Drittes Reich Fallschirmjäger der Wehrmacht - Anfänge einer umstrittenen Elitetruppe
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09. Juni 2021, 10:00 Uhr
Die deutsche Fallschirmtruppe im Zweiten Weltkrieg umgibt ein Nimbus, hinter dem ihre Ursprünge oft verblassen. Hitler selbst soll angeblich der Ideengeber gewesen sein. Das Vorbild lieferten die Sowjets. Doch der "Geburtsort" der neuen Waffengattung liegt in der Altmark, wo 1936 in Stendal die erste Fallschirmschule entsteht. Den "Mythos Fallschirmjäger" beleuchtet eine neue Ausstellung im Militärhistorischen Museum Dresden. Ein Blick auf die Anfänge einer umstrittenen Elitetruppe.
Nach einer von Adolf Hitlers Privatsekretärin Christa Schröder kolportierten Anekdote soll der NS-Diktator der geistige Urheber der deutschen Fallschirmwaffe gewesen sein. Demnach sieht er 1935 bei einem Café-Besuch in München auf dem Titelblatt einer Illustrierten ein Foto von 200 sowjetischen Fallschirmjägern beim Absprung. Während sich seine Entourage über den "großen Bluff" amüsiert, soll Hitler das Foto ausgeschnitten und wortlos in die Tasche gesteckt haben. Zwei Tage später habe er Luftwaffen-Chef Hermann Göring gerufen und ihm den Entwurf zur Bildung des ersten deutschen Fallschirmjäger-Regiments unterbreitet.
Sowjetische Fallschirmtruppe als Vorbild
Inwieweit die Anekdote zutreffend ist, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Fest steht in jedem Fall, dass das Vorbild für die neue deutsche Waffengattung die sowjetische Fallschirmtruppe ist. Bereits 1928 baut die Sowjetunion als erstes Land der Welt Fallschirmjägerverbände auf und setzt sie ab 1930 auch in Manövern ein. Bei einer Übung im Kiewer Militärbezirk springen 1935 über 1.000 Fallschirmjäger der Roten Armee ab. Vermutlich ist es ein Foto dieses Manövers, das im selben Jahr auch Hitler unterkommt.
Der deutsche Militärattaché in Moskau liefert bereits seit 1932 Berichte über die Entwicklung der sowjetischen Fallschirmtruppen an die deutsche Heeresleitung. Der Generalstabschef der am 1. März 1935 gegründeten deutschen Luftwaffe, Generalleutnant Walther Wever, legt diese Berichte auch seinem Oberbefehlshaber Göring vor. Gut möglich, dass dieser in der Fallschirmwaffe eine Chance sieht, seine Stellung im NS-Staat weiter aufzuwerten. Doch auch wenn die Idee zum Aufbau einer Fallschirmtruppe eher von Göring als von Hitler stammen sollte, so muss ihr der "Führer" doch sein Placet gegeben haben. Im Herbst 1935 erhält der Luftwaffen-Chef jedenfalls grünes Licht zum Aufbau einer Fallschirmtruppe.
Regiment "General Göring" als Keimzelle
Göring, zweiter Mann im NS-Staat und seit 1933 auch Herr über die preußische Polizei, greift dafür zunächst auf das im Oktober 1935 aus der preußischen Landespolizei in die Luftwaffe überführte Regiment "General Göring" zurück. Die Wurzeln dieser Lieblingseinheit Görings reichen in die im Februar 1934 aus strammen Nationalsozialisten gebildete "Polizeiabteilung z.b.V. Wecke". Frühere "Wecke"-Polizisten stellen 1935 auch das gesamte Offizierkorps des Regiments "General Göring".
Fast alle diese Offiziere gehören zu jenen 600 Freiwilligen, die sich im Oktober für die von Göring beschlossene Aufstellung eines Fallschirm-Bataillons sowie einer Fallschirm-Pionierkompanie melden. Bei der anschließenden Umgliederung des Regiments "General Göring" entsteht im November 1935 zunächst das I. Jäger-Bataillon, das später in IV. Fallschirmschützen-Bataillon umbenannt wird. Es ist die erste Fallschirmjäger-Einheit der Wehrmacht überhaupt. Ihre Besetzung mit vielen frühen Nationalsozialisten wird die Truppe nachhaltig prägen. Als zweite deutsche Fallschirmjäger-Einheit wird kurze Zeit später die 15. (Fallschirmpionier)-Kompanie des Regiments "General Göring" aufgestellt.
