Rück- und Ausblick Ukraine-Krieg: Düstere Aussichten nach einem dritten schweren Jahr
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30. Dezember 2024, 14:34 Uhr
Der 24. Februar 2025 – Montag nach der vorzeitigen Bundestagswahl in Deutschland – könnte für die Ukraine der dritte Jahrestag des russischen Überfalls auf das ganze Land werden. Nach Erfolgen 2022 bei der teilweisen Eindämmung der russischen Aggression endet 2024 für die Ukraine nun als weiteres Kriegsjahr mit Rückschlägen und pessimistischen Aussichten.
- Militärische Entwicklungen an den verschiedenen Fronten
- Politische Entwicklungen: Ukraine-Hilfe und Waffenlieferungen
- Opfer-Zahlen und mögliche Entwicklungen im neuen Jahr
Kurz vor dem Ende des dritten Kriegsjahrs in der Ukraine gibt es kaum Hoffnung, dass Russland seine Angriffe auf das Nachbarland bald stoppt. Vor der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Donald Trump am 20. Januar dürfte es keinen Waffenstillstand geben und auch danach vermutlich keine allzu schnelle Lösung. Das hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow am 26. Dezember noch einmal durchaus deutlich gemacht.
Ohne ein umfassendes Abkommen mit den USA werde Präsident Waldimir Putin keinem Waffenstillstand zustimmen, sagte Lawrow, ohne die Ukraine oder das übrige Europa einzubeziehen. Man wolle mit der neuen US-Führung verhandeln, hieß es. Bis dahin werde Russland seine Ziele weiter verfolgen, sagte der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow einen Tag vor Lawrow: "Wir sehen diese Dynamik, sie spricht für sich selbst, also bewegen wir uns vorwärts."
Die militärischen Entwicklungen 2024
Der Verlauf der Kämpfe 2024 scheint Peskow zumindest teilweise Recht zu geben: Die russische Armee bewegt sich vorwärts, wenn auch sehr langsam und nur gegen den weiterhin erbitterten Widerstand der Ukraine.
Dabei war 2023 nach einer bis Herbst gescheiterten ukrainischen Gegenoffensive im Südosten und dem Beginn eines Drohnenkriegs in neuen Dimensionen zunächst mit einer Verfestigung der Fronten in der Ost-Ukraine zu Ende gegangen. Aus dem russischen Angriffskrieg und der Verteidigung der Ukraine schien ein Abnutzungskrieg geworden zu sein.
Noch im Oktober 2023 hatte die russische Armee begonnen, auf die in der ost-ukrainischen Region Donezk gelegene Stadt Awdijiwka vorzurücken. Mit hohen Verlusten kam sie langsam voran. Und im Februar 2024, kurz nachdem Präsident Wolodymyr Selenskyj die Armeeführung ausgetauscht hatte, zog die letzte ukrainische Einheit vor ihrer Umzingelung aus Awdijiwka ab.
Unter anderem hatte sich Ex-Armee-Chef Walerij Saluschnyj öffentlich über den Mangel an Munition beklagt. Zudem wurde immer deutlicher, dass die Ukraine nicht genug neue Soldaten rekrutieren kann und die Ermüdung der schon lange an der Front eingesetzten Truppen zum Problem wird.
Ab April 2024 begannen russische Truppen dann in Richtung der Stadt Tschassiw Jar vorzustoßen. Zudem durchbrachen sie von Awdijiwka aus die Front bei Otscheretyne und rückten auf die strategisch wichtige Stadt Pokrowsk und ihren Eisenbahn-Knotenpunkt vor – Ende 2024 war die Stadt aber noch immer umkämpft. Seit Mai versuchten russische Truppen von Russland aus auch wieder auf die Großstadt Charkiw im Nordosten der Ukraine vorzurücken, was bis Ende 2024 aber nicht weiter vorankam.
Von ukrainischer Seite wurden unterdessen zunehmend auch Ziele in Russland mit Drohnen und Raketen angegriffen, vor allem in der Grenze näheren Regionen wie Belgorod und Kursk, aber auch tiefer in Russland. Ziele waren oft Erdöl-Raffinerien, Flugplätze, Munition, Flugabwehr, der Hafen von Sewastopol auf der Krim und ihre neu gebaute Brücke nach Russland.
Entlastungsangriff in der Region Kursk
Eine Überraschung war dann der ukrainische Vorstoß in die russische Region Kursk in der Nacht vom 5. auf den 6. August. Hieß es dazu aus Russland gleich am nächsten Tag, man habe den Vorstoß abgewehrt, stellte sich jedoch bald heraus, dass genau das nicht der Fall war.
