Ukraine Weihnachtspakete pünktlich geliefert – trotz Krieg
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28. Dezember 2024, 05:00 Uhr
Zehntausende von Ukrainerinnen und Ukrainer in- und außerhalb des Landes werden in der Weihnachtszeit Dienste des Post- und Kurierunternehmens Nowa Poschta nutzen, um Geschenke auszutauschen. Am Rande des russischen Angriffskrieges muss der Marktführer in der Ukraine, der mehrfach vom russischen Luftbeschuss direkt betroffen war, täglich Sicherheitsrisiken umgehen. Trotzdem setzt die Firma ihre Arbeit fort – und ist inzwischen auch im Ausland ein Begriff.
Etwa 5,3 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer leben in der EU. Eine wichtige Brücke zu ihren zu Hause gebliebenen Landsleuten ist ein Unternehmen, das mittlerweile über 100 Filialen im Ausland hat: Nowa Poschta (ukr. Нова пошта) ist das führende private Post- und Kurierunternehmen der Ukraine, das sich auf dem deutschen Markt Nova Post nennt. Die erste Filiale in Deutschland öffnete im Juni 2023 in Berlin, mittlerweile gibt es unter anderem in Leipzig, Magdeburg und Dresden welche. Und so ist Nova Post zunehmend auch für Deutsche ein Begriff, die Weihnachten etwas in die kriegsgebeutelte Ukraine oder auch woanders hinschicken wollen.
Pakete sortieren im Bombenhagel
Vor allem innerhalb der Ukraine erbringt Nowa Poschta seit der russischen Großinvasion vom 24. Februar 2022 – ähnlich wie die staatliche Post und die staatlichen Eisenbahnen – ihre Leistungen unter schwerstmöglichen Bedingungen. Denn sowohl ihre Filialen als auch ihre Infrastruktur wurden bereits mehrmals Ziel der russischen Angriffe.
So zerstörte Russland im Oktober 2023 ein modernes Logistikzentrum von Nowa Poschta im ostukrainischen Charkiw. Dabei kamen sechs Mitarbeiter ums Leben. Da Charkiw nur rund 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt ist, schlagen russische Raketen dort mitunter schon ein, bevor Luftalarm ausgelöst werden kann. Bei russischen Angriffen auf Odessa im Mai 2024 dagegen konnten die Mitarbeiter eines Nowa Poschta-Depots rechtzeitig in den Luftschutzkeller gehen, bevor ballistische Raketen dort einschlugen. Dennoch waren die Schäden durch den Angriff in Odessa riesig.
Die Anfänge: Versanddienst für Süßigkeiten
Anfang der 2000er Jahre gründeten zwei Männer in ihren Zwanzigern, Wjatscheslaw Klymow und Wolodymyr Popereschnjuk, Nowa Poschta – ursprünglich, um Süßigkeiten auszuliefern. Als Betreiber einer Süßwarenfirma im ostukrainischen Poltawa konnte ihnen Anfang der 2000er Jahre kein Unternehmen einen verlässlichen Versand ihrer Produkte in andere Städte anbieten. Sie waren deshalb darauf angewiesen, ihre Produkte über Busfahrer und Zugbegleiter auf die Reise zu schicken. Ein "Versandweg", der völlig auf persönlichem Vertrauen basierte und der nicht immer verlässlich war.
Einmal gegründet, beschränkte Nowa Poschta sich am Anfang darauf, Sendungen zwischen Poltawa, Kiew und Charkiw zu befördern. Zwar wuchs das Unternehmen mit der Zeit, doch es dauerte bis 2007, bis Nowa Poschta profitabel wurde. Dann kam 2008 die Finanzkrise, die das Unternehmen beinahe in die Insolvenz trieb.
2008: Investitionen gerade in schwierigen Zeiten
Die Krise war jedoch gleichzeitig der große Motivationsschub, der Klymow und Popereschnjuk dazu brachte, alles zu riskieren. Sie setzten auf eine große Expansion und investierten ein Vielfaches mehr als bisher, etwa ins Marketing. Die Rechnung ging auf – nicht zuletzt, weil Digitalisierung von Anfang an mitgedacht wurde. Außerdem dauerte es schon damals meist nur einen Tag, bis ein Paket, das etwa im westukrainischen Lwiw aufgegeben wurde, die über 500 Kilometer entfernte Hauptstadt Kiew erreichte. Dass das klappt, darauf können sich die Ukrainer selbst heute im Krieg verlassen.
