Längstwellensender Goliath – Stärkster U-Boot-Sender der Welt funkte aus der Altmark
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02. Juni 2024, 05:00 Uhr
Im Frühjahr 1943 nimmt die Kriegsmarine bei Kalbe (Milde) in der Altmark den Längstwellensender "Goliath" in Betrieb. Der seinerzeit stärkste Sender der Welt kann getauchte U-Boote in mehr als 10.000 Kilometern Entfernung anfunken. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird der "Goliath" nahe dem russischen Nischni Nowgorod aufgebaut, wo er bis heute von der Russischen Seekriegsflotte genutzt wird.
Deutsche Unterseeboote sind im Zweiten Weltkrieg eine tödliche Bedrohung für alliierte Schiffe. Geführt werden sie vom Befehlshaber der U-Boote (BdU) per Funk. Über diese Funkführung erhalten die U-Boote ihre taktischen Einsatzbefehle. Auch die Versorgung der in weit entfernten Gebieten operierenden Boote mit Treiböl, Torpedos und anderen Vorräten durch U-Tanker wird über Funk organisiert. Ein Großteil des Funkverkehrs wird per Kurzwelle abgewickelt. Doch Kurzwellen unterliegen Schwankungen, die von verschiedenen Faktoren wie reflektierenden Flächen, Jahres- und Tageszeiten oder auch Sonnenflecken abhängig sind.
Nur Längstwellen unter Wasser empfangbar
Vor allem aber können Kurzwellen nicht von getauchten U-Booten empfangen werden. Kurzwellen werden – und das gilt für Mittel- und Langwellen genauso – von der Wasseroberfläche reflektiert. Einzig Längstwellen (Wellenlänge: über 10 bis 20 Kilometer, Frequenz unter 30 Kilohertz) dringen sowohl in die Erde als auch in das Wasser ein und können von getauchten U-Booten empfangen werden.
Zudem können mit Längstwellen, die bei ihrer Ausbreitung zwischen Ionosphäre und Erdoberfläche nur einer geringen Dämpfung ausgesetzt sind, besonders hohe Reichweiten erzielt werden. Deshalb versendet die deutsche U-Boot-Führung im Zweiten Weltkrieg ihre Befehle im Tastfunkbetrieb (Morse) an ihre U-Boote nicht nur über Kurz-, sondern immer auch über Längstwelle. Insgesamt 24 Kurzwellen- und sieben Längstwellensender stehen der deutschen Kriegsmarine im Laufe des Krieges zur Verfügung.
"Goliath" sprengt alle Dimensionen
Die seinerzeit modernste und leistungsstärkste Sendeanlage der Welt nimmt die Kriegsmarine im Frühjahr 1943 nahe der Altmark-Stadt Calbe (heute Kalbe) an der Milde mit dem Längstwellensender "Goliath" in Betrieb. Der Name der 14 Kilometer nördlich von Gardelegen gelegene Großfunkstelle ist Programm.
Der "Goliath" sprengt alle bis dahin gekannten Dimensionen. Mit einer Sendeleistung von 1.000 Kilowatt (kW) für einen Frequenzbereich von 15 bis 60 Kilohertz (kHz) übertrifft der "Goliath" alle anderen vergleichbaren Funksender der damaligen Zeit. Die abgestrahlten Längstwellen seiner mehrfach abgestimmten Antennen sind noch in über 10.000 Kilometern Entfernung von getauchten U-Booten bis 26 Meter unter Wasser zu empfangen.
Über 200 Meter hohe Sendemasten
Voraussetzung für die enorme Sendeleistung des "Goliath" ist seine gigantische Antennenanlage. Sie besteht aus drei symmetrisch zueinander angeordneten sechseckigen Schirmantennen. In deren Mitte steht jeweils ein 204 Meter (nach anderen Angaben 210 Meter) hoher und gegen Erde isolierter Stahlrohr-Sendemast. Um den zentralen Stahlrohrmast herum sind jeweils sechs geerdete 170 Meter hohe Gittermaste im Sechseck angeordnet.
