D-Day 1944 "Mehr Schiffe als Wasser" – Die alliierte Invasion in der Normandie
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06. Juni 2024, 05:00 Uhr
Am 6. Juni 1944 landen die alliierten Briten, Kanadier und US-Amerikaner in der Normandie. D-Day nennen sie den Tag, der die Entscheidung über das Gelingen ihrer Invasion in Hitlers "Festung Europa" bringen soll. Es wird ein blutiger Tag, der den Auftakt eines blutigen Feldzugs zur Befreiung Frankreichs und Europas einleitet.
Es ist die gewaltigste See-Land-Schlacht, die die Welt je gesehen hat. In der Nacht zum 6. Juni 1944 setzt sich aus den Häfen Südenglands eine riesige Invasionsstreitmacht der alliierten Briten, Kanadier und US-Amerikaner in Bewegung. Ziel der gewaltigen Flotte aus 6.480 Schiffen und Booten ist die Küste der Normandie zwischen der Cotentin-Halbinsel bei Carentan und der Orne-Mündung bei Caen. Die deutschen Soldaten, die hier am französischen "Atlantikwall" die "Festung Europa" verteidigen sollen, trauen ihren Augen und Ohren kaum. Mit Anbruch der Morgendämmerung nehmen Geschütze von über 1.000 alliierten Kriegsschiffen die deutschen Küstenstellungen unter Feuer. Tausende Kampfflugzeuge decken sie mit Bomben und Raketen ein.
"Das ist die Invasion!"
Der an der Küste bei Bayeux stationierte Kompanieführer in der Aufklärungsabteilung der 12. SS-Panzer-Division "Hitlerjugend", Peter Hansmann, schildert vier Jahrzehnte später in einer ARD-Dokumentation seine damaligen Eindrücke: "Jetzt merkten wir aus dem dunklen Grau noch mehr Aufblitzen. […] Das war ja ungeheuer! Das waren ja hunderte von Schiffen, die hier bis zum Horizont unübersehbar aufgereiht waren und in ununterbrochener Folge schnelle Landungsboote, die auf den Strand zukamen. […] Das ist die Invasion! Mehr Schiffe als Wasser, das gibt es nicht. Das müsste man sehen. Wer wird das glauben, wenn er dies nicht sieht."
Um 6:30 Uhr beginnt die eigentliche Landung. Mehr als 4.100 schnelle Landungsboote bringen in ununterbrochener Folge zehntausende Soldaten zu den Stränden. Damit die Boote nicht auf die mit Sprengkörpern bestückten Pfahlkonstruktionen der deutschen Vorfeldverteidigung auflaufen, findet die Invasion bei Ebbe statt. Nach dem Ausbooten müssen die alliierten Soldaten stellenweise 800 bis 1.000 Meter über deckungslosen Strand zurücklegen.
Blutbad am "Omaha-Beach"
Am "Omaha"-Landungskopf der US-Amerikaner bei Vierville endet der Angriff in einem Blutbad. Dort verfehlen alliierte Schiffsartillerie und Bomber im Vorfeld die deutschen Stellungen. Zudem liegt hier eine kampfstarke deutsche Division, die zuvor zufällig für eine Gefechtsübung alarmiert worden war. Den am "Omaha-Beach" landenden Soldaten der 1. US-Infanteriedivision schlägt vernichtendes Geschütz-, Granatwerfer- und Maschinengewehrfeuer entgegen. Die ersten US-Einheiten verlieren in kurzer Zeit die Hälfte ihrer Soldaten. Ganze Landungsboot-Besatzungen werden in Sekunden niedergemäht.
Insgesamt verlieren die US-Amerikaner am 6. Juni am "Bloody Omaha" bis zu 3.000 Mann an Toten und Schwerverwundeten. An den anderen Landungsabschnitten der Normandie stoßen die Alliierten nur vereinzelt auf ernsthaften Widerstand. Am "Utah-Beach" nördlich Carentan können die US-Truppen relativ problemlos Fuß fassen. Auch an dem im Osten zwischen Arromanches und Lion sur Mer gelegenen Landungsköpfen "Gold", "Juno" und "Sword" der Briten und Kanadier gelingt die Landung ohne größere Ausfälle. Die Gegenwehr bleibt hier schwach.
