfung Großbritanniens. Es wird - zumindest den ersten Teil betreffend - ein "Blitzsieg", mit dem selbst in Deutschland kaum jemand gerechnet hat. Grundlage des Erfolgs ist der später so bezeichnete "Sichelschnittplan".
Sie ist die bis dahin größte Offensive der Kriegsgeschichte. Am frühen Morgen des 10. Mai 1940 tritt die deutsche Wehrmacht zum Angriff auf Belgien, die Niederlande und Luxemburg an. Die drei neutralen Nachbarländer Deutschlands sind das Durchmarschgebiet für den Kampf gegen die damals weltgrößte Militärmacht Frankreich und die mit ihr verbündete britische Expeditionsarmee.
"Sitzkrieg" an der Westfront
Frankreich und Großbritannien hatten nach dem deutschen Überfall auf Polen am 3. September 1939 dem Deutschen Reich den Krieg erklärt. Seitdem herrscht an der deutschen Westfront ein komischer "Sitzkrieg", in dem kaum gekämpft wird. Während die Deutschen zunächst ihre Kräfte auf die Niederringung Polens und die anschließende Reorganisation ihrer Truppen verwenden, scheuen Frankreich und Großbritannien eine Großoffensive gegen Deutschland. Auch ein alliierter Luftkrieg gegen das Deutsche Reich unterbleibt - aus Angst vor Gegenschlägen der deutschen Luftwaffe.
Hitler will Frankreich zerschlagen
Doch der deutsche "Führer" und Oberbefehlshaber der Wehrmacht (OBdW), Adolf Hitler, drängt schon bald auf einen "großen Schlag" im Westen. Noch vor Ende des Polenfeldzugs 1939 verkündet er den Befehlshabern der drei Wehrmachtteile Heer, Luftwaffe und Marine seine Absicht, "Frankreich zu zerschlagen und England auf die Knie zu zwingen".
Doch das Oberkommando des Heeres (OKH) um Heeres-OB Walther von Brauchitsch und Generalstabschef Franz Halder steht einem solchen für zu riskant erachteten Westfeldzug zunächst ablehnend gegenüber. Sogar Staatsstreichpläne kommen in der Generalität auf. Schließlich fügt sich jedoch nach langen Debatten auch die Heeresführung dem Druck des NS-Diktators.
Angriff mit 3,3 Millionen Soldaten
Nach mehrfachen Änderungen von Angriffstermin und Angriffsplan rücken am 10. Mai 1940, um 5:35 Uhr, zwischen Emmerich am Niederrhein und Trier an der Mosel fünf deutsche Armeen der Heeresgruppen A und B in die Benelux-Staaten ein. Zwei weitere Armeen der Heeresgruppe C beschränken sich weiter südlich an der deutsch-französischen Grenze auf kleinere Scheinangriffe auf die als uneinnehmbar geltende Maginot-Linie.
141 Divisionen mit mehr als 3,3 Millionen Soldaten führt die Wehrmacht ins Feld. Ihr stehen 144 Divisionen mit knapp 2,9 Millionen Soldaten der Alliierten gegenüber.
Der Schwerpunkt der Kämpfe liegt zunächst bei der deutschen Heeresgruppe B im Norden. Dort hat die 18. Armee den Auftrag, in kürzester Zeit die Niederlande zu besetzen und eine Vereinigung der niederländischen Verbände mit belgischen Truppen und den aus Nordfrankreich vorrückenden Franzosen und Briten zu verhindern. Deutsche Kommandotrupps sollen im gegnerischen Hinterland Brücken und Flugplätze besetzen. Das gelingt jedoch nicht überall. In Maastricht scheitert die Eroberung der wichtigen Maas-Brücken. Auch die Sprengungen der Rheinbrücken bei Arnheim und Nijmegen können nicht verhindert werden.