Verluste durch Krieg schon seit 2014
Zwischen der Finanzkrise und dem Krieg gegen die gesamte Ukraine lagen allerdings noch die Jahre ab 2014, in denen sich Nowa Poschta von der russischen Annexion der Krim und den Folgen des Kriegsausbruchs im Donbass erholen musste. So verlor das Logistikunternehmen 20 Prozent seiner Filialen und hat dennoch gleichzeitig die sogenannte "Humanitäre Post der Ukraine" gegründet.
Dieses Projekt, bei dem Nowa Poschta auf eigene Kosten Sendungen von Freiwilligenorganisation an das Militär und an vom Krieg betroffene Menschen liefert, gewann nach der russischen Großinvasion 2022 deutlich an Bedeutung. Vor Februar 2022 arbeitete Nowa Poschta auf diese Art mit 85 Stiftungen und Organisationen zusammen. Inzwischen sind es deutlich über 1.500.
Seit 2022: Erst Verluste, dann Expansion in die EU
Nach der großen russischen Invasion im Februar 2022 musste Nowa Poschta zunächst einmal etwa 80 Prozent ihrer Filialen in der Ukraine stilllegen. Dennoch schrieb das Unternehmen bereits gegen Ende des Frühlings 2022 wieder schwarze Zahlen, da es sich schnell an die neuen Umstände angepasst hat: "Wir haben uns gleich zum Ziel gesetzt, den Ukrainern zu folgen, die nach Europa gingen, um sie im Ausland zu unterstützen. Wir wollten das tonangebende Unternehmen werden, das die Ukraine logistisch mit den EU-Ländern verbindet", erklärt Wolodymyr Popereschnjuk.
Viele Ukrainerinnen und Ukrainer waren nach Beginn der Großinvasion ins Ausland geflohen. Sie, aber auch die Binnenflüchtlinge waren dringend darauf angewiesen, dass ihnen jemand persönliche Gegenstände nachschickte. Schließlich waren sie überstürzt abgereist, weswegen viele wertvolle Sachen zu Hause geblieben waren. Zunächst bewerkstelligte Nowa Poschta die Zustellung ins Ausland mit Hilfe von Partnerunternehmen, bis sie im Oktober 2022 ihre erste Filiale in Polen eröffnete.
Konkurrenz für deutsche Anbieter?
Obwohl das Unternehmen bereits in 16 europäischen Ländern Filialen eröffnet hat, sieht es sich nicht als Konkurrenz für bereits bestehende Postunternehmen in Deutschland oder anderswo. "Unser Kommen ist für lokale Unternehmen keine Bedrohung, sondern eine Chance", betont Popereschnjuk. "Die Lieferungen zwischen der Ukraine und der EU sind ein Marktsegment, das zuvor nicht existiert hat. Daher schaffen wir für lokale Partnerunternehmen Möglichkeiten, mit unseren Kunden zusätzlich zu verdienen." Denn dort, wo Nowa Poschta bzw. Nova Post, wie das Unternehmen in Deutschland heißt, keine eigenen Filialen und Paketautomaten hat, liegen Sendungen in den Filialen von Partnerunternehmen oder werden von ihnen bis zur Haustür geliefert.
Nowa Poschta hilft heute dabei, dass sich Ukrainer innerhalb und außerhalb der Ukraine miteinander verbunden fühlen können – eben ganz direkt, indem sie sich Dinge zuschicken können. Das ist gerade, wenn Familien wegen des russischen Angriffskrieges nicht gemeinsam feiern können, zumindest ein kleiner Trost. In den frontnahen Gebieten in der Ukraine ist Nowa Poschta meist das letzte große Unternehmen, dass seine Filialen schließt – wenn die Sicherheitslage aufgrund der Kämpfe zu gefährlich wird.
MDR (tvm)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 11. Januar 2025 | 07:16 Uhr