Hitler wird nicht geweckt
Die deutsche Führung glaubt am Morgen des 6. Juni nicht, dass sie es mit der alliierten "Hauptlandung" zu tun hat. Sie erwartet die eigentliche Invasion an der engsten Stelle des Kanals, am Pas de Calais. Der Chef des Wehrmachtführungsstabs beim Oberkommando der Wehrmacht (OKW), Generaloberst Alfred Jodl, weigert sich, den auf dem Obersalzberg schlafenden Adolf Hitler zu wecken, um die Panzerreserven für einen Angriff auf die Landungsköpfe freizugeben.
Erst als sich die Erfolge der Alliierten am späten Nachmittag immer klarer abzeichnen, erhalten drei Panzerdivisionen ihre Einsatzbefehle. Nur eine davon, die bei Caen liegende 21. Panzerdivision, greift noch im Laufe des 6. Juni in die Kämpfe ein. Die beiden anderen, die zur OKW-Reserve gehörende 12. SS-Panzer-Division "Hitlerjugend" und die kampfstarke Panzerlehr-Division, müssen erst über Entfernungen von 150 Kilometern und mehr aus dem Großraum Paris/Orleans herangebracht werden. Wegen der Luftüberlegenheit der Alliierten ist das nur nachts möglich.
Rommel will Abwehrschlacht am Strand
Jetzt rächt sich, dass sich der Oberbefehlshaber der in Nordfrankreich stehenden Heeresgruppe B, Generalfeldmarschall Erwin Rommel, mit seinem Konzept zur Invasionsabwehr im Vorfeld nicht durchsetzen konnte. Rommel wollte alle Panzerdivisionen in Küstennähe stationieren, um die alliierten Truppen bereits am ersten Tag wieder ins Meer zu treiben. Er weiß aus Erfahrungen in Afrika, dass lange Verlegungsmärsche bei alliierter Luftüberlegenheit unmöglich sind.
Rommels direkter Vorgesetzter, der Oberbefehlshaber West, Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt, glaubt jedoch nicht an eine Abwehrschlacht auf dem Strand. Er will die Invasion durch eine bewegliche "Operation aus der Nachhand" mit zentralen Panzerreserven stoppen. Hitler, der vom Ansatz her eher bei Rommel ist, entscheidet dennoch halbherzig. Er unterstellt Rommels Heeresgruppe B lediglich drei Panzerdivisionen und belässt vier Panzerdivisionen als OKW-Reserve im Raum Paris.
Hitler sehnt Entscheidung herbei
Die aus dieser Entscheidung resultierenden Verzögerungen bei der Invasionsabwehr spielen den alliierten Landungstruppen in die Karten. Bis zum Abend des 6. Juni können Briten, Kanadier und US-Amerikaner 155.000 Soldaten und 16.000 Fahrzeuge an Land bringen.
Hitler lässt sich davon nicht beeindrucken. Er sieht in der Invasion die lange herbeigesehnte Gelegenheit, endlich mit seinen Gegnern im Westen abzurechnen und diese mit einem Sieg aus dem Krieg zu werfen. Als – so zumindest die Erinnerungen des OKW-Generals Walter Warlimont – der gebürtige Österreicher Hitler am 7. Juni mit einem "völlig unbeschwerten Lächeln" auf die Lagekarten der Normandie-Front zugeht, entfährt ihm sogar ein frohes: "Also, - anganga is."
Der "Führer" erkennt damit zwar an, dass die Invasion begonnen hat. Die "Hauptlandung" erwartet er aber immer noch am Pas de Calais. Die Alliierten fördern diese Fehleinschätzung durch ein Täuschungsmanöver, bei dem sie durch massiven Funkverkehr eine ganze Phantom-Heeresgruppe auf der englischen Seite der Kanalenge simulieren. Noch Wochen später, als der deutsche Einschließungsring um die alliierte Landungszone längst zu zerspringen droht, verbieten Hitler und das OKW die Verlegung von Verbänden der bei Calais noch immer auf die Invasion wartenden deutschen 15. Armee.
