23. November 1942 Stalingrad 1942 - Als sich der Ring um die 6. Armee schließt
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23. November 2022, 07:00 Uhr
Neun Zehntel von Stalingrad hat die 6. Armee der Wehrmacht in der zweiten Novemberhälfte 1942 erobert. Dann werden ihre Flanken von gewaltigen Panzervorstößen der Roten Armee zertrümmert. Am 23. November 1942 treffen die sowjetischen Zangenarme bei Kalatsch am Don zusammen. 260.000 deutsche und verbündete Soldaten sind eingekesselt.
Es ist die Hölle, die in den Morgenstunden des 19. November 1942 nordwestlich von Stalingrad über die 3. rumänische Armee hereinbricht. Mit einem Trommelfeuer aus 3.500 Geschützen eröffnet die Rote Armee an der Don-Front zwischen Weschenskaja und Kletskaja die Operation "Uranus". Ziel der sowjetischen Großoffensive ist es, zunächst die 6. Armee und 4. Panzerarmee der Heeresgruppe B der Wehrmacht bei Stalingrad einzukesseln, dann auf Rostow am Don vorzustoßen und die deutsche Heeresgruppe A im Kaukasus abzuschneiden. Würde der Plan gelingen, wäre der gesamte Südflügel der deutschen Ostfront eliminiert.
Schwachpunkt in deutscher Front
Den Frontabschnitt entlang der nördlichen Donschleife, an dem die sowjetische Großoffensive am 19. November losbricht, hat das sowjetische Oberkommando, die Stawka, mit Bedacht gewählt. Die Kampfkraft der hier stehenden rumänischen 3. Armee entspricht nicht ansatzweise ihrer nominellen Stärke. Es fehlt an Panzern, Artillerie und Panzerabwehrgeschützen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Rumänen einen mehr als 100 Kilometer langen Abschnitt am West- bzw. rechten Ufer des Don verteidigen, an dem die Rote Armee zwei Brückenköpfe hält. Hinter diesen konzentriert sie seit Mitte September immer mehr Truppen und Gerät.
Paulus und OKH sind besorgt
Sowohl dem Oberkommando der 6. Armee unter General der Panzertruppe Friedrich Paulus als auch dem Oberkommando des Heeres (OKH) entgeht die Gefahr nicht, die der 6. Armee an ihrer nordwestlichen Flanke droht. 400 Kilometer entlang des Dons werden dort von drei nichtdeutschen Armeen gehalten. Neben der 3. rumänischen sind das eine ungarische und eine italienische Armee, um deren Kampfkraft es kaum besser bestellt ist. Die Heeresführung versucht, die schwache Don-Front im Oktober durch das Einschieben einzelner Wehrmachtdivisionen zu verstärken. Doch diese "Korsettstangen" werden bis November alle für den Kampf um Stalingrad abgezogen, wo die 6. Armee bereits 70.000 Soldaten und 1.000 Panzer verloren hat.
Hitler beharrt auf Einnahme Stalingrads
Paulus schlägt angesichts des bevorstehenden Winters und der Abnutzung seiner Truppen im Oktober 1942 vor, die Kämpfe um Stalingrad abzubrechen und die deutschen Verbände auf eine günstigere Winterstellung zurückzuziehen. Doch der Oberbefehlshaber von Heer und Wehrmacht, Adolf Hitler, lehnt das ab. Obwohl die ursprüngliche Zielsetzung der deutschen Sommeroffensive 1942, Stalingrad unter die "Wirkung der deutschen Waffen" zu bringen und als Rüstungs- und Verkehrszentrum auszuschalten, längst erreicht ist, beharrt der deutsche Diktator auf einer vollständigen Einnahme der Stadt, die den Namen seines schärfsten Kontrahenten trägt.
