"Wacht am Rhein" Ardennenoffensive 1944 – Hitlers letzter Versuch
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16. Dezember 2024, 05:30 Uhr
Am 16. Dezember 1944 treten Wehrmacht und Waffen-SS in den Ardennen noch einmal zum Angriff an. "Wacht am Rhein" ist der letzte Versuch von Adolf Hitler, im Westen einen strategischen Sieg zu erzielen. Trotz anfänglicher Erfolge endet die Ardennenoffensive in einem Fiasko.
Die US-amerikanischen Truppen in den Ardennen Ostbelgiens und Nord-Luxemburgs sind geschockt, als die längst geschlagen geglaubte Wehrmacht am 16. Dezember 1944 wieder zum Angriff übergeht. Zwischen Monschau und Echternach treten an diesem feuchtkalten und nebligen Samstag auf einer Frontbreite von 170 Kilometern 13 deutsche Infanterie- und sieben Panzerdivisionen mit 200.000 Soldaten, 600 Panzern und Sturmgeschützen sowie 1.600 Artilleriegeschützen zur Großoffensive an.
Hitler will Offensive auf Antwerpen
Die Idee für das Unternehmen "Wacht am Rhein", so der Deckname der Ardennenoffensive, stammt von Adolf Hitler persönlich. "Ich will die Offensive – hier in den Ardennen! Über die Maas und weiter nach Antwerpen", soll der deutsche Diktator und Oberbefehlshaber der Wehrmacht im September 1944 dem Chef des Wehrmachtführungsstabes, Generaloberst Alfred Jodl, vor einer Lagekarte verkündet haben. Mit dem Stoß durch das von US-Truppen schwach besetzte Waldgebirge der Ardennen nach Nordwesten will Hitler den Alliierten den strategisch wichtigen Nachschubhafen Antwerpen wieder entreißen. Zugleich sollen mit dem Vorstoß zur Nordsee 30 alliierte Divisionen in Südholland und Nordbelgien eingeschlossen und vernichtet werden. Hitler hofft so, die Westalliierten aus der "unnatürlichen Koalition" mit der Sowjetunion herauszubrechen.
Angriff mit drei Armeen
Der von Jodl ausgearbeitete Operationsplan für "Wacht am Rhein" sieht den Angriff aller drei Armeen der Heeresgruppe B von Generalfeldmarschall Walter Model vor. Die neu formierte 6. SS-Panzerarmee soll mit vier Panzer- und fünf Infanteriedivisionen auf dem rechten, nördlichen Flügel den Hauptstoß führen. Sie soll das Hohe Venn überqueren, nach zwei Tagen die Maas westlich Lüttich forcieren und direkt auf das 190 Kilometer entfernte Antwerpen vorstoßen. Links von ihr soll die 5. Panzerarmee mit drei Panzer- und vier Infanteriedivisionen die Operation weitausholend unterstützen, die Maas weiter westlich bei Namur überqueren und über Brüssel auf Antwerpen vorrücken. Die 7. Armee schließlich soll die Offensive mit vier Infanteriedivisionen nach Süden hin abdecken.
Hitler setzt "alles auf eine Karte"
Model und der Oberbefehlshaber West, Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt, halten die eigenen Kräfte für einen direkten Vorstoß auf Antwerpen jedoch für zu schwach. Sie plädieren für eine "kleine Lösung", bei der nur die alliierten Truppen östlich der Maas eingeschlossen und vernichtet werden sollen. Erst in einem zweiten Schritt soll der Angriff auf Antwerpen erfolgen. Hitler beharrt jedoch auf seiner "großen Lösung". Der "Führer" ist nach den Worten Jodls fest entschlossen, "alles auf eine Karte zu setzen". Wohl hofft er auf einen Erfolg wie 1940, als die deutschen Truppen durch die Ardennen zum Ärmelkanal vorgestoßen waren und so den Sieg über Frankreich einleiteten. Allerdings sind die Voraussetzungen 1944 komplett anders. Deutschland führt mittlerweile einen kräfteraubenden Zweifrontenkrieg und besitzt – anders als 1940 – auch nicht mehr die Luftherrschaft. Um die alliierte Luftüberlegenheit auszuschalten, muss die Ardennenoffensive deshalb bei herbstlichem Schlechtwetter erfolgen.