"Stehen, Halten oder Sterben"
Derweil gelingt es den Alliierten am 9. Juni, ihre fünf Landungsköpfe in der Normandie zu einer mehr als 100 Kilometer breiten und stellenweise knapp 20 Kilometer tiefen Landungszone zu vereinigen. Hitler ruft seine Soldaten in altgewohnter Weise zum Halten um jeden Preis auf: "Hier gibt es kein Ausweichen und Operieren, hier gilt es zu stehen, zu halten oder zu sterben." Tatsächlich kämpfen die Wehrmacht- und Waffen-SS-Verbände in der Normandie – trotz massiver alliierter Materialüberlegenheit – verbissen um jeden Meter. Es hilft nichts. Ein deutscher Panzervorstoß auf Bayeux, mit dem der alliierte Brückenkopf in zwei Teile gespalten werden soll, scheitert. Stattdessen stoßen die Amerikaner am 14. Juni auf die Halbinsel Cotentin vor, wo sie am 26. Juni den Tiefseehafen Cherbourg einnehmen.
Bis Anfang Juli 1944 belaufen sich die Gesamtausfälle von Rommels Heeresgruppe B auf 65.000 Mann, von denen nur 6.000 ersetzt werden können. Ein Großteil der deutschen Verluste sind Kriegsgefangene. Die Verluste der Alliierten sind im selben Zeitraum zwar ähnlich. Allerdings sind Briten und Amerikaner stets in der Lage, nicht nur äquivalenten Ersatz, sondern auch permanente Verstärkungen zuzuführen. Bis Anfang Juli landen die Alliierten rund eine Million Mann, über 171.500 Fahrzeuge sowie knapp 567.000 Tonnen Material in der Normandie an.
Rommel fordert von Hitler Konsequenzen
Am 15. Juli sendet Rommel ein Fernschreiben an Hitler, in dem er die Lage in der Normandie als zunehmend unhaltbar beschreibt: Während der Nachschub des Gegners ungestört andauere, würden die eigenen Verluste bereits 97.000 Mann betragen, von denen nur 6.000 hätten ersetzt werden können. Unter diesen Umständen werde der Gegner in spätestens drei Wochen in die Weiten des französischen Raumes vorstoßen, warnt Rommel, der sein Fernschreiben an Hitler mit den prophetischen Worten schließt: "Die Truppe kämpft allerorts heldenmütig, jedoch der ungleiche Kampf neigt sich dem Ende entgegen. Ich muss sie bitten, die Folgerungen aus dieser Lage unverzüglich zu ziehen."
Durchbruch bei Avranches und Kessel von Falaise
Rommel sollte Recht behalten. Bis zum 29. Juli bringen die Alliierten 1,5 Millionen Soldaten in ihren Landungskopf. Zwei Tage später durchbrechen US-Truppen bei Avranches den Einschließungsring. Die Alliierten stürmen in die Bretagne und in den Südwesten Frankreichs.
Ein deutscher Gegenangriff scheitert und führt dazu, dass die Masse von zwei deutschen Armeen mit 125.000 Mann im Kessel von Falaise eingeschlossen wird. 45.000 von ihnen geraten in Gefangenschaft. Nur einigen erfahrenen Divisionen gelingt der verlustreiche Durchbruch nach Osten. Die Front in Frankreich bricht vollends zusammen. Bis Mitte September 1944 wird das deutsche Westheer aus dem größten Teil Frankreichs, Belgiens sowie aus Luxemburg vertrieben. Erstmals erreichen US-Truppen südlich von Aachen deutsches Hoheitsgebiet. Damit beginnt der letzte Akt des Krieges: der Endkampf um das Deutsche Reich.
Literatur und Dokumentation
- Die Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Teil 6: Der Untergang des Reiches. Dokumentation, Deutschland 1985, 86 Min., Ein Film von Joachim Hess und Henric L. Wuermeling, Produktion: ARD, Erstausstrahlung: 5. Mai 1985.
- Gruchmann, Lothar: Der Zweite Weltkrieg, München 1990, S. 300-315.
- Müller, Rolf-Dieter: Der letzte deutsche Krieg 1939-1945, Stuttgart 2002, S. 260-273.
- Salewski, Michael: Die Abwehr der Invasion als Schlüssel zum "Endsieg"?, in: Die Wehrmacht Mythos und Realität. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamts hrsg. von Rolf-Dieter Müller und Hans-Erich Volkmann, München 1999, S. 220-223.
- Vogel, Detlef: Deutsche und alliierte Kriegführung im Westen, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 7. Das Deutsche Reich in der Defensive. Strategischer Luftkrieg in Europa, Kriege im Westen und in Ostasien 1943-1944/45. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Stuttgart München 2001, S. 419-639.
Dieses Thema im Programm: Das Erste | 24 h D-Day | 06. Juni 2024 | 15:05 Uhr