Einzelhandel Ärger um "Kriegsprofitsteuer": Will Ungarn ausländische Ketten vergraulen?
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06. Dezember 2024, 16:42 Uhr
Ungarns "illiberale Wirtschaftspolitik" stößt zunehmend auf Kritik. Stein des Anstoßes sind vor allem Sondersteuern auf kriegs- und krisenbedingte "Extragewinne". 2022 eingeführt, wurden sie nun in einigen Branchen aufgehoben, in anderen aber nicht.
Die österreichische Einzelhandelskette Spar hat kürzlich eine Klage gegen die ungarische Regierung gewonnen: Die Preisobergrenzen, die Ungarn 2022 für mehrere Lebensmittel eingeführt hatte, um Verbraucher vor der hohen Inflation zu schützen, verstoßen gegen das EU-Recht, urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im September 2024.
Sondersteuer belastet Einzelhändler
Für Spar ist das Urteil aber nur ein Etappensieg im Kampf ums Überleben auf dem ungarischen Markt. Das Unernehmen leidet nämlich massiv unter Sondersteuern für Einzelhändler. Schon 2020 wurde eine Einzelhandelssteuer eingeführt. Zwei Jahre später kamen branchenspezifische Sondersteuern auf Einnahmen hinzu, die die Regierung als kriegs- und krisenbedingte "Extraprofite" einstuft.
Obwohl die Steuern ursprünglich für die Jahre 2022 und 2023 gedacht waren, wurden sie auch 2024 eingezogen. Zu den betroffenen Branchen gehörten neben dem Einzelhandel auch die Luftfahrt, Pharmaproduktion und Arzneimittelhandel, das Bankwesen und der Energiesektor. Bei Spar schlug die Sondersteuer mit etwa 90 Millionen Euro jährlich zu Buche und machte das Engagement des österreichischen Konzerns in Ungarn zu einem Verlustgeschäft.
Sollen ausländische Ketten vertrieben werden?
Laut Spar diskriminiert die Steuer absichtlich ausländische Unternehmen mit dem Ziel, sie entweder ganz vom ungarischen Markt zu drängen oder zumindest dazu zu zwingen, Anteile an ungarische Firmen abzugeben. Im Oktober 2024 leitete die Europäische Kommission nach einer Spar-Beschwerde ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierung in Budapest ein. Die Begründung: Die Sondersteuer für Einzelhändler schränke die Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU ein.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine 2024 veröffentlichte Studie des Instituts für Europäische Politik (IEP) über die Lage der deutschen Unternehmen im Land. Die Autoren sehen Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit in der ungarischen Wirtschaftspolitik: Durch branchenspezifische Sondersteuern würden ausländische Unternehmen diskriminiert, und die "illiberale Wirtschaftspolitik" der ungarischen Regierung führe "zu einem systematischen Abbau von fairem wirtschaftlichen Wettbewerb, der die Grundlage des europäischen Binnenmarktes bildet".
Auch der ungarische Wirtschaftsprofessor Péter Ákos Bod bestätigt im Gespräch mit dem MDR, dass die Regierung mit den Sondersteuern in den Wettbewerb eingreife. "Man sieht sehr deutlich, dass es sich nicht um ein oder zwei Fehler handelt, sondern um ein Konzept", sagt Bod. Dieses bestehe darin, die Gewinnsteuern niedrig zu halten, um Kapital ins Land zu locken. Später entschied man jedoch, über Sondersteuern Zusatzeinnahmen zu erzielen, um das steigende Haushaltsdefizit auszugleichen. Diese gäben der Regierung die Möglichkeit, "in die Wettbewerbssituation einzugreifen".
Unternehmen vermissen Planungssicherheit
Ausländische Unternehmen vermissen aufgrund der Sondersteuer auch Planungssicherheit im ungarischen Steuersystem. Das belegt die letzte Konjunkturumfrage der Deutsch-Ungarischen Handelskammer. "Nachdem von 2012 bis 2022 die Zufriedenheit mit dem Steuersystem stetig zugenommen hatte, haben die Jahre 2023 und 2024 wieder schwächere Zufriedenheitswerte gebracht", erklärte die Kammer bei der Veröffentlichung der Umfrage. Als Ursache dafür nannte die Kammer u.a. die branchenspezifischen Sondersteuern oder "Extraprofit-Steuern", wie sie in Ungarn genannt werden. Abgesehen von der hohen Steuerbelastung waren 60 Prozent der befragten Unternehmen mit der Berechenbarkeit der ungarischen Wirtschaftspolitik generell unzufrieden und 48 Prozent mit der Rechtssicherheit. Ähnlich schlechte Werte wurden zuletzt 2017 registriert.
Auch ungarische Firmen leiden
Neu ist, dass inzwischen nicht nur ausländische Unternehmen die Sondersteuern kritisieren. "Es gibt vierzehn Arten von Steuern, die in den letzten zwei Jahren neu eingeführt wurden. Wo ist das berechenbare Steuersystem geblieben? (...) Wann wird es wieder Normalität geben?", fragte im Sommer 2024 Zsolt Hernádi, Chef des ungarischen Ölkonzerns MOL, in einem Gastbeitrag in der regierungsnahen Wochenzeitung "Mandiner".
Ähnlich äußerte sich laut Presseberichten Sándor Csányi, Geschäftsführer der OTP-Bank, im Oktober diesen Jahres. Auf einer Veranstaltung forderte er, dass es weniger Sondersteuern im Bankensektor geben sollte. Der Bänker kritisierte, die Regierung habe trotz gegenteiliger Versprechungen die "Extraprofitsteuer", die auch den Bankensektor betreffe, immer noch nicht abgeschafft.
Unterdessen hat die Regierung angekündigt, die Sondersteuern ab 2025 in bestimmten Branchen abzuschaffen. Der Einzelhandel, die Banken und der Energiesektor sind allerdings nicht darunter. Der Mitteldeutsche Rundfunk hat die ungarische Regierung nach einer Stellungnahme dazu angefragt, warum nur ein Teil der Sondersteuern abgeschafft wurde. Diese Frage und auch die Bitte um eine Positionierung zu den Vorwürfen mangelnder Rechtsstaatlichkeit und Berechenbarkeit des Steuersystems blieben unbeantwortet. Will die Regierung Orbán also ausländische Unternehmen gezielt aus dem Land drängen? Oder nutzt sie Sondersteuern einfach, um die Gewinne erfolgreicher Unternehmen anzuzapfen? Und das ungeachtet eines Firmensitzes in Ungarn oder im Ausland? Die ungarische Regierung bleibt die Antwort bislang schuldig.
MDR (baz, usc)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 23. November 2024 | 07:17 Uhr