Totale Geheimhaltung und Funkstille
Die Vorbereitungen für "Wacht am Rhein" laufen unter äußerster Geheimhaltung. Die Generale, denen die Pläne bis Anfang November präsentiert werden, müssen sich bei Androhung der Todesstrafe zu striktem Stillschweigen verpflichten. Im Vorfeld der Offensive gilt zudem totale Funkstille. Die Aufmarschvorbereitungen erfolgen nur nachts, um sie der feindlichen Luftaufklärung zu entziehen. Um alle Verbände in ihre Konzentrierungsräume zu bringen, sind 1.050 Militärzüge nötig. Allein eine Panzerdivision benötigt für ihren Transport 70 Eisenbahnzüge. Am Angriffstag sind die deutschen Verbände ihren Gegnern an der Ardennenfront beim Personal um das 2,4-, bei Panzern um das 1,4- und bei Artillerie um das 4,8-fache überlegen.
Alliierte Feindaufklärung versagt
Der alliierten Feindaufklärung entgeht das. Sie versagt komplett. Wegen der deutschen Funkstille liegen den Alliierten keine über das "Ultra"-System entschlüsselte Enigma-Funksprüche der Deutschen vor. Gewöhnt an die Zuverlässigkeit der "Ultra"-Beobachtungen werden Hinweise aus anderen Quellen ignoriert. Zudem kann sich das alliierte Oberkommando SHAEF um US-General Dwight D. Eisenhower nicht vorstellen, dass die Deutschen in ihrer geschwächten Position und bedroht von einer sowjetischen Großoffensive im Osten, eine strategische Offensive an der Westfront wagen würden. Sie unterschätzen die irrationale Haltung Hitlers.
US-Truppen völlig überrascht
Als die Ardennenoffensive am 16. Dezember 1944 beginnt, trifft sie auf einen völlig überraschten Gegner. Der 6. SS-Panzerarmee, die im Norden den Hauptstoß führen soll, gelingt es zunächst, die Vorposten des V. US-Korps zu überwältigen. Doch der Vorstoß nach Nordwesten durch das Hohe Venn – eine bis zu 700 Meter hohe Hochfläche zwischen Ardennen und Eifel – misslingt. Der Versuch, die Passstraßen durch ein Fallschirmunternehmen ("Stößer") zu sichern, scheitert. Nicht wenige der Fallschirmjäger werden nach ihrer Landung bei hohen Windgeschwindigkeiten zu Tode geschleift. Die meisten werden von US-Truppen gefangen genommen. Auch der Versuch, englischsprechende Wehrmacht- und Waffen-SS-Angehörige in amerikanischen Beuteuniformen für Brückensicherungen und Sabotageakte im feindlichen Hinterland einzusetzen (Unternehmen "Greif"), bleibt weitgehend wirkungslos. Diejenigen Angehörigen der ominösen "Panzerbrigade 150", die in US-Hände fallen, werden erschossen.
Die Blutspur der Kampfgruppe Peiper
Am weitesten stößt im Bereich der 6. SS-Panzerarmee die "Kampfgruppe Peiper" der 1. SS-Panzerdivision "Leibstandarte SS Adolf Hitler" mit ihren schweren Tiger-, Panther- und Jagdtiger-Panzern vor. Ihr Chef ist der 28-jährige SS-Obersturmbannführer (Oberstleutnant) Jochen Peiper, ein bereits von der Ostfront als furcht- und rücksichtslos bekannter Panzeroffizier. Peipers Kampfgruppe gelangt über Stavelot bis etwa acht Kilometer an Spa heran, wo sie hofft, sich an alliierten Treibstoffbeständen zu bedienen. Auf dem Weg dorthin töten seine Männer späteren US-Berichten zufolge bis zum 19. Dezember 308 gefangene US-Soldaten und 130 belgische Zivilisten. Der bekannteste Zwischenfall ereignet sich auf einer Wiese bei Malmedy, wo die SS 84 gefangene US-Amerikaner erschießt. Nachdem Peipers Kampfgruppe Sprit und Munition ausgehen, kämpft sie sich am 23. Dezember ohne schweres Gerät zu den eigenen Linien zurück.