Kommandounternehmen im Hinterland
Erfolgreicher verläuft ein Kommandounternehmen zur Eroberung der Maas-Brücke im südniederländischen Gennep. Im Westen Belgiens gelingt einem deutschen Sonderkommando die Einnahme des als uneinnehmbar geltenden Sperrforts Eben-Emael am Albert-Kanal. Fallschirmjäger landen mit Lastenseglern auf dem Fort und sprengen seine Panzerkuppeln mit neuartigen Hafthohlladungen in die Luft. Auch die Zerstörung von zwei Brücken über den Albert-Kanal können die Fallschirmjäger verhindern. Über sie rollen wenig später Verbände der deutschen 6. Armee in Richtung Antwerpen.
Kampf um die "Festung Holland"
Der Versuch deutscher Luftlandetruppen, die niederländische Regierung in Den Haag festzusetzen, scheitert hingegen. Zwei Drittel der deutschen Soldaten werden getötet, verwundet oder geraten in Gefangenschaft. Dafür gelingt es Fallschirmjägern in verlustreichen Kämpfen, wichtige Brücken in die "Festung Holland" bei Moerdijk, Dordrecht und Rotterdam einzunehmen. Weil sich die Übergabeverhandlungen Rotterdams verzögern und eine deutsche Bombergruppe nicht mehr zurückgerufen werden kann, wird die niederländische Hafenstadt bei einem Luftangriff am 13. Mai schwer zerstört. Mindestens 800 Einwohner sterben. Zwei Tage später kapituliert die niederländische Armee.
Alliierter Vorstoß nach Belgien
Auch wenn längst nicht alle deutschen Luftlandeunternehmen in Belgien und den Niederlanden gelingen, ermöglichen sie doch größere operative Erfolge. Sie sorgen für erhebliche Verwirrung und binden mehrere gegnerische Divisionen. Obendrein stützen die Kommandoaktionen die Erwartungen der Franzosen und Briten, dass der deutsche Hauptstoß im Norden erfolgt. Der Plan der Alliierten sieht für diesen Fall vor, drei französische Armeen und die British Expeditionary Force nach Belgien auf eine Linie entlang der Maas bis Namur und von dort nach Norden entlang des mittelbelgischen Flusses Dyle und weiter über Antwerpen bis ins südholländische Breda vorzuschieben.
Ardennen als Aufmarschgebiet
Einen Angriff auf die Maginot-Linie erwarten die Franzosen nicht. Auch die südbelgischen Ardennen hat der "Oberste Kriegsrat" der Alliierten nicht auf dem Schirm. Die dichten Wälder, tief eingeschnittenen Täler, verwinkelten Ortschaften und kurvenreichen engen Straßen des Mittelgebirges gelten als unpassierbar für Panzerverbände. Doch das ist ein Trugschluss. Denn die Deutschen sehen in den riesigen Ardennen-Wäldern das ideale Aufmarschgebiet für ihren gepanzerten Hauptstoß nach Frankreich. Tausende Panzer und Fahrzeuge können sich unter dem dichten Blätterdach der feindlichen Luftaufklärung entziehen. Und so verschwindet am 10. Mai die zwischen dem nordostbelgischen Eupen und der Südgrenze Luxemburgs vorrückende Heeresgruppe A mit drei Armeen im Ardennen-Wald.
Manstein und der "Sichelschnittplan"
Der Panzerstoß durch die Ardennen ist das Kernstück des maßgeblich vom damaligen Generalleutnant und späteren Generalfeldmarschall Erich von Manstein erdachten und später von Winston Churchill so bezeichneten "Sichelschnittplans" (engl. sickle cut). Er sieht vor, den geballten Hauptstoß der Heeresgruppe A durch die Ardennen, über die Maas und anschließend durch den Norden Frankreichs zum Ärmelkanal zu führen. Die in Nordbelgien und in den Niederlanden vorrückende Heeresgruppe B soll dabei die Rolle des "roten Tuches" übernehmen, das die französisch-britischen Truppen aus Nordwestfrankreich nach Belgien hineinlockt, wo sie durch den deutschen Kanalvorstoß eingekesselt werden sollen.