Erster Aufstellungsbefehl 1936
Als Gründungstag der deutschen Fallschirmwaffe gilt allerdings der 29. Januar 1936. An diesem Tag befiehlt Luftwaffen-Chef Göring, 15 "Offiziere, Unteroffiziere und Unterführer des Regiments aufgrund freiwilliger Meldungen" als künftiges Lehrpersonal für die Fallschirmspringer-Ausbildung der Fallschirm-Einheiten des Regiments "General Göring" auszubilden.
Für die Rekrutierung dieser und künftiger Freiwilliger der Fallschirmtruppe werden die Musterungskriterien der Luftwaffe übernommen. Die Bewerber müssen die "Fliegertauglichkeit" nachweisen, unter 85 Kilogramm wiegen und "körperlich gut durchgebildet" sein. Auch ein "rückhaltloses Eintreten für den nationalsozialistischen Staat" taucht - anders als bei anderen Einheiten der Luftwaffe - im späteren Bedingungskatalog der Fallschirmtruppe auf.
Stendal "Geburtsort" der Fallschirmtruppe
Zum eigentlichen "Geburtsort" der neuen Waffengattung wird der Fliegerhorst Stendal-Borstel in der Altmark. Dort bauen ab Februar 1936 Luftwaffen-Offiziere unter Hauptmann Friedrich Wilhelm Immans, einem früheren Jagdflieger des Ersten Weltkrieges und späteren Angehörigen der Hamburger Flieger-SA, die erste "Fallschirmschützenschule" der Wehrmacht auf. An der formal am 1. März 1936 eröffneten Einrichtung werden die Freiwilligen der Fallschirmwaffe zunächst in siebenwöchigen Kursen ausgebildet.
Kommandeur der Fallschirmschule 1 wird ab März 1937 der damalige Major Gerhard Bassenge. Unter ihm entwickelt sich die Schule zu einer federführenden Dienststelle, an der auch Vorschläge zur Verwendung der Fallschirmtruppe erarbeitet und technische Entwicklungen vorangetrieben werden.
Luftwaffe bevorzugt "Zerstörertaktik"
Im Generalstab der Luftwaffe begreift man die Fallschirmjägerwaffe zunächst als Ergänzung zum eigenen Luftangriffskonzept. Dort, wo hochwertige Ziele nicht durch Bombenangriffe zerstört werden können, sollen Fallschirmjäger dies erledigen. Die Jäger sollen in kleinen Gruppen hinter den feindlichen Linien abgesetzt werden und mit Hilfe mitgeführter Sprengmittel als Zerstör- und Sabotagetrupps wirken. Dementsprechend ist ihre Ausbildung zunächst auf das Profil militärischer Einzelkämpfer ausgerichtet. In Anlehnung an die sogenannte Zerstörertaktik wird das IV. Fallschirmschützen-Bataillon des Regiments "General Göring" zeitweise auch als Fallschirm-Zerstörerbataillon bezeichnet.
Heer setzt auf Fallschirm-Infanterie
Parallel zu Görings Fallschirmjägern stellt das Heer 1937 eine Fallschirm-Infanteriekompanie als Versuchseinheit auf, die im Juni 1938 zum Fallschirm-Infanteriebataillon aufgestockt wird. Da das Heer über keine eigene Fallschirmschule verfügt, wird die Einheit in Stendal untergebracht und an der dortigen Fallschirmschule der Luftwaffe ausgebildet.
Im Gegensatz zur Zerstörertaktik der Luftwaffe, sollen die Fallschirminfanteristen des Heeres nach dem Sprung im feindlichen Hinterland geschlossen infanteristisch kämpfen und wichtige Geländeteile bis zur Verbindungsaufnahme mit nachrückenden Panzerverbänden halten. Hierfür werden sie auch mit Maschinengewehren und Granatwerfern ausgestattet.