Die Kantenlängen der Sechsecke betragen jeweils 400 Meter, die durch 36 Millimeter dicke Randseile überbrückt sind. Zwischen jedem dieser sechs Randseile einer Schirmantenne und deren zentralem Stahlrohrmast sind wiederum je sechs 25 Millimeter dicke Stahl-Aluminium-Hohlseile gespannt. Sie sorgen quasi für eine elektrische Verlängerung des Sendemastes. Die Gesamtlänge aller montierten Antennenseile beträgt 50 Kilometer. Hinzu kommt ein 350 Kilometer langes Erdnetz aus verzinktem Eisenband, das für einen geringen Erdungswiderstand und somit für eine hohe abgestrahlte Leistung sorgt. Zusammen bilden alle drei Schirmantennen des "Goliath" eine gigantische Sendestelle, deren Grundriss in etwa die Form eines Dreiecks mit je 2,4 Kilometer langen Seiten bildet.
Großfunkstelle von U-Boot-Chef Dönitz
Insgesamt 2,63 Quadratkilometer (263 Hektar) nimmt das Areal des seit 1941 in 27 Monaten Bauzeit errichteten "Goliath" ein. Die Wahl der Kriegsmarine fällt nicht von ungefähr auf die Gegend nordöstlich Calbe. Der gleichförmig ebene Standort am Fluss Milde mit seinen feuchten Bodenverhältnissen bietet aufgrund seiner hohen Leitfähigkeit gute Erdungsbedingungen und damit optimale Voraussetzungen für einen Längstwellensender sehr hoher Reichweite.
"Goliath" ersetzt nach seiner Inbetriebnahme im Frühjahr 1943 die beiden älteren Längstwellensender Nauen I und Nauen II nordwestlich von Berlin als zentrale Sendestelle des Befehlshabers der U-Boote, Großadmiral Karl Dönitz. Der BdU, seit 30. Januar 1943 zugleich Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, hat seine Befehls- und Funkleitstelle mittlerweile aus dem französischen Lorient in das neue Führungszentrum "Koralle" des Oberkommandos der Kriegsmarine nördlich von Bernau bei Berlin verlegt. Von dort wird "Goliath" durch niederfrequente Tonsignale über eine besondere Telefonleitung ferngetastet.
Neue Phase im U-Boot-Krieg
Die Indienststellung von "Goliath" im Frühjahr 1943 fällt zusammen mit einer neuen Phase der deutschen U-Boot-Kriegführung. Nach enormen Verlusten aufgrund verbesserter alliierter U-Boot-Abwehr stellt Dönitz die großen Operationen gegen alliierte Geleitzüge im Nordatlantik ein. Statt koordinierter Überwasser-Angriffe größerer U-Boot-Rudel setzt der BdU fortan auf Operationen im kleineren Stil. Die bisherigen U-Boot-Typen VII und IX, die genau genommen mehr Tauch- als vollwertige Unterseeboote sind, werden mit einklappbaren Schnorcheln ausgerüstet. Die technische Neuerung erlaubt es den Booten, fortan auch unter Wasser mit Dieselantrieb zu fahren. Dadurch können sich die deutschen U-Boote viel länger auf Tauchstation begeben, um der permanenten alliierten Luft- und Seeüberwachung zu entgehen.
Längstwellenfunk immer wichtiger
Für die Kommunikation mit den über lange Phasen getaucht fahrenden U-Booten sind Längstwellensender wichtiger denn je. Die Boote empfangen die Längstwellen unter Wasser bei herabgesetzter Geschwindigkeit über den sogenannten Peilrahmen – einer zunächst mittels Druckluft und später ölhydraulisch ausfahrbaren Rahmenantenne – und den Peilempfänger. Um Funksprüche abzusetzen, müssen die modifizierten U-Boote weiterhin auftauchen, da sie lediglich über Kurz- und Langwellensender verfügen, deren Wellen sich nur über Wasser ausbreiten können. Noch wichtiger wird der Längstwellenfunk mit der Indienststellung der ersten echten Unterseeboote der Typen XXI und XXIII ab 1944/45. So sind etwa die größeren Typ XXI-Boote in der Lage, mehr als fünf Monate fast durchweg in Unterwasserfahrt zu absolvieren. Zum Absetzen ihrer Kurzwellen- und UKW-Funksprüche fahren sie auf Sehrohrtiefe (6,2 Meter) eine Stabantenne über die Wasseroberfläche aus.
