Bundeswehr-Debatte Experte: Wiedereinführung der Wehrpflicht geht nicht über Nacht
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06. März 2025, 09:13 Uhr
Kommt die Wehrpflicht zurück oder kommt sie nicht? Wegen der veränderten globalen Bedrohungslage mehren sich die Stimmen, die mehr Soldaten für die Bundeswehr fordern. Ohne Wehrdienst sind diese wohl kaum zu gewinnen. Die Union will nun Tempo und zügige Umsetzungen. Unterschiedliche Stimmen kamen aus der SPD. Ein Experte meint: Über Nacht sei es nicht möglich.
- Bundeswehr-Institut: Comeback der Wehrpflicht nur langsam
- Ablehnende Haltung im Verteidigungsministerium
- Forderung von Unions-Politikern nach Einführung
- Aussetzung unter CSU-Minister Guttenberg
Die Bundeswehr soll mit viel Geld gestärkt werden. Sollte auch die Wehrpflicht wieder reaktiviert werden? Unionspolitiker machen Druck, der SPD-Minister und Verteidigungsminister Boris Pistorius wiegelt ab.
Bundeswehr-Institut: Comeback der Wehrpflicht geht nicht über Nacht
Der Staatsrechtler Christian Richter vom Bundeswehr-Forschungsinstitut German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS) hält eine Wiedereinführung der Wehrpflicht noch in diesem Jahr nur teilweise für machbar. Richter sagte MDR AKTUELL, die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht könne nicht über Nacht erfolgen. Schweden etwa habe dafür fast ein Jahr gebraucht. Richter meint: "Eine gewisse Anzahl, ich nenne jetzt mal 10.000 bis 20.000, die können sicherlich auch jetzt schon einberufen werden, dafür haben wir auch die Kasernen und die Infrastruktur. Geht man aber höher, auf höhere Zahlen, dann wird es sicherlich zusätzliche Kasernengebäude und auch entsprechende Musterungsprozesse und Musterungsbehörden wieder erfordern."
Richter betonte, es sei aber wichtig, die Entscheidung über eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht so bald wie möglich zu treffen. Deutschland und Europa müssten ihre Verteidigungsfähigkeit selbst in die Hand nehmen. Dazu gehöre neben Material und Waffen auch Personal. Darum müsse man sich jetzt kümmern.
Die Wehrpflicht auch auf Frauen zu erweitern, sieht Richter problematisch: "Das ist derzeit mit unserer Verfassung nicht machbar." Um auch Frauen einzuberufen, müsse das Grundgesetz geändert werden. Dafür fehle derzeit die nötige Zweidrittel-Mehrheit.
Ablehnende Haltung im Verteidigungsministerium
Verteidigungsminister Pistorius lehnte Unionsforderungen nach einer schnellen Wiedereinführung der Wehrpflicht ab. Die Bundeswehr habe gar keine Kasernen, um alle Wehrpflichtigen eines Jahrganges tatsächlich einziehen zu können, sagte der SPD-Politiker in den ARD-"Tagesthemen". Wichtiger sei, denjenigen eine Perspektive zu geben, die zur Bundeswehr wollten und diese Menschen zu erfassen. "Ein Schnellschuss à la 'Wir führen die Wehrpflicht, wie wir sie früher kannten, wieder ein', ist nicht wirklich hilfreich", sagte Pistorius.
Der Minister hatte in der abgelaufenen Legislaturperiode einen Gesetzentwurf für ein neues Wehrdienstmodell vorgelegt. Verpflichtend wäre demnach gewesen, dass junge Männer Auskunft über ihre Bereitschaft und Fähigkeit zum Militärdienst hätten geben müssen. Der betreffende Gesetzentwurf wurde wegen des Bruchs der Ampel-Koalition dann aber nicht mehr weiter beraten.
Forderung von Unions-Politikern nach Einführung
Zuvor hatte CSU-Politiker Florian Hahn wegen der veränderten Bedrohungslage die Wiedereinführung einer Wehrpflicht noch in diesem Jahr verlangt. Dem schlossen sich weitere Unionspolitiker an. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sagte RTL/ntv, der Vorschlag wäre leicht umsetzbar. Die Wehrpflicht sei mit einfacher Mehrheit im Bundestag ausgesetzt worden und könnte so auch wieder eingesetzt werden. Entscheidend sei aber, dass ausreichend Unterkünfte und Ausbilder zur Verfügung stünden, betonte Kiesewetter.
Auch Patrick Sensburg vom Reservistenverband der Bundeswehr bekräftigte Pläne der Union nach einem Wehrpflicht-Comeback noch in diesem Jahr. Der CDU-Politiker sagte der "Rheinischen Post", Deutschland brauche schnell 20.000 zusätzliche Soldaten. Das sei nur mit der Wehrpflicht zu schaffen. Ziel müsse dann in fünf Jahren sein, dass jeweils ein ganzer Jahrgang Männer und auch Frauen einberufen werde.
Der CSU-Verteidigungsexperte Thomas Silberhorn beklagte in der "Welt", mit 180.000 Soldaten liege die Bundeswehr derzeit gar unter der Sollstärke von 185.000, die bei Aussetzung der Wehrpflicht 2011 beschlossen worden sei. Nötig wären 270.000 Soldaten, sagte der CSU-Politiker. "Das geht nur über eine Wehrpflicht."
Alte Strukturen sind weg
Der SPD-Verteidigungsexperte Falko Droßmann nannte die Unionsforderungen "unmöglich wie auch unzeitgemäß". Die Kreiswehrersatzämter seien abgeschafft, es gebe keine Musterungsorganisation, keine Kasernen, keine Ausbilder, kein Gerät. Auch halte er es für fraglich, ob eine klassische Wehrpflicht überhaupt noch Sinn mache.
Die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Agnieszka Brugger, sieht dies ähnlich. "Eine Wiedereinführung der alten Wehrpflicht ist aus vielen Gründen alles andere als pragmatisch und kostet viel zu viel Zeit, bis sie wirksam wäre. Es würde unfassbare Kapazitäten binden und auch viel Geld kosten, die alten Strukturen im großen Umfang wieder aufzubauen."
Der frühere Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) schloss sich den Forderungen nach einer Rückkehr zur Wehrpflicht noch in diesem Jahr an. "Sie darf nicht nur im Koalitionsvertrag stehen, sondern muss noch in diesem Jahr auf den Weg gebracht werden", sagte er der "Welt". Eine Kombination mit einer Einbeziehung auch von Frauen oder einer sozialen Dienstpflicht lehnte Bartels ab. Darüber könne später weiter diskutiert werden.
Aussetzung unter CSU-Minister Guttenberg
Die Wehrpflicht war 2011 in Deutschland unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nach 55 Jahren ausgesetzt worden. Das kam einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich, denn gleichzeitig wurden praktisch alle Strukturen für eine Wehrpflicht aufgelöst.
dpa, AFP (das)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 05. März 2025 | 08:00 Uhr