Zwar meldete Russland dann immer wieder Erfolge bei seiner Gegenoffensive im Gebiet Kursk. Tatsächlich waren ukrainischen Truppen bis zuletzt aber noch dort. Und der Einsatz nordkoreanischer Soldaten in der Region scheint darauf hinzuweisen, dass auch Russland ein militärisches Personalproblem hat.
Von der Ukraine als Entlastungsangriff beschrieben, dürfte er auch dem Schutz von Charkiw dienen, denn die große Stadt im Nordosten, könnte 2025 ein Ziel für Russland bleiben, sollte die russische Armee dazu noch Kapazitäten haben. Zuletzt gab es jedoch Hinweise, dass die Ukrainer in der Kursk-Region nicht mehr lange durchhalten könnten.
Politische Entwicklung und Waffenlieferungen
Während die Bestätigung von Machthaber Wladimir Putin in Russland für wenig Überraschung sorgte, könnte die erneute Wahl von Donald Trump in den USA für die Ukraine größere Bedeutung bekommen. Trump verkündete auch nach seiner Wahl vollmundig, er könne den Krieg schnell beenden. Das führt in der Ukraine zu der Befürchtung, der Weg dahin könne über die Abtretung und den dauerhaften Verzicht auf Gebiete führen, wozu die USA die Ukraine durch eine Verringerung ihrer Hilfen zwingen könnten.
Soweit bekannt ist, will Putin die Gebiete um Cherson und Saporischschja sowie Donezk und Luhansk im Süden und Osten der Ukraine, die nicht ganz unter russischer Kontrolle stehen. Zudem will der Kreml die Krim behalten, die Ukraine soll auf einen Nato-Beitritt verzichten, "blockfrei" bleiben und eine andere Regierung bekommen. Alles das lehnt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bisher allerdings ab.
Was allerdings passieren kann, wenn die USA ihre Munitions- und Waffenlieferungen verringern, zeigte das Ende des Jahres 2023, als die jetzt regierenden Republikaner weitere Bewilligungen bremsten. Weil die USA von allen Unterstützern am meisten lieferten, stellte sich bei den ukrainischen Streitkräften schnell ein Mangel ein, was sie in die Defensive brachte und wohl auch einer der Gründe für die Niederlage bei Awdijiwka war.
Doch auch in Deutschland, das als weitere wichtige Stütze der Ukraine gilt, war die Hilfe in diesem Jahr bisweilen brüchig. Zudem forderte – getrieben vom Wahlkampf in Sachsen – mit Ministerpräsident Michael Kretschmer sogar ein CDU-Politiker eine Kürzung deutscher Waffenhilfen, nur drei Tage nach dem Beginn der ukrainischen Offensive nach Kursk.
Dabei hielten westliche Länder wie die USA und die der EU auch in diesem Jahr – wie 2023 – die Ukraine auch mit zivilen Geld- und anderen Mitteln über Wasser. Noch im April 2023 hatte die Ukraine die etwa aus Deutschland für Waffen nötigen Mittel auf jährlich 35 Milliarden Euro beziffert. Zuletzt sollten es nun etwa 20 Milliarden Euro sein, während Bundeskanzler Olaf Scholz von rund 28 Milliarden sprach. Die politischen Debatten hierzulande drehten sich aber zunehmend auch um den Einsatz westlicher Waffen in Russland.
Das prominenteste Beispiel dafür ist der deutsche Marschflugkörper "Taurus", dessen Lieferung an die Ukraine der Bundestag im März 2024 ablehnte, und bei dem umstritten ist, ob sein Einsatz deutsche Beteiligung voraussetzt. Ob CDU-Chef Friedrich März sein Versprechen einer Lieferung wird einhalten können, ist eine der offenen Fragen für 2025.
Dabei unterstützen auch andere EU-Länder die Ukraine mit modernen Waffensystemen. Aus den Niederlanden etwa kamen noch unter Mark Rutte als Regierungschef erste F-16-Kampfjets. Seit Oktober 2024 ist er nun Nato-Generalsekretär, und mindestens eine der Maschinen hat die Ukraine schnell wieder verloren. Einen bedeutenden Schritt zur Festigung ihrer Hilfen hat aber die EU noch im November gemacht: Sie finanzierte erstmals Waffenkäufe für die Beitrittskandidatin Ukraine aus ihrem regulären Haushalt.