Erstes Fallschirmjäger-Regiment
Hitler bereitet den divergierenden Entwicklungstendenzen der deutschen Fallschirmwaffe jedoch schon bald ein Ende. Am 1. Januar 1939 befiehlt er, das Fallschirm-Infanteriebataillon des Heeres in die Luftwaffe zu überführen. Dort wird es als II. Bataillon in das gerade neu aufgestellte Fallschirmjäger-Regiment 1 integriert. Das I. Bataillon des neuen Regiments wird vom bisherigen IV. Fallschirmschützen-Bataillon des Regiments "General Göring" gestellt. Das III. Bataillon des neuen Fallschirmjäger-Regiments wird in der Altmark-Stadt Gardelegen aus Luftwaffenpersonal gebildet.
Aufbau einer Fallschirmjäger-Division
Das Fallschirmjäger-Regiment 1 bildet wiederum das Kernelement der bereits am 1. September 1938 unter der Tarnbezeichnung "7. Fliegerdivision" aufgestellten Fallschirmjäger-Division. Unter ihrem Dach werden alle Fallschirm- und Luftlande-Truppenteile der Wehrmacht zusammengefasst. Weil die Fallschirmjäger nach ihrer Landung als Infanteristen kämpfen, legt man der 7. Fliegerdivision auch die Gliederung einer klassischen Infanteriedivision mit drei Regimentern zugrunde. Da zunächst jedoch nur ein einziges echtes Fallschirmjäger-Regiment existiert, wird die 7. Fliegerdivision vorerst mit zwei Luftlandeinfanterie-Regimentern vervollständigt. Deren Soldaten sind keine Fallschirmspringer. Sie sollen mit Ju 52-Transportmaschinen auf den zuvor von den Fallschirmjägern eingenommenen Flugplätzen landen.
Als eines der beiden Luftlandeinfanterie-Regimenter wird der 7. Fliegerdivision zunächst das Infanterieregiment 16 der 22. Infanteriedivision des Heeres unterstellt. Das zweite Luftlandeinfanterie-Regiment der Division wird aus paramilitärisch vorgeschulten Angehörigen der SA-Standarte "Feldherrenhalle" gebildet, deren "Ehrenstandartenführer" Göring seit Januar 1937 ist.
SA-Männer in der Fallschirmtruppe
Erst 1939 wird mit dem Aufbau des Fallschirmjäger-Regiments 2 begonnen. Das I. Bataillon wird in Tangermünde und das II. Bataillon in Stendal aufgestellt. Ein Gutteil der Freiwilligen des neuen Regiments besteht aus früheren Angehörigen der zuvor als Luftlandeinfanterie in die Luftwaffe überführten SA-Standarte "Feldherrenhalle". Auch diese Personalanleihe an eine NS-Gliederung trägt dazu bei, dass die besondere Nähe der Fallschirmwaffe zum Nationalsozialismus weiter verfestigt wird. Ein drittes Fallschirmjäger-Regiment der Luftwaffe wird erst im Sommer 1940 auf der Basis des II. Bataillons des Fallschirmjäger-Regiments 1, sprich des vormaligen Fallschirm-Infanteriebataillons, aufgestellt.
Student wird Schöpfer der Fallschirmwaffe
Zum Kommandeur der 7. Fliegerdivision ernennt Göring bereits am 4. Juli 1938 Kurt Student. Der damalige Generalmajor - wie Göring im Ersten Weltkrieg Jagdflieger - gilt als der eigentliche Schöpfer der deutschen Fallschirmwaffe. 1936 erlebt Student als Militärbeobachter in der Sowjetunion, wie knapp 1.200 Fallschirmjäger in einem Manöver einen ganzen Flugplatz freikämpfen, der anschließend von 5.000 Luftlandesoldaten besetzt wird. Unter seiner Führung wird die 7. Fliegerdivision zur vollwertigen Division mit allen nötigen Unterstützungstruppen ausgebaut. So wird etwa im Sommer 1938 in Gardelegen eine Luftunterstützungsbatterie aufgestellt. Außerdem werden der 7. Fliegerdivision Transport-, Aufklärungs-, Kampf- und Jagdgeschwader der Luftwaffe zur Unterstützung zugeteilt.