Durchbruch bei Sedan
Und genauso geschieht es. In wenigen Tagen stoßen die drei Armeen der Heeresgruppe A mit 45 Divisionen durch die nur schwach verteidigten Ardennen. Brücken- und Straßensprengungen und das begrenzte Straßennetz halten den Vormarsch zwar zeitweise auf. Doch bereits am Abend des 12. Mai erreichen die ersten deutschen Vorausabteilungen die Maas. Der Fluss wird am 13. Mai bei Sedan und Dinant überschritten.
Einen Tag später lässt der Kommandierende General des XIX. Armeekorps der Panzergruppe Kleist, General der Panzertruppe Heinz Guderian, die drei Panzerdivisionen seines Korps eigenmächtig aus dem Brückenkopf von Sedan in Richtung Westen durchbrechen. Damit werden auch die übrigen zwei Panzerdivisionen der Panzergruppe mitgerissen. Auch die weiter nördlich bei Dinant über die Maas gesetzten beiden Panzerdivisionen der 4. Armee treten zum Durchbruch nach Westen an.
Vorstoß nach Westen
Nun beginnen die Angriffskeile der Heeresgruppe A, in der sieben der insgesamt zehn deutschen Panzerdivisionen zusammengefasst sind, ihre volle Wucht zu entfalten. Das gilt vor allem für die zur Heeresgruppe gehörende Panzergruppe Kleist, die aus fünf Panzerdivisionen und dem motorisierten Infanterieregiment "Großdeutschland" besteht. Ohne Rücksicht auf ausreichenden Flankenschutz stoßen die mehr als 1.200 Panzer des Großverbandes durch die Ebenen Nordfrankreichs. Sie stiften Panik und Verwirrung unter den Franzosen.
Entsetzen bei den Alliierten
Am Morgen des 14. Mai schockt der französische Ministerpräsident Paul Reynaud seinen britischen Amtskollegen Winston Churchill mit der Hiobsbotschaft, dass die Deutschen bei Sedan durchgebrochen sind. Die französischen Soldaten seien nicht in der Lage gewesen, dem kombinierten Angriff von Panzern und Sturzkampfbombern zu widerstehen. Der französische Oberbefehlshaber der Nordostfront, General Alphonse Georges, erfährt am Abend, dass sich zwei seiner Divisionen in völliger Auflösung befinden und weitere schwer angeschlagen sind. Als Churchill am Morgen des 15. Mai nach Paris fliegt, wird er von Reynaud mit den panischen Worten empfangen: "Wir sind besiegt. Wir haben die Schlacht verloren."
100 Kilometer breite Frontlücke
Tatsächlich klafft im Bereich der westlich der Maas stehenden französischen 9. Armee eine 100 Kilometer breite Lücke. In diese stoßen die deutschen Panzerverbände mit Wucht hinein. Nichts kann sie aufhalten. Zwar besitzen die Franzosen mit ihren ursprünglich 3.383 Panzern eine nominelle Überlegenheit gegenüber den 2.445 deutschen Kampfwagen. Doch anders als die Wehrmacht, die ihre Panzer in geschlossenen Verbänden einsetzt, verteilen die Franzosen ihre Kampfwagen auf die Infanterie. Ein geschlossener taktischer Einsatz wie in der Wehrmacht ist so nicht möglich.
1,2 Millionen Alliierte eingeschlossen
Zudem setzen die Deutschen die Sturzkampfbomber der Luftwaffe als fliegende Artillerie vor der Panzertruppe ein. Die technische Unterlegenheit der leichten deutschen Panzerkampfwagen I und II – sie stellen im Westfeldzug noch die Masse der deutschen Panzer - wird durch den Einsatz mobiler Panzerabwehrgeschütze ausgeglichen. Vereinzelte alliierte Gegenstöße bleiben erfolglos. Am 20. Mai 1940 erreichen schließlich die ersten Panzer der 2. Panzerdivision der Wehrmacht bei Abbeville den Ärmelkanal. Insgesamt 1,2 Millionen alliierte Soldaten - Franzosen, Briten und Belgier - sind nun in einem riesigen Kessel in Belgisch- und Französisch-Flandern eingeschlossen.