Krieg gegen die Zivilbevölkerung
Seit März 2024 wurden nach Angaben des ukrainischen Energieministers Herman Haluschtschenko bis zu 80 Prozent der Wärmekraftwerke, mehr als die Hälfte der Wasserkraftwerke und viele Relais-Stationen angegriffen. Bis August habe das Land seit Kriegsbeginn neun Gigawatt Kraftwerkskapazität verloren. Bis Juni 2024 sei etwa die Hälfte der Stromerzeugungsinfrastruktur beschädigt oder zerstört worden. Der vorerst letzte russische Großangriff auf die Energieversorgung wurde am ersten Weihnachtstag verübt.
Regelmäßige Reparaturen der Anlagen sind 2024 ein bedeutender Teil der zivilen Hilfe für die Ukraine geworden. Vor allem Notstrom-Aggregate werden gebraucht. Neben der Energieversorgung wurden jedoch auch andere, nicht militärische Ziele getroffen, etwa die Kinderklinik in Ochmatdyt im Juli.
Schätzungen zur Zahl der Opfer
In der Ukraine hat der Krieg nach Zählung des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) bis Ende November 2024 mindestens 12.340 zivile Todesopfer gefordert, dabei mindestens 667 Kinder. Zudem seien mindestens 27.836 Zivilisten verletzt worden, darunter 1.805 Kinder. Diese Angaben sind demnach sicher bestätigte Opfer. Das OHCHR geht aber von weitaus höheren tatsächlichen Zahlen aus. Opfer unter der russischen Zivilbevölkerung werden von dort nur sporadisch gemeldet. Offizielle Zählungen sind nicht bekannt.
Zudem waren bis Mitte Oktober 2024 in den europäischen Ländern etwa sechs Millionen aus der Ukraine geflohene Menschen registriert, die meisten in Polen, gefolgt von Deutschland mit mehr als einer Million bis November.
Die Verluste an Soldaten lassen sich noch schwieriger angeben, da beide Seiten solche Zahlen kaum offiziell nennen. Im September kamen Medien zu dem Ergebnis, dass Russland mindestens 66.000 Soldaten seit Kriegsbeginn verloren habe. Eine Fortschreibung der Recherchen, veröffentlicht etwa durch die BBC, sah bis November die Namen von mehr als 78.000 toten russischen Soldaten bestätigt. Auch hier dürften die tatsächlichen Zahlen höher sein.
Für die Ukraine nannte deren Präsident Selenskyj die Zahl von 43.000 getöteten ukrainische Soldaten seit Kriegsbeginn, wie Anfang Dezember der Deutschlandfunk meldete. Dabei habe Selenskyj auch von etwa 370.000 Verwundeten gesprochen, von denen die Hälfte später wieder zur Armee zurückgekehrt sei. Auch das war unabhängig noch nicht überprüfbar.
Ausblick auf 2025 kaum möglich
Eine Prognose für das kommende Jahr ist im Grunde unmöglich. Bestimmt aber lässt sich sagen, dass die Politik der USA unter ihrem neuen und "alten" Präsidenten Donald Trump ab Januar wohl einer der wichtigsten Aspekte für den weiteren Aus- und Fortgang des Kriegs in Ost-Europa sein wird.
Dass der Schlüssel zum Ende des Kriegs in den USA liegen soll, könnte noch zum Problem werden, da es die russische Erzählung einer westlichen Schuld daran noch zu bestätigen scheint. Auch 2024 wurde Moskau nicht müde, der Ukraine mangelnde Bereitschaft zu Gesprächen vorzuwerfen, ohne die für sie unannehmbaren Bedingungen zu erwähnen oder eben einzugestehen, dass Russland diesen Krieg begonnen hat und ihn fortsetzt.
Ein beredtes Beispiel dafür lieferte im Dezember die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, als sie den deutschen Botschafter Alexander Graf Lambsdorff für Aufrufe zum Frieden kritisierte. Er solle sie an den Westen und Kiew richten, schrieb sie: "Die direkte Verantwortung für den Tod der Menschen liegt beim kollektiven Westen, der mit seinen Waffenlieferungen die Fortsetzung des Blutvergießens stimuliert."
Wer das Blutvergießen vor drei Jahren begonnen hat, erwähnte sie nicht. Ob und wie auch 2025 der russische Krieg gegen eine eigenständige Entwicklung der Ukraine weitergeht, erfahren Sie in unserer aktuellen Berichterstattung:
MDR AKTUELL mit u.a.: dpa/AFP/Reuters
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 26. Dezember 2024 | 07:09 Uhr