Interview der Woche Generalmajor Meyer: Wir müssen raus "aus dieser Bequemlichkeit"
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09. März 2025, 12:40 Uhr
In Europa wird intensiv über eine Verteidigung ohne die USA diskutiert, ausgelöst durch US-Präsident Donald Trump. Das betrifft den Ukraine-Krieg, die Nato, die Bundeswehr. Doch was bedeutet das für die Truppe, wie schnell kann sie reagieren? Wir haben Generalmajor Ansgar Meyer dazu befragt.
- Meyer: Die Bundeswehr braucht Zeit für Transformation
- Könnte die Bundeswehr einen Frieden in der Ukraine sichern?
- Meyer zur AfD und zur politischen Bildung der Soldaten
Ansgar Meyer Generalmajor des Heeres der Bundeswehr, seit Juni 2024 Kommandeur des Zentrums Innere Führung – eine Ausbildungseinrichtung, die sich mit Aufgaben, Werten und Selbstverständnis der Truppe beschäftigt. Bis dahin führte er das Kommando Spezialkräfte (KSK), das er nach dessen Munitionsaffäre per Ende September 2021 übernommen hatte. Im April wird Meyer 60 Jahre alt.
MDR AKTUELL: Das Tempo, mit dem sich sicherheitspolitische und militärische Grundannahmen gerade verändern, ist ja atemberaubend. Wie erleben Sie das?
Meyer: Ich muss zugeben, auch ich finde das schwindelerregend. Insbesondere die Geschwindigkeit, mit der wie aus Amerika hören, wie sich die Architektur im Bereich der Sicherheit ändern soll und muss. Ich glaube, wir sind alle davon ausgegangen, dass Europa und Deutschland eine größere, eine neue Rolle übernehmen müssen. Dass sich aber die USA – zumindest muss man das jetzt annehmen – in großen Teilen herausziehen wollen, das ist eine neue Lage, mit der wir uns befassen müssen und die im Augenblick auch unsere politische Führung bewegt. Das ist schon ein Wendepunkt.
Was macht man jetzt daraus in der Bundeswehr, gehen sie davon aus, dass sie möglicherweise die USA als Partner verlieren werden?
Das glaube ich nicht. Ich habe in der Vergangenheit, insbesondere in Einsätzen, auch immer sehr eng mit unseren amerikanischen Partnern zusammengearbeitet und ich glaube: Da, wo das Militär zusammengewachsen ist, da wird es auch zusammengewachsen bleiben.
Natürlich wird auch die amerikanische Seite, wird die militärische Seite reagieren müssen auf das, was ihr Präsident ihnen vorgibt.
Wir werden natürlich sehen, dass wir jetzt, gerade wenn wir auf die europäische Sicherheit schauen, eine doch deutlich stärkere Rolle einnehmen müssen, und zwar nicht nur wir allein, sondern alle europäischen Staaten.
Da tut sich ja auch eine Menge: Erst 100 Milliarden Euro, jetzt soll die Schuldenbremse dafür reformiert werden, Europa aufrüsten. Was heißt das für die Bundeswehr? Sie haben jetzt plötzlich ganz viel Geld.
Also zunächst mal haben wir das Geld noch nicht. Aber ich glaube, das war absehbar. Das hat ja auch schon im letzten Jahr die Diskussion gezeigt, dass das 100-Milliarden-Projekt nicht ausreichen wird, um die Bundeswehr wirklich einsatzbereit und fit zu machen für die Landes- und Bündnisverteidigung. Ich denke schon, dass wir da langfristig investieren müssen. Das wird natürlich Zeit brauchen. Ich glaube, Zeit ist der wesentliche Faktor im Augenblick: Wir müssen Geschwindigkeit aufnehmen, was die Ausrüstung und Infrastruktur betrifft und natürlich Werbemaßnahmen, um Personal zu gewinnen.
Wie könnte das aussehen? Wir reden hier möglicherweise ja auch über die im Moment ausgesetzte Wehrpflicht …
Ich bin damals in die Bundeswehr eingetreten als Wehrpflichtiger und nach wie vor überzeugt davon, dass das eine geeignete Wehrform ist. Ich bezweifle, dass wir das kurzfristig wiederbeleben können, halte aber viel von der Idee, ein verpflichtendes Jahr, eine Dienstpflicht einzuführen, die möglicherweise auch dazu führt, dass wir das Freiwilligenpotenzial besser ausnutzen.