Manteuffels Panzer sorgen für Panik
Erfolgreicher als der Angriff der 6. SS-Panzerarmee verläuft der Vorstoß der 5. Panzerarmee weiter südlich. Den Truppen des Generals der Panzertruppe Hasso von Manteuffel gelingt es, das Überraschungsmoment besser auszunutzen. Anders als die 6. SS-Panzerarmee, die ihren Angriff am 16. Dezember – wie von Hitler gefordert – mit einer ausgiebigen Artillerievorbereitung einleitet, verzichtet Manteuffel darauf. Er hält dies für ein "Konzept aus dem Ersten Weltkrieg" und ein "Alarmsignal für die amerikanischen Truppen". Es gelingt Manteuffels Verbänden zwischen St. Vith und Wiltz das Verteidigungssystem des VIII. US-Korps zu durchbrechen und weiter nach Westen vorzustoßen. Mancherorts verteidigen sich die US-Truppen heldenhaft, andernorts bricht Panik aus. Vor allem die mächtigen Königstiger der schweren deutschen Panzerabteilungen verbreiten Angst und Schrecken. Die fast 70 Tonnen schweren Panzer mit ihrer 8,8-cm-Kanone sind nahezu unbezwingbar. Allerdings sind sie für viele Brücken zu schwer und verbrauchen extrem viel Benzin.
Vorstoß bis kurz vor Dinant
Südöstlich von St. Vith schließen Verbände der 5. Panzerarmee eine US-Division ein. 8.000 amerikanische Soldaten kapitulieren und gehen am 21. Dezember in Gefangenschaft. Den 45 Kilometer südwestlich gelegenen wichtigen Verkehrsknoten Bastogne können die Deutschen hingegen nur einschließen, nicht jedoch einnehmen. Den Amerikanern gelingt es rechtzeitig, Fallschirmjäger zur Verstärkung der Garnison einzufliegen. Sie verteidigen die Stadt bis zum Entsatz gegen drei deutsche Divisionen. Immerhin gelingt es den Spitzen der 5. Panzerarmee noch bis auf sechs Kilometer an Dinant an der Maas vorzurücken. Hier wird die deutsche Angriffsspitze jedoch am 23. Dezember bei einem Flankenangriff der US-Amerikaner gekappt und nahezu aufgerieben.
Panzer bleiben wegen Spritmangel liegen
Zu allem Überfluss geht den deutschen Panzern auch noch der Kraftstoff aus. Nun rächt sich, dass für manche Verbände nur Benzin für 60 Kilometer bereitgestellt wurde. Nachschub ist bei den schwierigen Wegverhältnissen kaum zu beschaffen. Das feuchtkalte Matschwetter ohne schweren Frost lässt schnelle Bewegungen nur auf den vollgestopften Straßen zu. Dort wo sich schwere Panzer über unbefestigte Wege wälzen, kann anschließend kein anderes Fahrzeug mehr fahren. Endgültig gescheitert ist die Ardennenoffensive, als bei aufklarendem Wetter am 24. Dezember die alliierten Kampfflugzeuge mit voller Wucht in die Erdkämpfe eingreifen. Nach massiven Panzergegenstößen der Alliierten ziehen sich die deutschen Armeen bis Ende Januar 1945 sukzessive auf ihre Ausgangsstellungen zurück.
Deutsche verlieren 68.000 Soldaten
Damit endet der zweite deutsche Versuch, mit einem Ardennen-Durchbruch einen strategischen Erfolg zu erzielen, in einer Niederlage. Allein die Deutschen verlieren in der Ardennenoffensive knapp 68.000 Mann an Toten, Verwundeten und Gefangenen. Zudem gehen hunderte Panzer – oft wegen Spritmangels – verloren. Die bei "Wacht am Rhein" verschlissenen Divisionen fehlen im Osten. Dort stößt die Rote Armee ab dem 12. Januar 1945 im Zuge der Weichsel-Oder-Offensive nach Ostpreußen, Vorpommern und Schlesien vor. Nennenswerte Reserven, um sie aufzuhalten, gibt es nicht mehr. Sie wurden bei Hitlers letztem Versuch in den Ardennen verbrannt.
Literaturhinweise
- Beevor, Antony: Die Ardennenoffensive 1944. Hitlers letzte Schlacht im Westen, München 2019.
- Frieser, Karl-Heinz: Die deutschen Blitzkriege. Operativer Triumph - strategische Tragödie. In: Die Wehrmacht. Mythos und Realität. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, München 1999, S. 182-196.
- Pöhlmann, Markus: Der Panzer und die Mechanisierung des Krieges. Eine deutsche Geschichte 1890 bis 1945, Paderborn 2016, S. 557-559.
- Vogel, Detlef: Deutsche und alliierte Kriegführung im Westen. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 7. Das Deutsche Reich in der Defensive. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Stuttgart München 2001, S. 419-642, bes. S. 619-634.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 16. Dezember 2024 | 19:05 Uhr