"Goliath" erst gegen Kriegsende beschädigt
Obwohl der Längstwellensender "Goliath" mit seiner enormen Größe ein leicht auszumachendes Ziel für alliierte Bomber im Luftkrieg ist, wird er bis Kriegsende weder angegriffen noch zerstört. Das liegt vermutlich daran, dass die Briten, die längst den deutschen Enigma-Funkschlüssel geknackt haben, nicht auf die abgehörten Informationen aus dem deutschen Längstwellen-Funkverkehr verzichten wollen.
Wie der Kalbenser Heimatforscher Henning Krüger zudem unter Berufung auf Zeitzeugen berichtet, nutzen die alliierten Bomberverbände den Goliath offenbar zudem auch als Landmarke. Erst kurz vor Ankunft der US-Truppen im April 1945 wird der "Goliath" vom eigenen Betriebspersonal unbrauchbar gemacht. Unter anderem werden Messinstrumente ausgebaut und die Röhren des Hauptsenders zerstört. Das "Goliath"-Personal wird Berichten zufolge nach Holstein abkommandiert, wo es bis Kriegsende im Mai 1945 einen mobilen Längstwellensender zur U-Boot-Führung weiterbetreibt.
Im Dienste der Sowjetunion und Russlands
Am 11. April 1945 besetzen die vorrückenden US-Amerikaner das "Goliath"-Gelände. Sie wandeln es in ein Lager für 85.000 deutsche Kriegsgefangene um. Ende Juni rückt im Zuge des Besatzungswechsels die Rote Armee in die Altmark ein.
Die Sowjets lassen den Längstwellensender unter anderem von Experten der Herstellerfirma C. Lorenz AG aus Berlin reparieren, noch einmal in Betrieb nehmen und bis Juni 1947 komplett abbauen. Danach werden die Gebäude und Fundamente des "Goliath" gesprengt. Die demontierte Sendeanlage wird in die Sowjetunion verfrachtet und zunächst in einem Marinelager in Wyborg bei Leningrad (Sankt Petersburg) eingelagert. 1952 wird der "Goliath" unter gleichem Namen (russisch: Goliaf) etwa zehn Kilometer südlich von Nischni Nowgorod (400 Kilometer östlich Moskau) wieder aufgebaut. "Goliath" ist der erste Längstwellensender der Sowjetunion. Die Sendeanlage ist seither unverändert in Betrieb und wird heute von der Russischen Seekriegsflotte genutzt.
Vielen Dank an Herrn Henning Krüger, Heimatforscher in Kalbe (Milde), für die Zurverfügungstellung der Fotos sowie spannende Informationen zum Thema!
Literatur
- Bauer, Arthur O.: Funkpeilung als alliierte Waffe gegen deutsche U-Boote 1939-1945. Wie Schwächen und Versäumnisse bei der Funkführung der U-Boote zum Ausgang der Schlacht im Atlantik beigetragen haben, Diemen 1997.
- Herold, Klaus: Der Längstwellensender Goliath in Calbe an der Milde von 1941 bis 1945. In: Bauer, Arthur O.: Funkpeilung als alliierte Waffe gegen deutsche U-Boote 1939-1945, Diemen 1997, S. 236-275.
- Krüger, Henning [Hrsg.]: Geschichte(n) über Kalbe (Milde). Der "Goliath", oder die Geschichte einer Wiese. Zusammengestellt von Henning Krüger, Kalbe (Milde) 2020.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Unterwegs in Sachsen-Anhalt | 02. August 2008 | 18:15 Uhr