Glauben Sie, dass die Europäer die Lücke füllen können, die entsteht, wenn die US Amerikaner sich zurückziehen?
Ja, ich glaube, dass das geht, aber nicht abrupt, nur in einem Übergang, nennen Sie es Transformation, in dem man schrittweise Verantwortungen übernimmt, die vorher von den USA wahrgenommen wurden. Wir müssen aber auch ehrlich zu uns selbst sein: Natürlich haben wir uns auf Amerika verlassen, natürlich hat Amerika für uns viel übernommen, das war bequem. Ich glaube aus dieser Bequemlichkeit müssen wir ganz einfach raus.
Was fällt Ihnen denn da jetzt auf die Füße?
Ich will nicht sagen, dass uns das jetzt auf die Füße fällt, was die Bundeswehr betrifft. Das ist bezogen auf Sicherheit in Europa insgesamt. Ja, wir haben uns wohlgefühlt unter dem Schutzschirm der USA für Europa und möglicherweise verpasst, uns früh genug selbst so stark aufzustellen, dass wir das auch nicht nur unterstützen, sondern in Teilen wenigstens kompensieren können.
Jetzt reden wir auch über Truppen aus Europa, die einen möglichen Wafffenstillstand in der Ukraine und Russland absichern sollen, und möglicherweise auch Bundeswehrsoldaten (...) Ist das denkbar, mit dem Blick auch auf die Geschichte im Zweiten Weltkrieg? Sie werden sich wahrscheinlich mit solchen Szenarien auseinandersetzen.
Also das wäre jetzt Spekulation (…) im Augenblick, glaube ich, geht es erst darum zu schauen, wie denn tatsächlich ein möglichst ein gerechter Friede über einen Waffenstillstand zustande kommen kann.
Ich glaube, die Bundeswehr hat sich mittlerweile so gewandelt – selbst wenn es dazu käme, dass Soldaten, in welcher Form auch immer zur Absicherung eines Friedens eingesetzt würden –, dass man da Parallelen zum Zweiten Weltkrieg ziehen würde, das glaube ich nicht. Ähnliches haben wir auf dem Balkan ja genau so erlebt. Da waren auch Zweifel am Anfang: Können wir das, dürfen wir das? Und ich glaube, wir haben uns da einen recht guten Ruf erworben, gerade bei der Friedensabsicherung.
Wie stark ist der Gedanke an Krieg und Verteidigung, auch an Tod ausgeprägt in der Bundeswehr? Hat sich da etwas verschoben, in den vergangenen Jahren?
Ich glaube, das war immer ein schon Thema. Wenn Sie auf unseren Eid schauen: Tapfer zu verteidigen heißt immer, unter Einsatz des Lebens und der Gesundheit. Das ist der stärkste Eid, den es gibt, stärker als bei der Polizei und anderen Sicherheitsorganisationen. Aber das bewegt sich natürlich. Es ist näher gerückt. Wir haben das Thema gehabt in den Auslandseinsätzen, aber es ist näher gerückt, weil es unmittelbarer ist, von der Bedrohung her. Wir hatten in den letzten 20 Jahren, die geprägt waren von Auslandseinsätzen, auch Gefallene zu beklagen und Tote nicht nur durch Kriegshandlungen. Das war schon immer da. Aber das betraf nie die gesamte Bundeswehr.
Wird das jetzt abgebildet, in der inneren Führung der Soldaten, weil sich die Lage so ernst entwickelt, wie es sich gerade abzeichnet?
Das nicht. Die innere Führung ist im Grunde unsere Führungskultur und einfach gesprochen: Wir haben aus der Geschichte gelernt und wollen Dinge, die in der Geschichte falsch gelaufen sind, verhindern.
Im Mittelpunkt der inneren Führung steht unser Menschenbild und unser Selbstverständnis, die feste Einbettung in Staat und Gesellschaft. Das ist schon mal ein Kern, der aus meiner Sicht sich seit 1955/56 auch nicht verändert hat.
Das was sich verändert hat, ist natürlich die Gesellschaft, das sind sicherheitspolitische Rahmenbedingungen, auf die wir jetzt reagieren müssen. Wir haben keine Wehrpflicht-Armee mehr, wir haben eine Freiwilligen-Armee. Also müssen wir werben. Wir müssen Menschen überzeugen, bewusst die eigene Gefährdung in Kauf zu nehmen, sie überzeugen, dass unsere Lebensform und unsere Demokratie wertvoll genug sind, Leib und Leben dafür einzusetzen.