Hitler lässt Panzer anhalten
Die Panzerverbände der von Süden vorstoßenden Heeresgruppe A agieren dabei wie ein "Hammer", der die alliierten Verbände auf den "Amboss" der von Osten vorrückenden Heeresgruppe B drückt. Eine vollständige Vernichtung der eingeschlossenen Truppen ist nur eine Frage der Zeit. Am 22. Mai schließen die Deutschen Calais ein, einen Tag später fällt Boulogne. Am 24. Mai 1940 stehen die deutschen Panzer nur noch 18 Kilometer vor Dünkirchen, der letzten von den Alliierten kontrollierten Hafenstadt in Flandern. Da erteilt Hitler einen "Halt-Befehl". Die Luftwaffe soll die letzten rund 450.000 Mann starken Verbände der Alliierten im Kessel von Dünkirchen vernichten. Doch schlechtes Wetter, Sanddünen und eine starke Luftabwehr verhindern das.
Rettung für 370.000 Alliierte
Erst zwei Tage später dürfen die Panzer wieder anrollen. Genug Zeit für die Alliierten, ihre Verteidigungsstellungen auszubauen und die Ausschiffung ihrer Verbände zu organisieren. Mit allen möglichen Schiffen, Kähnen und Booten gelingt es, gut 370.000 alliierte Soldaten - die Mehrzahl davon Briten - dem deutschen Zugriff zu entziehen. Als schließlich am Morgen des 4. Juni deutsche Truppen den Hafen von Dünkirchen besetzen, fallen ihnen nur noch 80.000 alliierte Soldaten in die Hände.
Der Krieg geht weiter
Mit der Einnahme von Dünkirchen endet die erste Phase des Westfeldzugs. Es ist ein operativer, jedoch kein strategischer Erfolg. Die Rettung der Masse des britischen Berufsheeres ist für die Regierung in London ein weiteres Argument, den Krieg gegen Deutschland fortzusetzen. Einen von der deutschen Führung erhofften Kriegsaustritt Großbritanniens gibt es nicht.
Die Ausschaltung von mehr als der Hälfte der alliierten Streitkräfte in Flandern durch den erfolgreichen "Sichelschnitt" ist trotz allem die Vorentscheidung des gesamten Feldzugs im Westen. Seine anschließende zweite Phase, die "Schlacht um Frankreich", endet mit der kompletten Niederlage der französischen Streitkräfte und der Unterzeichnung des deutsch-französischen Waffenstilstands am 22. Juni 1940 im Wald von Compiègne.
"Größter Feldherr aller Zeiten"
Frankreich, das bis dahin als stärkste Militärmacht der Welt gegolten hatte, ist vollständig geschlagen. Hitler, der während des Feldzugs mehrfach Nerven zeigte, lässt sich jetzt vom Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, als "Größten Feldherrn aller Zeiten" feiern.
Größenwahn wird nun endgültig eine bestimmende Komponente seines Handelns. Berauscht vom Sieg über Frankreich, glaubt der "GröFaZ", wie ihn kritische Offiziere in Anspielung auf Keitels Lobhudelei später nennen werden, auch die Sowjetunion in einem "Blitzkrieg" vernichten zu können. Ein Feldzug gegen den russischen "Koloss auf tönernen Füßen" sei im Vergleich zum Frankreichfeldzug nur ein "Sandkastenspiel", posaunt er. Es sollte der Anfang vom Ende Hitlers, der Wehrmacht und des Deutschen Reiches sein.
Literaturhinweise
- Frieser, Karl-Heinz: Blitzkrieg-Legende. Der Westfeldzug 1940, Berlin 2021.
- Ders.: Die deutschen Blitzkriege. Operativer Triumph - strategische Tragödie, in: Die Wehrmacht. Mythos und Realität. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamts von Rolf-Dieter Müller und Hans-Erich Volkmann, München 1999, S. 182-196.
- Umbreit, Hans: Der Kampf um die Vormachtstellung in Europa, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 2. Die Errichtung der Hegemonie auf dem europäischen Kontinent. Hrsg. Vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Stuttgart 1979, S. 235-327.