"Instrument von schlachtentscheidender Bedeutung"
Student will die Fallschirmtruppe von ihrer anfänglich begrenzten taktischen Ausrichtung "zu einem Instrument von operativer, ja schlachtentscheidender Bedeutung" entwickeln, wie er es später formuliert. Dabei gesteht er ein, dass er sich mit der bis dahin vorherrschenden "Zerstörertaktik" der Fallschirmjäger nicht habe anfreunden können. Vor allem die "Chancen für ein Zurückkommen" der Soldaten seien ihm als zu gering erschienen, was zwangsläufig die "Moral der Truppe untergraben" musste.
Erfolge und Misserfolge im Kriegsjahr 1940
Dennoch sind es zunächst taktische Luftlandeeinsätze, mit denen sich die Fallschirmtruppe im Frühjahr 1940 in Dänemark, Norwegen, Belgien und den Niederlanden einen Namen macht. Die deutschen Fallschirmjäger nehmen Brücken und Flugplätze ein. Im nordnorwegischen Narvik springen sie zur Unterstützung der von britisch-französischen Expeditionskräften eingeschlossenen Gebirgsjäger und Marinesoldaten ab. In Belgien landen sie am 10. Mai 1940 mit Lastenseglern auf dem Sperrfort Eben Emael, welches sie mithilfe neuartiger Hafthohlladungen einnehmen.
Ein Luftlande-Großeinsatz auf Den Haag, bei dem die niederländische Regierung festgenommen werden soll, endet hingegen in einem Fiasko. 1.200 Fallschirmjäger geraten im Kampf um das Flugfeld Ypenburg in Gefangenschaft.
Luftlandekorps für große Operationen
Trotzdem hält Student am Konzept der operativen Großeinsätze seiner Fallschirmtruppe fest. Am 1. Januar 1941 bekommt er dafür mit dem XI. Fliegerkorps auch die entsprechende Struktur an die Hand. Zu dem Luftlandekorps gehören außer der 7. Fliegerdivision als Kerntruppe auch ein mit Lastenseglern ausgestattetes Luftlande-Sturmregiment sowie weitere Unterstützungstruppen. Außerdem verfügt das Korps im Frühjahr 1941 über eine eigene Aufklärungsstaffel sowie zehn Transportflieger-Gruppen mit rund 500 Ju 52-Tranportflugzeugen.
So gerüstet soll das mit drei Gebirgsjäger-Regimentern verstärkte und von starken Kampffliegerkräften der Luftwaffe unterstützte Fallschirmkorps Ende Mai 1941 die griechische Mittelmeerinsel Kreta einnehmen. Mehr als 3.000 deutsche Fallschirmjäger werden das erste große Luftlandeunternehmen der Kriegsgeschichte nicht überleben.
Literatur
Pahl, Magnus: "Eine ganze Fallschirmjäger-Division vielleicht 19 Fahrzeuge"? Zur Organisation und Ausstattung der Fallschirmtruppe. In: Hitlers Elitetruppe? Mythos Fallschirmjäger. Hrsg. von Magnus Pahl und Armin Wagner, Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, Dresden 2021, S. 39-60.
Golla, Karl-Heinz: Die deutsche Fallschirmtruppe 1936-1941. Ihr Aufbau und ihr Einsatz in den ersten Feldzügen der Wehrmacht, Hamburg, Berlin, Bonn 2004.
Stimpel, Martin: Die deutsche Fallschirmtruppe 1942-1945. Einsätze auf Kriegsschauplätzen im Osten und Westen, Hamburg 2001.
Hitlers Elitetruppe? Mythos Fallschirmjäger
Sonderausstellung: Juni 2021 bis Januar 2022
Militärhistorisches Museum Dresden
Olbrichtplatz 2
01099 Dresden
Öffnungszeiten:
täglich 10-18 Uhr
Mittwoch geschlossen