Aufklärung erwartet Offensive auf Smolensk
Die Gefahr einer Einkesselung der deutschen Kampfverbände bei Stalingrad will der "Führer" nicht erkennen. Bestärkt wird er darin durch die Abteilung Fremde Heere Ost der Abwehr, des Militärgeheimdienstes der Wehrmacht. Diese erwartet eine große sowjetische Winteroffensive eher am Mittelabschnitt der Ostfront mit Stoßrichtung Smolensk. Am Vorabend des 9. November prophezeit Hitler im Münchner Löwenbräukeller die bevorstehende Einnahme von Stalingrad und unterstreicht zugleich großspurig: "Keine Macht der Erde kriegt uns von dort wieder weg!" Zehn Tage später hat die Wehrmacht neun Zehntel der Riesenstadt an der Wolga erobert, als das Pendel des Krieges zurückschlägt.
Panzermassen überrollen Rumänen
Nach dem Trommelfeuer auf die Stellungen der 3. rumänischen Armee treten am 19. November 30 sowjetische Divisionen aus ihren Brückenköpfen bei Kletskaja und Serafimowitsch zum Angriff an. Die Rumänen leisten zunächst zähen Widerstand, werden aber schließlich von den sowjetischen Panzermassen überrollt. Versuche einzelner deutscher "Alarmverbände", die Frontlücke zu schließen, sind zum Scheitern verurteilt. Am Abend sind die sowjetischen Panzerverbände 35 Kilometer tief in die Nordwest-Flanke der 6. Armee vorgestoßen.
Zweiter Angriff südlich von Stalingrad
Doch damit nicht genug. Einen Tag später, am Morgen des 20. November, durchbrechen südlich von Stalingrad zwei sowjetische Armeen die Front des VI. rumänischen Armeekorps im Raum Iwanowka. Auch hier bricht der Widerstand der Rumänen schnell zusammen. Nördlich anschließende Verbände der 4. deutschen Panzerarmee werden auf Stalingrad abgedrängt. Versuche von Armee-Oberbefehlshaber, Generaloberst Hermann Hoth, mit seinen Panzern den sowjetischen Vorstoß zu bremsen, scheitern. Der südliche Zangenarm der Roten Armee schwenkt ungehindert nach Nordwesten ein, während der nördliche Zangenarm mit Wucht nach Südosten stößt.
Bei Kalatsch schließt sich der Ring
Am frühen Morgen des 22. November kann eine sowjetische Vorausabteilung die Brücke über den Don bei Kalatsch unzerstört einnehmen und am Westufer des Flusses einen Brückenkopf bilden. Um 19 Uhr meldet der Oberbefehlshaber der 6. Armee, Paulus, an seine Vorgesetzten: "Armee eingeschlossen." Das ist zwar voreilig, denn noch besteht ein kleiner Korridor aus dem drohenden Kessel. Doch die Würfel sind gefallen. Am Nachmittag des 23. November 1942 treffen der nördliche und der südliche Zangenarm der Roten Armee an der Bahnstation Sowjetski bei Kalatsch zusammen. In einem 60 mal 40 Kilometer großen Kessel sitzen 260.000 deutsche und verbündete Soldaten fest.
Hitler will Stalingrad halten
Paulus lässt den möglichen Ausbruch seiner Truppen nach Südwesten vorbereiten und erbittet dafür "Handlungsfreiheit". Doch Hitler befiehlt, Stalingrad zu halten. Die 6. Armee soll sich an der Wolga "einigeln" und - wie Anfang des Jahres die deutschen Truppen im Kessel von Demjansk - aus der Luft versorgt werden.
Doch bei Demjansk waren 96.000 Soldaten über eine Distanz von 30 Kilometern zu versorgen, während es bei Stalingrad 260.000 über 60 Kilometer sind. Die zuständigen Luftwaffen-Befehlshaber vor Ort halten eine Luftversorgung der 6. Armee mit einem täglichen Mindestbedarf von 350 Tonnen Sprit, Waffen, Munition und Verpflegung für ausgeschlossen. Neben den begrenzten Kapazitäten führen sie unter anderem die große Entfernung sowie die Wetterverhältnisse an.