Mehr als 20 Prozent der Wähler haben jetzt ihre Stimme bei der Bundestagswahl der AfD gegeben, die in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Wie problematisch wird das für die Bundeswehr?
Das ist schwer zu sagen, weil ich nicht sagen kann, wie denn der Anteil möglicher Sympathisanten ist. Aber wir müssen uns dem natürlich stellen. Machen wir uns nichts vor: Bei diesen 20 Prozent werden sicherlich auch Soldaten dabei gewesen sein. Um so mehr kommt es für uns hier darauf an, deutlich zu machen, wo unsere Werte sind. Was heißt Demokratie für uns und was, die Bundeswehr fest in diese Demokratie eingebettet zu haben. Wir sind unter anderem im Zentrum Innere Führung für die politische Bildung in den Streitkräften zuständig. Das ist ein Hebel zu erklären und zu überzeugen.
Sprechen sie die AfD dann offensiv an oder versuchen sie es eher zu umschreiben, wenn sie mit Soldaten ins Gespräch kommen?
Wir versuchen Parteipolitik so weit wie möglich rauszuhalten und uns mit allgemeinen politischen Themen zu befassen. Indirekt aber kommt man dann automatisch in diesen Bereich. Aber es ist nicht so, dass wir da irgendetwas ausgrenzen oder Dinge bewusst ansprechen, um Soldaten zu beeinflussen. Das ist bei uns verboten. Wir dürfen niemanden politisch beeinflussen. Wir wollen das Bewusstsein, sich selbst eine tragfähige Meinung zu bilden.
Stell ich mir trotzdem schwierig vor ...
Das ist es, gerade für junge Vorgesetzte. Weil wir natürlich auch feststellen, dass viele, die zu uns kommen, nicht wirklich so informiert sind, wie wir uns möglicherweise vor 20 oder 30 Jahren informiert haben. Wenn sie schauen, wie jetzt Wahlkampf in den sozialen Medien geführt worden ist: Das ist eine neue Dimension. Und mit dieser Meinung und diesem Informationsverhalten kommen junge Soldaten zu uns. Das spiegeln mir die jungen Vorgesetzten, dass es gerade bei den jungen Soldaten doch erhebliche Lücken gibt.
Mit welchen Fragen, Problemen, Sorgen kommen die zu Ihnen?
Ich mach das mal fest an den jungen militärischen Führern, den Kompanie-Chefs, die wirklich, wenn wir von Truppe sprechen, auf der unteren Ebene dienen. Die sagen natürlich: Was wir jetzt brauchen sind die Mittel, um auch tatsächlich zu trainieren. Ich glaube nicht, dass das Mindset ein Problem ist. Das hat jeder verstanden. Ich glaube, wer das nicht verstanden hat, der hat möglicherweise drei Jahre lang keine Nachrichten gesehen. Die sagen: Wir müssen jetzt diese Mittel haben, und da kommen wir automatisch wieder zu dem Projekt, das jetzt offensichtlich in einem größeren Umfang auch die Haushaltsmittel zur Verfügung stellen wird. Da müssen wir schnell werden und zusehen, dass das in der Truppe auch tatsächlich ankommt.
Wo sehen Sie die Bundeswehr in den nächsten drei bis fünf Jahren, auch unter Berücksichtigung der Verhältnisse in Washington?
Ich glaube, die Bundeswehr wird jetzt weniger nach Washington schauen, sondern sich tatsächlich erst mal um sich selbst kümmern müssen. Das heißt: In allen Bereichen, so schnell wie möglich die Einsatzbereitschaft herzustellen. Dass wir eine Brigade nach Litauen verlegen, ist ein erster Schritt, als Teil der Division, die jetzt vorrangig aufgestellt wird. Die Luftwaffe wird mit neuen Systemen ausgestattet, auch die Marine. Das muss jetzt schnell auf andere Bereiche ausgeweitet werden, gleichzeitig. Das ist eine Herausforderung, neben der Rüstung auch die nötige Infrastruktur bereitzustellen.
Unterkünfte, Kasernen oder wo hakt es jetzt genau?
Damit fängt es schon an, mit Unterkünften. Wenn wir aufwachsen wollen, brauchen wir Kapazitäten, wir brauchen Material, mit dem wir ausbilden, so dass wir tatsächlich umfassend Einsatzbereitschaft sicherstellen können.
MDR AKTUELL (ksc)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 09. März 2025 | 06:00 Uhr