Göring und Manstein versprechen Luftversorgung
Doch sowohl der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Reichsmarschall Hermann Göring, als auch der Oberbefehlshaber der neu geschaffenen Heeresgruppe Don, Generalfeldmarschall Erich von Manstein, behaupten, dass eine Luftversorgung der 6. Armee möglich ist. Sie sollten komplett daneben liegen. Nur an drei Tagen im Dezember 1942 gelingt es, täglich 350 Tonnen an Versorgungsgütern in den Stalingrader Kessel zu fliegen. Ansonsten liegt die Quote meist weit darunter. Durch Kämpfe und mangelnde Versorgung verliert die 6. Armee bereits nach kurzer Zeit massiv an Kampfkraft.
"Wintergewitter" und "Donnerschlag"
Noch vertrauen die im Kessel ausharrenden deutschen Soldaten auf den Propagandaslogan: "Haltet aus, der Führer haut Euch raus." Tatsächlich erteilt Hitler am 1. Dezember der Heeresgruppe Don den Befehl, den Stalingrader Kessel zu entsetzen. 20 Divisionen verspricht er dafür. Am Ende sind es gerade mal sechs Divisionen, die am 12. Dezember von Süden kommend zur Operation "Wintergewitter" antreten. 120 Kilometer hat das kleine Entsatzheer von Generaloberst Hermann Hoth vor sich. Am 19. Dezember kämpft sich Hoths Armeegruppe bis auf 50 Kilometer an den Einschließungsring von Stalingrad heran.
Hitler verbietet Gesamtausbruch
Manstein will die 6. Armee den Entsatztruppen entgegen stoßen lassen (Unternehmen "Donnerschlag"). 20 Kilometer würde der abgekämpfte Großverband vielleicht noch schaffen, hofft man. Doch Hitler verbietet einen Gesamtausbruch. Er will Stalingrad unter allen Umständen halten und gesteht nur einen schmalen Versorgungskorridor zu. Weder Manstein noch Paulus wagen, den "Führerbefehl" zu konterkarieren. Vermutlich wäre "Donnerschlag" zu diesem späten Zeitpunkt ohnehin zum Scheitern verurteilt gewesen. Die beste Gelegenheit für einen Ausbruch der 6. Armee hatte man längst verpasst.
Hoths Rückzug und das Ende aller Hoffnungen
Am 24. Dezember greifen starke sowjetische Kräfte Hoths Entsatztruppen 50 Kilometer vor Stalingrad an und zwingen diese kurz darauf zum Rückzug. Eine Panzerdivision hatte Hoth zuvor bereits abgeben müssen, um einen sowjetischen Durchbruch bei der 8. italienischen Armee am Don zu stoppen. Im Kessel von Stalingrad bekommen die "Landser" mit, wie sich der Gefechtslärm in den letzten Dezembertagen 1942 allmählich von Stalingrad entfernt. Die Hoffnung der Soldaten, dem Kessel an der Wolga zu entkommen, ist damit endgültig gestorben. Bis zum Ende der Schlacht von Stalingrad am 2. Februar 1943 wird mehr als ein Drittel von ihnen tot sein.
Literaturhinweise
- Diedrich, Torsten: Stalingrad 1942/43. Hrsg. vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Ditzingen 2018.
- Ders.: Paulus. Das Trauma von Stalingrad. Eine Biographie, Paderborn 2009.
- Ueberschär, Gerd R.: Stalingrad - eine Schlacht des Zweiten Weltkriegs, in: Stalingrad. Mythos und Wirklichkeit einer Schlacht. Hrsg. von Wolfram Wette und Gerd R. Ueberschär, Frankfurt am Main 1992, S. 18-42.
- Wegner, Bernd: Der Krieg gegen die Sowjetunion 1942/43. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 6. Der globale Krieg. Von Horst Boog, Werner Rahn, Reinhard Stumpf, Bernd Wegner. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Stuttgart 1990.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Generalfeldmarschall Paulus – Der Verlierer von Stalingrad und die DDR | 16. Oktober 2011 | 20:15 Uhr